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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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Aus gleicher Ursache schätzt und rühmt er an seinem
Freunde Meyer, daß dieser ausschließlich auf das
Studium der Kunst sein ganzes Leben verwendet habe,
wodurch man ihm denn die höchste Einsicht in diesem
Fache zugestehen müsse.

"Ich bin auch in solcher Richtung frühzeitig her¬
gekommen, sagte Goethe, und habe auch fast ein halbes
Leben an Betrachtung und Studium von Kunstwerken
gewendet, aber Meyern kann ich es denn doch in ge¬
wisser Hinsicht nicht gleich thun. Ich hüte mich daher
auch wohl, ein neues Gemälde diesem Freunde sogleich
zu zeigen, sondern ich sehe zuvor zu, wieweit ich ihm
meinerseits beykommen kann. Glaube ich nun, über
das Gelungene und Mangelhafte völlig im Klaren zu
seyn, so zeige ich es Meyern, der denn freylich weit
schärfer sieht, und dem in manchem Betracht noch ganz
andere Lichter dabey aufgehen. Und so sehe ich immer
von neuem, was es sagen will und was dazu gehört,
um in einer Sache durchaus groß zu seyn. In
Meyern liegt eine Kunst-Einsicht von ganzen Jahr¬
tausenden."

Nun aber könnte man fragen, warum denn Goethe,
wenn er so lebhaft durchdrungen sey, daß der Mensch
nur ein Einziges thun solle, warum denn gerade er
selbst sein Leben an so höchst vielseitige Richtungen ver¬
wendet habe?

Hierauf antworte ich, daß, wenn Goethe jetzt in

Aus gleicher Urſache ſchaͤtzt und ruͤhmt er an ſeinem
Freunde Meyer, daß dieſer ausſchließlich auf das
Studium der Kunſt ſein ganzes Leben verwendet habe,
wodurch man ihm denn die hoͤchſte Einſicht in dieſem
Fache zugeſtehen muͤſſe.

„Ich bin auch in ſolcher Richtung fruͤhzeitig her¬
gekommen, ſagte Goethe, und habe auch faſt ein halbes
Leben an Betrachtung und Studium von Kunſtwerken
gewendet, aber Meyern kann ich es denn doch in ge¬
wiſſer Hinſicht nicht gleich thun. Ich huͤte mich daher
auch wohl, ein neues Gemaͤlde dieſem Freunde ſogleich
zu zeigen, ſondern ich ſehe zuvor zu, wieweit ich ihm
meinerſeits beykommen kann. Glaube ich nun, uͤber
das Gelungene und Mangelhafte voͤllig im Klaren zu
ſeyn, ſo zeige ich es Meyern, der denn freylich weit
ſchaͤrfer ſieht, und dem in manchem Betracht noch ganz
andere Lichter dabey aufgehen. Und ſo ſehe ich immer
von neuem, was es ſagen will und was dazu gehoͤrt,
um in einer Sache durchaus groß zu ſeyn. In
Meyern liegt eine Kunſt-Einſicht von ganzen Jahr¬
tauſenden.“

Nun aber koͤnnte man fragen, warum denn Goethe,
wenn er ſo lebhaft durchdrungen ſey, daß der Menſch
nur ein Einziges thun ſolle, warum denn gerade er
ſelbſt ſein Leben an ſo hoͤchſt vielſeitige Richtungen ver¬
wendet habe?

Hierauf antworte ich, daß, wenn Goethe jetzt in

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[215/0235] Aus gleicher Urſache ſchaͤtzt und ruͤhmt er an ſeinem Freunde Meyer, daß dieſer ausſchließlich auf das Studium der Kunſt ſein ganzes Leben verwendet habe, wodurch man ihm denn die hoͤchſte Einſicht in dieſem Fache zugeſtehen muͤſſe. „Ich bin auch in ſolcher Richtung fruͤhzeitig her¬ gekommen, ſagte Goethe, und habe auch faſt ein halbes Leben an Betrachtung und Studium von Kunſtwerken gewendet, aber Meyern kann ich es denn doch in ge¬ wiſſer Hinſicht nicht gleich thun. Ich huͤte mich daher auch wohl, ein neues Gemaͤlde dieſem Freunde ſogleich zu zeigen, ſondern ich ſehe zuvor zu, wieweit ich ihm meinerſeits beykommen kann. Glaube ich nun, uͤber das Gelungene und Mangelhafte voͤllig im Klaren zu ſeyn, ſo zeige ich es Meyern, der denn freylich weit ſchaͤrfer ſieht, und dem in manchem Betracht noch ganz andere Lichter dabey aufgehen. Und ſo ſehe ich immer von neuem, was es ſagen will und was dazu gehoͤrt, um in einer Sache durchaus groß zu ſeyn. In Meyern liegt eine Kunſt-Einſicht von ganzen Jahr¬ tauſenden.“ Nun aber koͤnnte man fragen, warum denn Goethe, wenn er ſo lebhaft durchdrungen ſey, daß der Menſch nur ein Einziges thun ſolle, warum denn gerade er ſelbſt ſein Leben an ſo hoͤchſt vielſeitige Richtungen ver¬ wendet habe? Hierauf antworte ich, daß, wenn Goethe jetzt in

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/235>, abgerufen am 25.11.2024.