Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

zu sehen, allein was wird es da und was ist denn
überall tragisch wirksam als das Unerträgliche. --"

"Ich lese von Moliere alle Jahr einige Stücke, so
wie ich auch von Zeit zu Zeit die Kupfer nach den großen
italienischen Meistern betrachte. Denn wir kleinen Men¬
schen sind nicht fähig, die Größe solcher Dinge in uns
zu bewahren, und wir müssen daher von Zeit zu Zeit
immer dahin zurückkehren, um solche Eindrücke in uns
anzufrischen."

"Man spricht immer von Originalität, allein was
was will das sagen! So wie wir geboren werden, fängt
die Welt an, auf uns zu wirken und das geht so fort
bis ans Ende. Und überall! was können wir denn
unser Eigenes nennen, als die Energie, die Kraft, das
Wollen! -- Wenn ich sagen könnte, was ich alles
großen Vorgängern und Mitlebenden schuldig geworden
bin, so bliebe nicht viel übrig."

"Hiebey aber ist es keineswegs gleichgültig, in wel¬
cher Epoche unseres Lebens der Einfluß einer fremden
bedeutenden Persönlichkeit Statt findet."

"Daß Lessing, Winckelmann und Kant älter waren
als ich, und die beyden ersteren auf meine Jugend, der
letztere auf mein Alter wirkte, war für mich von großer
Bedeutung."

"Ferner: daß Schiller so viel jünger war und im
frischesten Streben begriffen, da ich an der Welt müde
zu werden begann; ingleichen daß die Gebrüder von

zu ſehen, allein was wird es da und was iſt denn
uͤberall tragiſch wirkſam als das Unertraͤgliche. —“

„Ich leſe von Molière alle Jahr einige Stuͤcke, ſo
wie ich auch von Zeit zu Zeit die Kupfer nach den großen
italieniſchen Meiſtern betrachte. Denn wir kleinen Men¬
ſchen ſind nicht faͤhig, die Groͤße ſolcher Dinge in uns
zu bewahren, und wir muͤſſen daher von Zeit zu Zeit
immer dahin zuruͤckkehren, um ſolche Eindruͤcke in uns
anzufriſchen.“

„Man ſpricht immer von Originalitaͤt, allein was
was will das ſagen! So wie wir geboren werden, faͤngt
die Welt an, auf uns zu wirken und das geht ſo fort
bis ans Ende. Und uͤberall! was koͤnnen wir denn
unſer Eigenes nennen, als die Energie, die Kraft, das
Wollen! — Wenn ich ſagen koͤnnte, was ich alles
großen Vorgaͤngern und Mitlebenden ſchuldig geworden
bin, ſo bliebe nicht viel uͤbrig.“

„Hiebey aber iſt es keineswegs gleichguͤltig, in wel¬
cher Epoche unſeres Lebens der Einfluß einer fremden
bedeutenden Perſoͤnlichkeit Statt findet.“

„Daß Leſſing, Winckelmann und Kant aͤlter waren
als ich, und die beyden erſteren auf meine Jugend, der
letztere auf mein Alter wirkte, war fuͤr mich von großer
Bedeutung.“

„Ferner: daß Schiller ſo viel juͤnger war und im
friſcheſten Streben begriffen, da ich an der Welt muͤde
zu werden begann; ingleichen daß die Gebruͤder von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0239" n="219"/>
zu &#x017F;ehen, allein was wird es da und was i&#x017F;t denn<lb/>
u&#x0364;berall tragi&#x017F;ch wirk&#x017F;am als das Unertra&#x0364;gliche. &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich le&#x017F;e von Moli<hi rendition="#aq">è</hi>re alle Jahr einige Stu&#x0364;cke, &#x017F;o<lb/>
wie ich auch von Zeit zu Zeit die Kupfer nach den großen<lb/>
italieni&#x017F;chen Mei&#x017F;tern betrachte. Denn wir kleinen Men¬<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;ind nicht fa&#x0364;hig, die Gro&#x0364;ße &#x017F;olcher Dinge in uns<lb/>
zu bewahren, und wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en daher von Zeit zu Zeit<lb/>
immer dahin zuru&#x0364;ckkehren, um &#x017F;olche Eindru&#x0364;cke in uns<lb/>
anzufri&#x017F;chen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Man &#x017F;pricht immer von Originalita&#x0364;t, allein was<lb/>
was will das &#x017F;agen! So wie wir geboren werden, fa&#x0364;ngt<lb/>
die Welt an, auf uns zu wirken und das geht &#x017F;o fort<lb/>
bis ans Ende. Und u&#x0364;berall! was ko&#x0364;nnen wir denn<lb/>
un&#x017F;er Eigenes nennen, als die Energie, die Kraft, das<lb/>
Wollen! &#x2014; Wenn ich &#x017F;agen ko&#x0364;nnte, was ich alles<lb/>
großen Vorga&#x0364;ngern und Mitlebenden &#x017F;chuldig geworden<lb/>
bin, &#x017F;o bliebe nicht viel u&#x0364;brig.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hiebey aber i&#x017F;t es keineswegs gleichgu&#x0364;ltig, in wel¬<lb/>
cher Epoche un&#x017F;eres Lebens der Einfluß einer fremden<lb/>
bedeutenden Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit Statt findet.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Daß Le&#x017F;&#x017F;ing, Winckelmann und Kant a&#x0364;lter waren<lb/>
als ich, und die beyden er&#x017F;teren auf meine Jugend, der<lb/>
letztere auf mein Alter wirkte, war fu&#x0364;r mich von großer<lb/>
Bedeutung.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ferner: daß Schiller &#x017F;o viel ju&#x0364;nger war und im<lb/>
fri&#x017F;che&#x017F;ten Streben begriffen, da ich an der Welt mu&#x0364;de<lb/>
zu werden begann; ingleichen daß die Gebru&#x0364;der von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0239] zu ſehen, allein was wird es da und was iſt denn uͤberall tragiſch wirkſam als das Unertraͤgliche. —“ „Ich leſe von Molière alle Jahr einige Stuͤcke, ſo wie ich auch von Zeit zu Zeit die Kupfer nach den großen italieniſchen Meiſtern betrachte. Denn wir kleinen Men¬ ſchen ſind nicht faͤhig, die Groͤße ſolcher Dinge in uns zu bewahren, und wir muͤſſen daher von Zeit zu Zeit immer dahin zuruͤckkehren, um ſolche Eindruͤcke in uns anzufriſchen.“ „Man ſpricht immer von Originalitaͤt, allein was was will das ſagen! So wie wir geboren werden, faͤngt die Welt an, auf uns zu wirken und das geht ſo fort bis ans Ende. Und uͤberall! was koͤnnen wir denn unſer Eigenes nennen, als die Energie, die Kraft, das Wollen! — Wenn ich ſagen koͤnnte, was ich alles großen Vorgaͤngern und Mitlebenden ſchuldig geworden bin, ſo bliebe nicht viel uͤbrig.“ „Hiebey aber iſt es keineswegs gleichguͤltig, in wel¬ cher Epoche unſeres Lebens der Einfluß einer fremden bedeutenden Perſoͤnlichkeit Statt findet.“ „Daß Leſſing, Winckelmann und Kant aͤlter waren als ich, und die beyden erſteren auf meine Jugend, der letztere auf mein Alter wirkte, war fuͤr mich von großer Bedeutung.“ „Ferner: daß Schiller ſo viel juͤnger war und im friſcheſten Streben begriffen, da ich an der Welt muͤde zu werden begann; ingleichen daß die Gebruͤder von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/239
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/239>, abgerufen am 25.11.2024.