die wirklich im Streben und Vorschreiten begriffen und alle objectiver Natur waren."
Die ausgesprochenen Worte gaben Anlaß zu der geistreichsten Unterhaltung, wobey besonders der großen Zeit des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts ge¬ dacht wurde.
Das Gespräch lenkte sich sodann auf das Theater und das Schwache, Empfindsame und Trübselige der neueren Erscheinungen. Ich tröste und stärke mich jetzt an Moliere, sagte ich. Seinen Geizigen habe ich übersetzt nnd beschäftige mich nun mit seinem Arzt wider Willen. Was ist doch Moliere für ein großer, reiner Mensch! -- "Ja, sagte Goethe, reiner Mensch, das ist das eigentliche Wort, was man von ihm sagen kann; es ist an ihm nichts verbogen und verbildet. Und nun diese Großheit! Er beherrschte die Sitten seiner Zeit; wogegen aber unsere Iffland und Kotzebue sich von den Sitten der ihrigen beherrschen ließen und darin beschränkt und befangen waren. Moliere züchtigte die Menschen, indem er sie in ihrer Wahrheit zeichnete."
Ich möchte etwas darum geben, sagte ich, wenn ich die Molierischen Stücke in ihrer ganzen Reinheit auf der Bühne sehen könnte; allein dem Publicum, wie ich es kenne, muß dergleichen viel zu stark und natür¬ lich seyn. Sollte diese Über-Verfeinerung nicht von der sogenannten idealen Literatur gewisser Autoren her¬ rühren?
I. 16
die wirklich im Streben und Vorſchreiten begriffen und alle objectiver Natur waren.“
Die ausgeſprochenen Worte gaben Anlaß zu der geiſtreichſten Unterhaltung, wobey beſonders der großen Zeit des funfzehnten und ſechzehnten Jahrhunderts ge¬ dacht wurde.
Das Geſpraͤch lenkte ſich ſodann auf das Theater und das Schwache, Empfindſame und Truͤbſelige der neueren Erſcheinungen. Ich troͤſte und ſtaͤrke mich jetzt an Molière, ſagte ich. Seinen Geizigen habe ich uͤberſetzt nnd beſchaͤftige mich nun mit ſeinem Arzt wider Willen. Was iſt doch Molière fuͤr ein großer, reiner Menſch! — „Ja, ſagte Goethe, reiner Menſch, das iſt das eigentliche Wort, was man von ihm ſagen kann; es iſt an ihm nichts verbogen und verbildet. Und nun dieſe Großheit! Er beherrſchte die Sitten ſeiner Zeit; wogegen aber unſere Iffland und Kotzebue ſich von den Sitten der ihrigen beherrſchen ließen und darin beſchraͤnkt und befangen waren. Molière zuͤchtigte die Menſchen, indem er ſie in ihrer Wahrheit zeichnete.“
Ich moͤchte etwas darum geben, ſagte ich, wenn ich die Molièriſchen Stuͤcke in ihrer ganzen Reinheit auf der Buͤhne ſehen koͤnnte; allein dem Publicum, wie ich es kenne, muß dergleichen viel zu ſtark und natuͤr¬ lich ſeyn. Sollte dieſe Über-Verfeinerung nicht von der ſogenannten idealen Literatur gewiſſer Autoren her¬ ruͤhren?
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die wirklich im Streben und Vorſchreiten begriffen und
alle objectiver Natur waren.“
Die ausgeſprochenen Worte gaben Anlaß zu der
geiſtreichſten Unterhaltung, wobey beſonders der großen
Zeit des funfzehnten und ſechzehnten Jahrhunderts ge¬
dacht wurde.
Das Geſpraͤch lenkte ſich ſodann auf das Theater
und das Schwache, Empfindſame und Truͤbſelige der
neueren Erſcheinungen. Ich troͤſte und ſtaͤrke mich jetzt
an Moli è re, ſagte ich. Seinen Geizigen habe ich
uͤberſetzt nnd beſchaͤftige mich nun mit ſeinem Arzt wider
Willen. Was iſt doch Molière fuͤr ein großer, reiner
Menſch! — „Ja, ſagte Goethe, reiner Menſch, das
iſt das eigentliche Wort, was man von ihm ſagen kann;
es iſt an ihm nichts verbogen und verbildet. Und nun
dieſe Großheit! Er beherrſchte die Sitten ſeiner Zeit;
wogegen aber unſere Iffland und Kotzebue ſich von den
Sitten der ihrigen beherrſchen ließen und darin beſchraͤnkt
und befangen waren. Molière zuͤchtigte die Menſchen,
indem er ſie in ihrer Wahrheit zeichnete.“
Ich moͤchte etwas darum geben, ſagte ich, wenn
ich die Molièriſchen Stuͤcke in ihrer ganzen Reinheit
auf der Buͤhne ſehen koͤnnte; allein dem Publicum, wie
ich es kenne, muß dergleichen viel zu ſtark und natuͤr¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/261>, abgerufen am 23.11.2024.
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