läßt sich sehr wohl sagen, baß er an seiner Zügellosigkeit zu Grunde gegangen ist."
"Er war gar zu dunkel über sich selbst. Er lebte im¬ mer leidenschaftlich in den Tag hin und wußte und be¬ dachte nicht, was er that. Sich selber alles erlaubend und an Andern nichts billigend, mußte er es mit sich selbst verderben und die Welt gegen sich aufregen. Mit seinen English Bards and Scotch Reviewers verletzte er gleich anfänglich die vorzüglichsten Literatoren. Um nachher nur zu leben, mußte er einen Schritt zurücktreten. In seinen folgenden Werken ging er in Opposition und Mißbilligung fort; Staat und Kirche blieben nicht unangetastet. Die¬ ses rücksichtslose Hinwirken trieb ihn aus England und hätte ihn mit der Zeit auch aus Europa getrieben. Es war ihm überall zu enge, und bey der gränzenlosesten persönlichen Freyheit fühlte er sich beklommen; die Welt war ihm wie ein Gefängniß. Sein Gehen nach Grie¬ chenland war kein freiwilliger Entschluß, sein Mißver¬ hältniß mit der Welt trieb ihn dazu."
"Daß er sich vom Herkömmlichen, Patriotischen, lossagte, hat nicht allein einen so vorzüglichen Menschen persönlich zu Grunde gerichtet, sondern sein revolutio¬ närer Sinn und die damit verbundene beständige Agi¬ tation des Gemüths hat auch sein Talent nicht zur ge¬ hörigen Entwickelung kommen lassen. Auch ist die ewige Opposition und Mißbilligung seinen vortrefflichen Wer¬ ken selbst, so wie sie daliegen, höchst schädlich. Denn
laͤßt ſich ſehr wohl ſagen, baß er an ſeiner Zuͤgelloſigkeit zu Grunde gegangen iſt.“
„Er war gar zu dunkel uͤber ſich ſelbſt. Er lebte im¬ mer leidenſchaftlich in den Tag hin und wußte und be¬ dachte nicht, was er that. Sich ſelber alles erlaubend und an Andern nichts billigend, mußte er es mit ſich ſelbſt verderben und die Welt gegen ſich aufregen. Mit ſeinen English Bards and Scotch Reviewers verletzte er gleich anfaͤnglich die vorzuͤglichſten Literatoren. Um nachher nur zu leben, mußte er einen Schritt zuruͤcktreten. In ſeinen folgenden Werken ging er in Oppoſition und Mißbilligung fort; Staat und Kirche blieben nicht unangetaſtet. Die¬ ſes ruͤckſichtsloſe Hinwirken trieb ihn aus England und haͤtte ihn mit der Zeit auch aus Europa getrieben. Es war ihm uͤberall zu enge, und bey der graͤnzenloſeſten perſoͤnlichen Freyheit fuͤhlte er ſich beklommen; die Welt war ihm wie ein Gefaͤngniß. Sein Gehen nach Grie¬ chenland war kein freiwilliger Entſchluß, ſein Mißver¬ haͤltniß mit der Welt trieb ihn dazu.“
„Daß er ſich vom Herkoͤmmlichen, Patriotiſchen, losſagte, hat nicht allein einen ſo vorzuͤglichen Menſchen perſoͤnlich zu Grunde gerichtet, ſondern ſein revolutio¬ naͤrer Sinn und die damit verbundene beſtaͤndige Agi¬ tation des Gemuͤths hat auch ſein Talent nicht zur ge¬ hoͤrigen Entwickelung kommen laſſen. Auch iſt die ewige Oppoſition und Mißbilligung ſeinen vortrefflichen Wer¬ ken ſelbſt, ſo wie ſie daliegen, hoͤchſt ſchaͤdlich. Denn
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laͤßt ſich ſehr wohl ſagen, baß er an ſeiner Zuͤgelloſigkeit
zu Grunde gegangen iſt.“
„Er war gar zu dunkel uͤber ſich ſelbſt. Er lebte im¬
mer leidenſchaftlich in den Tag hin und wußte und be¬
dachte nicht, was er that. Sich ſelber alles erlaubend und
an Andern nichts billigend, mußte er es mit ſich ſelbſt
verderben und die Welt gegen ſich aufregen. Mit ſeinen
English Bards and Scotch Reviewers verletzte er gleich
anfaͤnglich die vorzuͤglichſten Literatoren. Um nachher nur
zu leben, mußte er einen Schritt zuruͤcktreten. In ſeinen
folgenden Werken ging er in Oppoſition und Mißbilligung
fort; Staat und Kirche blieben nicht unangetaſtet. Die¬
ſes ruͤckſichtsloſe Hinwirken trieb ihn aus England und
haͤtte ihn mit der Zeit auch aus Europa getrieben. Es
war ihm uͤberall zu enge, und bey der graͤnzenloſeſten
perſoͤnlichen Freyheit fuͤhlte er ſich beklommen; die Welt
war ihm wie ein Gefaͤngniß. Sein Gehen nach Grie¬
chenland war kein freiwilliger Entſchluß, ſein Mißver¬
haͤltniß mit der Welt trieb ihn dazu.“
„Daß er ſich vom Herkoͤmmlichen, Patriotiſchen,
losſagte, hat nicht allein einen ſo vorzuͤglichen Menſchen
perſoͤnlich zu Grunde gerichtet, ſondern ſein revolutio¬
naͤrer Sinn und die damit verbundene beſtaͤndige Agi¬
tation des Gemuͤths hat auch ſein Talent nicht zur ge¬
hoͤrigen Entwickelung kommen laſſen. Auch iſt die ewige
Oppoſition und Mißbilligung ſeinen vortrefflichen Wer¬
ken ſelbſt, ſo wie ſie daliegen, hoͤchſt ſchaͤdlich. Denn
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/223>, abgerufen am 22.11.2024.
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