bedauern, allein auch das Wenige ist unschätzbar und für begabte Menschen viel daraus zu lernen."
"Es kommt nur immer darauf an, fuhr Goethe fort, daß derjenige, von dem wir lernen wollen, unse¬ rer Natur gemäß sey. So hat z. B. Calderon, so groß er ist und so sehr ich ihn bewundere, auf mich gar keinen Einfluß gehabt, weder im Guten noch im Schlimmen. Schillern aber wäre er gefährlich gewesen, er wäre an ihm irre geworden, und es ist daher ein Glück, daß Calderon erst nach seinem Tode in Deutsch¬ land in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon ist unendlich groß im Technischen und Theatralischen; Schil¬ ler dagegen weit tüchtiger, ernster und größer im Wol¬ len und es wäre daher Schade gewesen, von solchen Tugenden vielleicht etwas einzubüßen, ohne doch die Größe Calderons in anderer Hinsicht zu erreichen."
Wir kamen auf Moliere. "Moliere, sagte Goethe, ist so groß, daß man immer von neuem erstaunt, wenn man ihn wiederlies't. Er ist ein Mann für sich, seine Stücke grenzen ans Tragische, sie sind apprehensiv und niemand hat den Muth es ihm nachzuthun. Sein Geiziger, wo das Laster zwischen Vater und Sohn alle Pietät aufhebt, ist besonders groß und im hohen Sinne tragisch. Wenn man aber in einer deutschen Bear¬ beitung aus dem Sohn einen Verwandten macht, so wird es schwach und will nicht viel mehr heißen. Man fürchtet, das Laster in seiner wahren Natur erscheinen
bedauern, allein auch das Wenige iſt unſchaͤtzbar und fuͤr begabte Menſchen viel daraus zu lernen.“
„Es kommt nur immer darauf an, fuhr Goethe fort, daß derjenige, von dem wir lernen wollen, unſe¬ rer Natur gemaͤß ſey. So hat z. B. Calderon, ſo groß er iſt und ſo ſehr ich ihn bewundere, auf mich gar keinen Einfluß gehabt, weder im Guten noch im Schlimmen. Schillern aber waͤre er gefaͤhrlich geweſen, er waͤre an ihm irre geworden, und es iſt daher ein Gluͤck, daß Calderon erſt nach ſeinem Tode in Deutſch¬ land in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon iſt unendlich groß im Techniſchen und Theatraliſchen; Schil¬ ler dagegen weit tuͤchtiger, ernſter und groͤßer im Wol¬ len und es waͤre daher Schade geweſen, von ſolchen Tugenden vielleicht etwas einzubuͤßen, ohne doch die Groͤße Calderons in anderer Hinſicht zu erreichen.“
Wir kamen auf Molière. „Molière, ſagte Goethe, iſt ſo groß, daß man immer von neuem erſtaunt, wenn man ihn wiederlieſ't. Er iſt ein Mann fuͤr ſich, ſeine Stuͤcke grenzen ans Tragiſche, ſie ſind apprehenſiv und niemand hat den Muth es ihm nachzuthun. Sein Geiziger, wo das Laſter zwiſchen Vater und Sohn alle Pietaͤt aufhebt, iſt beſonders groß und im hohen Sinne tragiſch. Wenn man aber in einer deutſchen Bear¬ beitung aus dem Sohn einen Verwandten macht, ſo wird es ſchwach und will nicht viel mehr heißen. Man fuͤrchtet, das Laſter in ſeiner wahren Natur erſcheinen
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bedauern, allein auch das Wenige iſt unſchaͤtzbar und
fuͤr begabte Menſchen viel daraus zu lernen.“
„Es kommt nur immer darauf an, fuhr Goethe
fort, daß derjenige, von dem wir lernen wollen, unſe¬
rer Natur gemaͤß ſey. So hat z. B. Calderon, ſo
groß er iſt und ſo ſehr ich ihn bewundere, auf mich
gar keinen Einfluß gehabt, weder im Guten noch im
Schlimmen. Schillern aber waͤre er gefaͤhrlich geweſen,
er waͤre an ihm irre geworden, und es iſt daher ein
Gluͤck, daß Calderon erſt nach ſeinem Tode in Deutſch¬
land in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon iſt
unendlich groß im Techniſchen und Theatraliſchen; Schil¬
ler dagegen weit tuͤchtiger, ernſter und groͤßer im Wol¬
len und es waͤre daher Schade geweſen, von ſolchen
Tugenden vielleicht etwas einzubuͤßen, ohne doch die
Groͤße Calderons in anderer Hinſicht zu erreichen.“
Wir kamen auf Molière. „Molière, ſagte Goethe,
iſt ſo groß, daß man immer von neuem erſtaunt, wenn
man ihn wiederlieſ't. Er iſt ein Mann fuͤr ſich, ſeine
Stuͤcke grenzen ans Tragiſche, ſie ſind apprehenſiv und
niemand hat den Muth es ihm nachzuthun. Sein
Geiziger, wo das Laſter zwiſchen Vater und Sohn alle
Pietaͤt aufhebt, iſt beſonders groß und im hohen Sinne
tragiſch. Wenn man aber in einer deutſchen Bear¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/238>, abgerufen am 22.11.2024.
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