zeitigen. Ja ich wüßte kaum einen einzigen Mann von Bedeutung zu nennen, dem ich durchaus recht gewesen wäre. Gleich an meinem Werther tadelten sie soviel, daß, wenn ich jede gescholtene Stelle hätte tilgen wollen, von dem ganzen Buche keine Zeile geblieben wäre. Allein aller Tadel schadete mir nichts, denn solche sub¬ jective Urtheile einzelner obgleich bedeutender Männer stellten sich durch die Masse wieder ins Gleiche. Wer aber nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine Zeile schreiben."
"Nun streitet sich das Publicum seit zwanzig Jah¬ ren, wer größer sey: Schiller oder ich, und sie sollten sich freuen, daß überall ein paar Kerle da sind, worüber sie streiten können."
Sonnabend den 11. Juny 1825.
Goethe sprach heute bey Tisch sehr viel von dem Buche des Major Parry über Lord Byron. Er lobte es durchaus und bemerkte, daß Lord Byron in dieser Darstellung weit vollkommener und weit klarer über sich und seine Vorsätze erscheine, als in allem, was bisher über ihn geschrieben worden.
"Der Major Parry, fuhr Goethe fort, muß gleich¬ falls ein sehr bedeutender, ja ein hoher Mensch seyn, daß er seinen Freund so rein hat auffassen und so voll¬
zeitigen. Ja ich wuͤßte kaum einen einzigen Mann von Bedeutung zu nennen, dem ich durchaus recht geweſen waͤre. Gleich an meinem Werther tadelten ſie ſoviel, daß, wenn ich jede geſcholtene Stelle haͤtte tilgen wollen, von dem ganzen Buche keine Zeile geblieben waͤre. Allein aller Tadel ſchadete mir nichts, denn ſolche ſub¬ jective Urtheile einzelner obgleich bedeutender Maͤnner ſtellten ſich durch die Maſſe wieder ins Gleiche. Wer aber nicht eine Million Leſer erwartet, ſollte keine Zeile ſchreiben.“
„Nun ſtreitet ſich das Publicum ſeit zwanzig Jah¬ ren, wer groͤßer ſey: Schiller oder ich, und ſie ſollten ſich freuen, daß uͤberall ein paar Kerle da ſind, woruͤber ſie ſtreiten koͤnnen.“
Sonnabend den 11. Juny 1825.
Goethe ſprach heute bey Tiſch ſehr viel von dem Buche des Major Parry uͤber Lord Byron. Er lobte es durchaus und bemerkte, daß Lord Byron in dieſer Darſtellung weit vollkommener und weit klarer uͤber ſich und ſeine Vorſaͤtze erſcheine, als in allem, was bisher uͤber ihn geſchrieben worden.
„Der Major Parry, fuhr Goethe fort, muß gleich¬ falls ein ſehr bedeutender, ja ein hoher Menſch ſeyn, daß er ſeinen Freund ſo rein hat auffaſſen und ſo voll¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0241"n="221"/>
zeitigen. Ja ich wuͤßte kaum einen einzigen Mann von<lb/>
Bedeutung zu nennen, dem ich durchaus recht geweſen<lb/>
waͤre. Gleich an meinem Werther tadelten ſie ſoviel,<lb/>
daß, wenn ich jede geſcholtene Stelle haͤtte tilgen wollen,<lb/>
von dem ganzen Buche keine Zeile geblieben waͤre.<lb/>
Allein aller Tadel ſchadete mir nichts, denn ſolche ſub¬<lb/>
jective Urtheile einzelner obgleich bedeutender Maͤnner<lb/>ſtellten ſich durch die Maſſe wieder ins Gleiche. Wer<lb/>
aber nicht eine Million Leſer erwartet, ſollte keine Zeile<lb/>ſchreiben.“</p><lb/><p>„Nun ſtreitet ſich das Publicum ſeit zwanzig Jah¬<lb/>
ren, wer groͤßer ſey: Schiller oder ich, und ſie ſollten<lb/>ſich freuen, daß uͤberall ein paar Kerle da ſind, woruͤber<lb/>ſie ſtreiten koͤnnen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><datelinerendition="#right">Sonnabend den 11. Juny 1825.<lb/></dateline><p>Goethe ſprach heute bey Tiſch ſehr viel von dem<lb/>
Buche des Major Parry uͤber Lord Byron. Er lobte<lb/>
es durchaus und bemerkte, daß Lord Byron in dieſer<lb/>
Darſtellung weit vollkommener und weit klarer uͤber ſich<lb/>
und ſeine Vorſaͤtze erſcheine, als in allem, was bisher<lb/>
uͤber ihn geſchrieben worden.</p><lb/><p>„Der Major Parry, fuhr Goethe fort, muß gleich¬<lb/>
falls ein ſehr bedeutender, ja ein hoher Menſch ſeyn,<lb/>
daß er ſeinen Freund ſo rein hat auffaſſen und ſo voll¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[221/0241]
zeitigen. Ja ich wuͤßte kaum einen einzigen Mann von
Bedeutung zu nennen, dem ich durchaus recht geweſen
waͤre. Gleich an meinem Werther tadelten ſie ſoviel,
daß, wenn ich jede geſcholtene Stelle haͤtte tilgen wollen,
von dem ganzen Buche keine Zeile geblieben waͤre.
Allein aller Tadel ſchadete mir nichts, denn ſolche ſub¬
jective Urtheile einzelner obgleich bedeutender Maͤnner
ſtellten ſich durch die Maſſe wieder ins Gleiche. Wer
aber nicht eine Million Leſer erwartet, ſollte keine Zeile
ſchreiben.“
„Nun ſtreitet ſich das Publicum ſeit zwanzig Jah¬
ren, wer groͤßer ſey: Schiller oder ich, und ſie ſollten
ſich freuen, daß uͤberall ein paar Kerle da ſind, woruͤber
ſie ſtreiten koͤnnen.“
Sonnabend den 11. Juny 1825.
Goethe ſprach heute bey Tiſch ſehr viel von dem
Buche des Major Parry uͤber Lord Byron. Er lobte
es durchaus und bemerkte, daß Lord Byron in dieſer
Darſtellung weit vollkommener und weit klarer uͤber ſich
und ſeine Vorſaͤtze erſcheine, als in allem, was bisher
uͤber ihn geſchrieben worden.
„Der Major Parry, fuhr Goethe fort, muß gleich¬
falls ein ſehr bedeutender, ja ein hoher Menſch ſeyn,
daß er ſeinen Freund ſo rein hat auffaſſen und ſo voll¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/241>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.