er auch nicht für vieles Motiviren. Ich weiß, was ich mit ihm beym Tell für Noth hatte, wo er geradezu den Geßler einen Apfel vom Baum brechen und vom Kopf des Knaben schießen lassen wollte. Dieß war nun ganz gegen meine Natur, und ich überredete ihn, diese Grau¬ samkeit doch wenigstens dadurch zu motiviren, daß er Tells Knaben mit der Geschicklichkeit seines Vaters gegen den Landvogt groß thun lasse, indem er sagt, daß er wohl auf hundert Schritte ein Apfel vom Baum schieße. Schiller wollte anfänglich nicht daran, aber er gab doch endlich meinen Vorstellungen und Bitten nach und machte es so wie ich ihm gerathen."
"Daß ich dagegen oft zu viel motivirte, entfernte meine Stücke vom Theater. Meine Eugenie ist eine Kette von lauter Motiven und dieß kann auf der Bühne kein Glück machen."
"Schillers Talent war recht fürs Theater geschaffen. Mit jedem Stück schritt er vor und ward er vollen¬ deter; doch war es wunderlich, daß ihm noch von den Räubern her ein gewisser Sinn für das Grausame anklebte, der selbst in seiner schönsten Zeit ihn nie ganz verlassen wollte. So erinnere ich mich noch recht wohl, daß er im Egmont in der Gefängnißscene, wo diesem das Urtheil vorgelesen wird, den Alba in einer Maske und in einen Mantel gehüllt im Hintergrunde erscheinen ließ, um sich an dem Effect zu weiden, den das Todes- Urtheil auf Egmont haben würde. Hiedurch sollte sich
er auch nicht fuͤr vieles Motiviren. Ich weiß, was ich mit ihm beym Tell fuͤr Noth hatte, wo er geradezu den Geßler einen Apfel vom Baum brechen und vom Kopf des Knaben ſchießen laſſen wollte. Dieß war nun ganz gegen meine Natur, und ich uͤberredete ihn, dieſe Grau¬ ſamkeit doch wenigſtens dadurch zu motiviren, daß er Tells Knaben mit der Geſchicklichkeit ſeines Vaters gegen den Landvogt groß thun laſſe, indem er ſagt, daß er wohl auf hundert Schritte ein Apfel vom Baum ſchieße. Schiller wollte anfaͤnglich nicht daran, aber er gab doch endlich meinen Vorſtellungen und Bitten nach und machte es ſo wie ich ihm gerathen.“
„Daß ich dagegen oft zu viel motivirte, entfernte meine Stuͤcke vom Theater. Meine Eugenie iſt eine Kette von lauter Motiven und dieß kann auf der Buͤhne kein Gluͤck machen.“
„Schillers Talent war recht fuͤrs Theater geſchaffen. Mit jedem Stuͤck ſchritt er vor und ward er vollen¬ deter; doch war es wunderlich, daß ihm noch von den Raͤubern her ein gewiſſer Sinn fuͤr das Grauſame anklebte, der ſelbſt in ſeiner ſchoͤnſten Zeit ihn nie ganz verlaſſen wollte. So erinnere ich mich noch recht wohl, daß er im Egmont in der Gefaͤngnißſcene, wo dieſem das Urtheil vorgeleſen wird, den Alba in einer Maske und in einen Mantel gehuͤllt im Hintergrunde erſcheinen ließ, um ſich an dem Effect zu weiden, den das Todes- Urtheil auf Egmont haben wuͤrde. Hiedurch ſollte ſich
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er auch nicht fuͤr vieles Motiviren. Ich weiß, was ich
mit ihm beym Tell fuͤr Noth hatte, wo er geradezu den
Geßler einen Apfel vom Baum brechen und vom Kopf
des Knaben ſchießen laſſen wollte. Dieß war nun ganz
gegen meine Natur, und ich uͤberredete ihn, dieſe Grau¬
ſamkeit doch wenigſtens dadurch zu motiviren, daß er
Tells Knaben mit der Geſchicklichkeit ſeines Vaters
gegen den Landvogt groß thun laſſe, indem er ſagt,
daß er wohl auf hundert Schritte ein Apfel vom Baum
ſchieße. Schiller wollte anfaͤnglich nicht daran, aber er
gab doch endlich meinen Vorſtellungen und Bitten nach
und machte es ſo wie ich ihm gerathen.“
„Daß ich dagegen oft zu viel motivirte, entfernte
meine Stuͤcke vom Theater. Meine Eugenie iſt eine
Kette von lauter Motiven und dieß kann auf der Buͤhne
kein Gluͤck machen.“
„Schillers Talent war recht fuͤrs Theater geſchaffen.
Mit jedem Stuͤck ſchritt er vor und ward er vollen¬
deter; doch war es wunderlich, daß ihm noch von
den Raͤubern her ein gewiſſer Sinn fuͤr das Grauſame
anklebte, der ſelbſt in ſeiner ſchoͤnſten Zeit ihn nie ganz
verlaſſen wollte. So erinnere ich mich noch recht wohl,
daß er im Egmont in der Gefaͤngnißſcene, wo dieſem
das Urtheil vorgeleſen wird, den Alba in einer Maske
und in einen Mantel gehuͤllt im Hintergrunde erſcheinen
ließ, um ſich an dem Effect zu weiden, den das Todes-
Urtheil auf Egmont haben wuͤrde. Hiedurch ſollte ſich
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/217>, abgerufen am 24.11.2024.
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