gen subjectiven Empfindungen ausspricht, ist er noch keiner zu nennen; aber sobald er die Welt sich anzu¬ eignen und auszusprechen weiß, ist er ein Poet. Und dann ist er unerschöpflich und kann immer neu seyn, wogegen aber eine subjective Natur ihr Bischen Inne¬ res bald ausgesprochen hat und zuletzt in Manier zu Grunde geht."
"Man spricht immer vom Studium der Alten; allein was will das anders sagen, als: richte dich auf die wirkliche Welt und suche sie auszusprechen; denn das thaten die Alten auch, da sie lebten."
Goethe stand auf und ging im Zimmer auf und ab, während ich, wie er es gerne hat, auf meinem Stuhle am Tische sitzen blieb. Er stand einen Augenblick am Ofen, dann aber, wie einer, der etwas bedacht hat, trat er zu mir heran und den Finger an den Mund gelegt, sagte er Folgendes:
"Ich will Ihnen etwas entdecken und Sie werden es in Ihrem Leben vielfach bestätiget finden. Alle im Rückschreiten und in der Auflösung begriffenen Epochen sind subjectiv, dagegen aber haben alle vorschreitenden Epochen eine objective Richtung. Unsere ganze jetzige Zeit ist eine rückschreitende, denn sie ist eine subjektive. Dieses sehen Sie nicht bloß an der Poesie, sondern auch an der Malerey und vielem anderen. Jedes tüchtige Bestreben dagegen wendet sich aus dem Inneren hinaus auf die Welt, wie Sie an allen großen Epochen sehen,
gen ſubjectiven Empfindungen ausſpricht, iſt er noch keiner zu nennen; aber ſobald er die Welt ſich anzu¬ eignen und auszuſprechen weiß, iſt er ein Poet. Und dann iſt er unerſchoͤpflich und kann immer neu ſeyn, wogegen aber eine ſubjective Natur ihr Bischen Inne¬ res bald ausgeſprochen hat und zuletzt in Manier zu Grunde geht.“
„Man ſpricht immer vom Studium der Alten; allein was will das anders ſagen, als: richte dich auf die wirkliche Welt und ſuche ſie auszuſprechen; denn das thaten die Alten auch, da ſie lebten.“
Goethe ſtand auf und ging im Zimmer auf und ab, waͤhrend ich, wie er es gerne hat, auf meinem Stuhle am Tiſche ſitzen blieb. Er ſtand einen Augenblick am Ofen, dann aber, wie einer, der etwas bedacht hat, trat er zu mir heran und den Finger an den Mund gelegt, ſagte er Folgendes:
„Ich will Ihnen etwas entdecken und Sie werden es in Ihrem Leben vielfach beſtaͤtiget finden. Alle im Ruͤckſchreiten und in der Aufloͤſung begriffenen Epochen ſind ſubjectiv, dagegen aber haben alle vorſchreitenden Epochen eine objective Richtung. Unſere ganze jetzige Zeit iſt eine ruͤckſchreitende, denn ſie iſt eine ſubjektive. Dieſes ſehen Sie nicht bloß an der Poeſie, ſondern auch an der Malerey und vielem anderen. Jedes tuͤchtige Beſtreben dagegen wendet ſich aus dem Inneren hinaus auf die Welt, wie Sie an allen großen Epochen ſehen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0260"n="240"/>
gen ſubjectiven Empfindungen ausſpricht, iſt er noch<lb/>
keiner zu nennen; aber ſobald er die Welt ſich anzu¬<lb/>
eignen und auszuſprechen weiß, iſt er ein Poet. Und<lb/>
dann iſt er unerſchoͤpflich und kann immer neu ſeyn,<lb/>
wogegen aber eine ſubjective Natur ihr Bischen Inne¬<lb/>
res bald ausgeſprochen hat und zuletzt in Manier zu<lb/>
Grunde geht.“</p><lb/><p>„Man ſpricht immer vom Studium der Alten; allein<lb/>
was will das anders ſagen, als: richte dich auf die<lb/>
wirkliche Welt und ſuche ſie auszuſprechen; denn das<lb/>
thaten die Alten auch, da ſie lebten.“</p><lb/><p>Goethe ſtand auf und ging im Zimmer auf und ab,<lb/>
waͤhrend ich, wie er es gerne hat, auf meinem Stuhle<lb/>
am Tiſche ſitzen blieb. Er ſtand einen Augenblick am<lb/>
Ofen, dann aber, wie einer, der etwas bedacht hat,<lb/>
trat er zu mir heran und den Finger an den Mund<lb/>
gelegt, ſagte er Folgendes:</p><lb/><p>„Ich will Ihnen etwas entdecken und Sie werden<lb/>
es in Ihrem Leben vielfach beſtaͤtiget finden. Alle im<lb/>
Ruͤckſchreiten und in der Aufloͤſung begriffenen Epochen<lb/>ſind ſubjectiv, dagegen aber haben alle vorſchreitenden<lb/>
Epochen eine objective Richtung. Unſere ganze jetzige<lb/>
Zeit iſt eine ruͤckſchreitende, denn ſie iſt eine ſubjektive.<lb/>
Dieſes ſehen Sie nicht bloß an der Poeſie, ſondern<lb/>
auch an der Malerey und vielem anderen. Jedes tuͤchtige<lb/>
Beſtreben dagegen wendet ſich aus dem Inneren hinaus<lb/>
auf die Welt, wie Sie an allen großen Epochen ſehen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[240/0260]
gen ſubjectiven Empfindungen ausſpricht, iſt er noch
keiner zu nennen; aber ſobald er die Welt ſich anzu¬
eignen und auszuſprechen weiß, iſt er ein Poet. Und
dann iſt er unerſchoͤpflich und kann immer neu ſeyn,
wogegen aber eine ſubjective Natur ihr Bischen Inne¬
res bald ausgeſprochen hat und zuletzt in Manier zu
Grunde geht.“
„Man ſpricht immer vom Studium der Alten; allein
was will das anders ſagen, als: richte dich auf die
wirkliche Welt und ſuche ſie auszuſprechen; denn das
thaten die Alten auch, da ſie lebten.“
Goethe ſtand auf und ging im Zimmer auf und ab,
waͤhrend ich, wie er es gerne hat, auf meinem Stuhle
am Tiſche ſitzen blieb. Er ſtand einen Augenblick am
Ofen, dann aber, wie einer, der etwas bedacht hat,
trat er zu mir heran und den Finger an den Mund
gelegt, ſagte er Folgendes:
„Ich will Ihnen etwas entdecken und Sie werden
es in Ihrem Leben vielfach beſtaͤtiget finden. Alle im
Ruͤckſchreiten und in der Aufloͤſung begriffenen Epochen
ſind ſubjectiv, dagegen aber haben alle vorſchreitenden
Epochen eine objective Richtung. Unſere ganze jetzige
Zeit iſt eine ruͤckſchreitende, denn ſie iſt eine ſubjektive.
Dieſes ſehen Sie nicht bloß an der Poeſie, ſondern
auch an der Malerey und vielem anderen. Jedes tuͤchtige
Beſtreben dagegen wendet ſich aus dem Inneren hinaus
auf die Welt, wie Sie an allen großen Epochen ſehen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/260>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.