sagte er; man muß freilich zugeben, daß der Poet mehr sagt als man möchte; er sagt die Wahrheit, allein es wird einem nicht wohl dabey und man sähe lieber, daß er den Mund hielt. Es giebt Dinge in der Welt, die der Dichter besser überhüllet als aufdeckt; doch dieß ist eben Byrons Character und man würde ihn vernichten, wenn man ihn anders wollte."
Ja, sagte ich, im höchsten Grade geistreich ist er. Wie trefflich ist z. B. diese Stelle:
The Devil speaks truth much oftener than he's deemed, He hath an ignorant audience.
"Das ist freylich eben so groß und frey als mein Mephistopheles irgend etwas gesagt hat."
"Da wir vom Mephistopheles reden, fuhr Goethe fort, so will ich Ihnen doch etwas zeigen, was Cou¬ dray von Paris mitgebracht hat. Was sagen Sie dazu?"
Er legte mir einen Steindruck vor, die Scenen dar¬ stellend, wo Faust und Mephistopheles, um Gretchen aus dem Kerker zu befreyen, in der Nacht auf zwey Pferden an einem Hochgerichte vorbeysausen. Faust rei¬ tet ein schwarzes, das im gestrecktesten Galopp aus¬ greift und sich, so wie sein Reiter, vor den Gespenstern unter dem Galgen zu fürchten scheint. Sie reiten so schnell, daß Faust Mühe hat sich zu halten; die stark entgegen wirkende Luft hat seine Mütze entführt, die,
I. 17
ſagte er; man muß freilich zugeben, daß der Poet mehr ſagt als man moͤchte; er ſagt die Wahrheit, allein es wird einem nicht wohl dabey und man ſaͤhe lieber, daß er den Mund hielt. Es giebt Dinge in der Welt, die der Dichter beſſer uͤberhuͤllet als aufdeckt; doch dieß iſt eben Byrons Character und man wuͤrde ihn vernichten, wenn man ihn anders wollte.“
Ja, ſagte ich, im hoͤchſten Grade geiſtreich iſt er. Wie trefflich iſt z. B. dieſe Stelle:
The Devil speaks truth much oftener than he's deemed, He hath an ignorant audience.
„Das iſt freylich eben ſo groß und frey als mein Mephiſtopheles irgend etwas geſagt hat.“
„Da wir vom Mephiſtopheles reden, fuhr Goethe fort, ſo will ich Ihnen doch etwas zeigen, was Cou¬ dray von Paris mitgebracht hat. Was ſagen Sie dazu?“
Er legte mir einen Steindruck vor, die Scenen dar¬ ſtellend, wo Fauſt und Mephiſtopheles, um Gretchen aus dem Kerker zu befreyen, in der Nacht auf zwey Pferden an einem Hochgerichte vorbeyſauſen. Fauſt rei¬ tet ein ſchwarzes, das im geſtreckteſten Galopp aus¬ greift und ſich, ſo wie ſein Reiter, vor den Geſpenſtern unter dem Galgen zu fuͤrchten ſcheint. Sie reiten ſo ſchnell, daß Fauſt Muͤhe hat ſich zu halten; die ſtark entgegen wirkende Luft hat ſeine Muͤtze entfuͤhrt, die,
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ſagte er; man muß freilich zugeben, daß der Poet mehr
ſagt als man moͤchte; er ſagt die Wahrheit, allein es
wird einem nicht wohl dabey und man ſaͤhe lieber, daß
er den Mund hielt. Es giebt Dinge in der Welt, die
der Dichter beſſer uͤberhuͤllet als aufdeckt; doch dieß iſt
eben Byrons Character und man wuͤrde ihn vernichten,
wenn man ihn anders wollte.“
Ja, ſagte ich, im hoͤchſten Grade geiſtreich iſt er.
Wie trefflich iſt z. B. dieſe Stelle:
The Devil speaks truth much oftener than he's deemed,
He hath an ignorant audience.
„Das iſt freylich eben ſo groß und frey als mein
Mephiſtopheles irgend etwas geſagt hat.“
„Da wir vom Mephiſtopheles reden, fuhr Goethe
fort, ſo will ich Ihnen doch etwas zeigen, was Cou¬
dray von Paris mitgebracht hat. Was ſagen Sie
dazu?“
Er legte mir einen Steindruck vor, die Scenen dar¬
ſtellend, wo Fauſt und Mephiſtopheles, um Gretchen
aus dem Kerker zu befreyen, in der Nacht auf zwey
Pferden an einem Hochgerichte vorbeyſauſen. Fauſt rei¬
tet ein ſchwarzes, das im geſtreckteſten Galopp aus¬
greift und ſich, ſo wie ſein Reiter, vor den Geſpenſtern
unter dem Galgen zu fuͤrchten ſcheint. Sie reiten ſo
ſchnell, daß Fauſt Muͤhe hat ſich zu halten; die ſtark
entgegen wirkende Luft hat ſeine Muͤtze entfuͤhrt, die,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/277>, abgerufen am 28.11.2024.
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