Der großen Cultur der mittleren Stände ward dar¬ auf gedacht, die sich seit den letzten funfzig Jahren über Deutschland verbreitet, und Goethe schrieb die Verdienste hierum weniger Lessingen zu, als Herdern und Wieland. "Lessing, sagte er, war der höchste Verstand, und nur ein eben so großer konnte von ihm wahrhaft lernen. Dem Halbvermögen war er gefährlich" Er nannte einen Journalisten, der sich nach Lessing gebildet und am Ende des vorigen Jahrhunderts eine Rolle, aber keine edle gespielt habe, weil er seinem großen Vor¬ gänger so weit nachgestanden.
"Wielanden, sagte Goethe, verdankt das ganze obere Deutschland seinen Styl. Es hat viel von ihm gelernt und die Fähigkeit sich gehörig auszudrücken ist nicht das geringste."
Bey Erwähnung der Xenien rühmte Goethe be¬ sonders die von Schiller, die er scharf und schlagend nannte, dagegen seine eigenen unschuldig und geringe. "Den Thierkreis, sagte er, welcher von Schiller ist, lese ich stets mit Bewunderung. Die guten Wirkungen, die sie zu ihrer Zeit auf die deutsche Literatur ausübten, sind gar nicht zu berechnen." Viele Personen wurden bey dieser Gelegenheit genannt, gegen welche die Xenien gerichtet waren; ihre Namen sind jedoch meinem Ge¬ dächtniß entgangen.
Nachdem nun so, von diesen und hundert andern interessanten Äußerungen und Einflechtungen Goethe's
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Der großen Cultur der mittleren Staͤnde ward dar¬ auf gedacht, die ſich ſeit den letzten funfzig Jahren uͤber Deutſchland verbreitet, und Goethe ſchrieb die Verdienſte hierum weniger Leſſingen zu, als Herdern und Wieland. „Leſſing, ſagte er, war der hoͤchſte Verſtand, und nur ein eben ſo großer konnte von ihm wahrhaft lernen. Dem Halbvermoͤgen war er gefaͤhrlich“ Er nannte einen Journaliſten, der ſich nach Leſſing gebildet und am Ende des vorigen Jahrhunderts eine Rolle, aber keine edle geſpielt habe, weil er ſeinem großen Vor¬ gaͤnger ſo weit nachgeſtanden.
„Wielanden, ſagte Goethe, verdankt das ganze obere Deutſchland ſeinen Styl. Es hat viel von ihm gelernt und die Faͤhigkeit ſich gehoͤrig auszudruͤcken iſt nicht das geringſte.“
Bey Erwaͤhnung der Xenien ruͤhmte Goethe be¬ ſonders die von Schiller, die er ſcharf und ſchlagend nannte, dagegen ſeine eigenen unſchuldig und geringe. „Den Thierkreis, ſagte er, welcher von Schiller iſt, leſe ich ſtets mit Bewunderung. Die guten Wirkungen, die ſie zu ihrer Zeit auf die deutſche Literatur ausuͤbten, ſind gar nicht zu berechnen.“ Viele Perſonen wurden bey dieſer Gelegenheit genannt, gegen welche die Xenien gerichtet waren; ihre Namen ſind jedoch meinem Ge¬ daͤchtniß entgangen.
Nachdem nun ſo, von dieſen und hundert andern intereſſanten Äußerungen und Einflechtungen Goethe's
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Der großen Cultur der mittleren Staͤnde ward dar¬
auf gedacht, die ſich ſeit den letzten funfzig Jahren uͤber
Deutſchland verbreitet, und Goethe ſchrieb die Verdienſte
hierum weniger Leſſingen zu, als Herdern und Wieland.
„Leſſing, ſagte er, war der hoͤchſte Verſtand, und nur
ein eben ſo großer konnte von ihm wahrhaft lernen.
Dem Halbvermoͤgen war er gefaͤhrlich“ Er nannte
einen Journaliſten, der ſich nach Leſſing gebildet und
am Ende des vorigen Jahrhunderts eine Rolle, aber
keine edle geſpielt habe, weil er ſeinem großen Vor¬
gaͤnger ſo weit nachgeſtanden.
„Wielanden, ſagte Goethe, verdankt das ganze obere
Deutſchland ſeinen Styl. Es hat viel von ihm gelernt
und die Faͤhigkeit ſich gehoͤrig auszudruͤcken iſt nicht das
geringſte.“
Bey Erwaͤhnung der Xenien ruͤhmte Goethe be¬
ſonders die von Schiller, die er ſcharf und ſchlagend
nannte, dagegen ſeine eigenen unſchuldig und geringe.
„Den Thierkreis, ſagte er, welcher von Schiller iſt,
leſe ich ſtets mit Bewunderung. Die guten Wirkungen,
die ſie zu ihrer Zeit auf die deutſche Literatur ausuͤbten,
ſind gar nicht zu berechnen.“ Viele Perſonen wurden
bey dieſer Gelegenheit genannt, gegen welche die Xenien
gerichtet waren; ihre Namen ſind jedoch meinem Ge¬
daͤchtniß entgangen.
Nachdem nun ſo, von dieſen und hundert andern
intereſſanten Äußerungen und Einflechtungen Goethe's
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/215>, abgerufen am 24.11.2024.
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