Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

kommen hat darstellen können. Eine Äußerung seines
Buches ist mir besonders lieb und erwünscht gewesen,
sie ist eines alten Griechen, eines Plutarch würdig."
Dem edlen Lord, sagt Parry, fehlten alle jene Tu¬
genden, die den Bürgerstand zieren, und welche sich
anzueignen er durch Geburt, durch Erziehung und Le¬
bensweise gehindert war. Nun sind aber seine ungün¬
stigen Beurtheiler sämmtlich aus der Mittelclasse, die
denn freylich tadelnd bedauern, dasjenige an ihm zu
vermissen, was sie an sich selber zu schätzen Ursache
haben. Die wackern Leute bedenken nicht, daß er an
seiner hohen Stelle Verdienste besaß, von denen sie sich
keinen Begriff machen können. "Nun, wie gefällt Ih¬
nen das? sagte Goethe, nicht wahr, so etwas hört man
nicht alle Tage?"

Ich freue mich, sagte ich, eine Ansicht öffentlich
ausgesprochen zu wissen, wodurch alle kleinlichen Tadler
und Herunterzieher eines höher stehenden Menschen ein
für allemal durchaus gelähmt und geschlagen worden.

Wir sprachen darauf über welthistorische Gegenstände
in Bezug auf die Poesie und zwar in wiefern die Ge¬
schichte des einen Volkes für den Dichter günstiger seyn
könne als die eines andern.

"Der Poet, sagte Goethe, soll das Besondere er¬
greifen, und er wird, wenn dieses nur etwas Gesundes
ist, darin ein Allgemeines darstellen. Die englische Ge¬
schichte ist vortrefflich zu poetischer Darstellung, weil sie

kommen hat darſtellen koͤnnen. Eine Äußerung ſeines
Buches iſt mir beſonders lieb und erwuͤnſcht geweſen,
ſie iſt eines alten Griechen, eines Plutarch wuͤrdig.“
Dem edlen Lord, ſagt Parry, fehlten alle jene Tu¬
genden, die den Buͤrgerſtand zieren, und welche ſich
anzueignen er durch Geburt, durch Erziehung und Le¬
bensweiſe gehindert war. Nun ſind aber ſeine unguͤn¬
ſtigen Beurtheiler ſaͤmmtlich aus der Mittelclaſſe, die
denn freylich tadelnd bedauern, dasjenige an ihm zu
vermiſſen, was ſie an ſich ſelber zu ſchaͤtzen Urſache
haben. Die wackern Leute bedenken nicht, daß er an
ſeiner hohen Stelle Verdienſte beſaß, von denen ſie ſich
keinen Begriff machen koͤnnen. „Nun, wie gefaͤllt Ih¬
nen das? ſagte Goethe, nicht wahr, ſo etwas hoͤrt man
nicht alle Tage?“

Ich freue mich, ſagte ich, eine Anſicht oͤffentlich
ausgeſprochen zu wiſſen, wodurch alle kleinlichen Tadler
und Herunterzieher eines hoͤher ſtehenden Menſchen ein
fuͤr allemal durchaus gelaͤhmt und geſchlagen worden.

Wir ſprachen darauf uͤber welthiſtoriſche Gegenſtaͤnde
in Bezug auf die Poeſie und zwar in wiefern die Ge¬
ſchichte des einen Volkes fuͤr den Dichter guͤnſtiger ſeyn
koͤnne als die eines andern.

„Der Poet, ſagte Goethe, ſoll das Beſondere er¬
greifen, und er wird, wenn dieſes nur etwas Geſundes
iſt, darin ein Allgemeines darſtellen. Die engliſche Ge¬
ſchichte iſt vortrefflich zu poetiſcher Darſtellung, weil ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="222"/>
kommen hat dar&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen. Eine Äußerung &#x017F;eines<lb/>
Buches i&#x017F;t mir be&#x017F;onders lieb und erwu&#x0364;n&#x017F;cht gewe&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t eines alten Griechen, eines Plutarch wu&#x0364;rdig.&#x201C;<lb/>
Dem edlen Lord, &#x017F;agt Parry, fehlten alle jene Tu¬<lb/>
genden, die den Bu&#x0364;rger&#x017F;tand zieren, und welche &#x017F;ich<lb/>
anzueignen er durch Geburt, durch Erziehung und Le¬<lb/>
benswei&#x017F;e gehindert war. Nun &#x017F;ind aber &#x017F;eine ungu&#x0364;<lb/>
&#x017F;tigen Beurtheiler &#x017F;a&#x0364;mmtlich aus der Mittelcla&#x017F;&#x017F;e, die<lb/>
denn freylich tadelnd bedauern, dasjenige an ihm zu<lb/>
vermi&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie an &#x017F;ich &#x017F;elber zu &#x017F;cha&#x0364;tzen Ur&#x017F;ache<lb/>
haben. Die wackern Leute bedenken nicht, daß er an<lb/>
&#x017F;einer hohen Stelle Verdien&#x017F;te be&#x017F;aß, von denen &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
keinen Begriff machen ko&#x0364;nnen. &#x201E;Nun, wie gefa&#x0364;llt Ih¬<lb/>
nen das? &#x017F;agte Goethe, nicht wahr, &#x017F;o etwas ho&#x0364;rt man<lb/>
nicht alle Tage?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich freue mich, &#x017F;agte ich, eine An&#x017F;icht o&#x0364;ffentlich<lb/>
ausge&#x017F;prochen zu wi&#x017F;&#x017F;en, wodurch alle kleinlichen Tadler<lb/>
und Herunterzieher eines ho&#x0364;her &#x017F;tehenden Men&#x017F;chen ein<lb/>
fu&#x0364;r allemal durchaus gela&#x0364;hmt und ge&#x017F;chlagen worden.</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;prachen darauf u&#x0364;ber welthi&#x017F;tori&#x017F;che Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
in Bezug auf die Poe&#x017F;ie und zwar in wiefern die Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte des einen Volkes fu&#x0364;r den Dichter gu&#x0364;n&#x017F;tiger &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nne als die eines andern.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Poet, &#x017F;agte Goethe, &#x017F;oll das Be&#x017F;ondere er¬<lb/>
greifen, und er wird, wenn die&#x017F;es nur etwas Ge&#x017F;undes<lb/>
i&#x017F;t, darin ein Allgemeines dar&#x017F;tellen. Die engli&#x017F;che Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte i&#x017F;t vortrefflich zu poeti&#x017F;cher Dar&#x017F;tellung, weil &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0242] kommen hat darſtellen koͤnnen. Eine Äußerung ſeines Buches iſt mir beſonders lieb und erwuͤnſcht geweſen, ſie iſt eines alten Griechen, eines Plutarch wuͤrdig.“ Dem edlen Lord, ſagt Parry, fehlten alle jene Tu¬ genden, die den Buͤrgerſtand zieren, und welche ſich anzueignen er durch Geburt, durch Erziehung und Le¬ bensweiſe gehindert war. Nun ſind aber ſeine unguͤn¬ ſtigen Beurtheiler ſaͤmmtlich aus der Mittelclaſſe, die denn freylich tadelnd bedauern, dasjenige an ihm zu vermiſſen, was ſie an ſich ſelber zu ſchaͤtzen Urſache haben. Die wackern Leute bedenken nicht, daß er an ſeiner hohen Stelle Verdienſte beſaß, von denen ſie ſich keinen Begriff machen koͤnnen. „Nun, wie gefaͤllt Ih¬ nen das? ſagte Goethe, nicht wahr, ſo etwas hoͤrt man nicht alle Tage?“ Ich freue mich, ſagte ich, eine Anſicht oͤffentlich ausgeſprochen zu wiſſen, wodurch alle kleinlichen Tadler und Herunterzieher eines hoͤher ſtehenden Menſchen ein fuͤr allemal durchaus gelaͤhmt und geſchlagen worden. Wir ſprachen darauf uͤber welthiſtoriſche Gegenſtaͤnde in Bezug auf die Poeſie und zwar in wiefern die Ge¬ ſchichte des einen Volkes fuͤr den Dichter guͤnſtiger ſeyn koͤnne als die eines andern. „Der Poet, ſagte Goethe, ſoll das Beſondere er¬ greifen, und er wird, wenn dieſes nur etwas Geſundes iſt, darin ein Allgemeines darſtellen. Die engliſche Ge¬ ſchichte iſt vortrefflich zu poetiſcher Darſtellung, weil ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/242
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/242>, abgerufen am 22.11.2024.