Scene meines Egmonts und er hatte ein Recht dazu, und weil es mit Verstand geschah, so ist er zu loben. So auch hat er den Character meiner Mignon in einem seiner Romane nachgebildet; ob aber mit eben so viel Weisheit? ist eine andere Frage. Lord Byrons ver¬ wandelter Teufel ist ein fortgesetzter Mephistopheles, und das ist recht! hätte er aus origineller Grille ausweichen wollen, er hätte es schlechter machen müssen. So singt mein Mephistopheles ein Lied von Shakspeare, und warum sollte er das nicht? warum sollte ich mir die Mühe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakspeare eben recht war und eben das sagte, was es sollte? Hat daher auch die Exposition meines Faust mit der des Hiob einige Ähnlichkeit, so ist das wie¬ derum ganz recht und ich bin deßwegen eher zu loben als zu tadeln."
Goethe war in der besten Laune. Er ließ eine Flasche Wein kommen, wovon er Riemern und mir einschenkte; er selbst trank Marienbader Wasser. Der Abend schien bestimmt zu seyn, mit Riemern das Ma¬ nuscript seiner fortgesetzten Selbstbiographie durchzugehen, um vielleicht hinsichtlich des Ausdruckes hin und wieder noch Einiges zu verbessern. "Eckermann bleibt wohl bey uns und hört mit zu," sagte Goethe, welches mir sehr lieb war zu vernehmen, und so legte er denn Rie¬ mern das Manuscript vor, der mit dem Jahre 1795 zu lesen anfing.
Scene meines Egmonts und er hatte ein Recht dazu, und weil es mit Verſtand geſchah, ſo iſt er zu loben. So auch hat er den Character meiner Mignon in einem ſeiner Romane nachgebildet; ob aber mit eben ſo viel Weisheit? iſt eine andere Frage. Lord Byrons ver¬ wandelter Teufel iſt ein fortgeſetzter Mephiſtopheles, und das iſt recht! haͤtte er aus origineller Grille ausweichen wollen, er haͤtte es ſchlechter machen muͤſſen. So ſingt mein Mephiſtopheles ein Lied von Shakſpeare, und warum ſollte er das nicht? warum ſollte ich mir die Muͤhe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakſpeare eben recht war und eben das ſagte, was es ſollte? Hat daher auch die Expoſition meines Fauſt mit der des Hiob einige Ähnlichkeit, ſo iſt das wie¬ derum ganz recht und ich bin deßwegen eher zu loben als zu tadeln.“
Goethe war in der beſten Laune. Er ließ eine Flaſche Wein kommen, wovon er Riemern und mir einſchenkte; er ſelbſt trank Marienbader Waſſer. Der Abend ſchien beſtimmt zu ſeyn, mit Riemern das Ma¬ nuſcript ſeiner fortgeſetzten Selbſtbiographie durchzugehen, um vielleicht hinſichtlich des Ausdruckes hin und wieder noch Einiges zu verbeſſern. „Eckermann bleibt wohl bey uns und hoͤrt mit zu,“ ſagte Goethe, welches mir ſehr lieb war zu vernehmen, und ſo legte er denn Rie¬ mern das Manuſcript vor, der mit dem Jahre 1795 zu leſen anfing.
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Scene meines Egmonts und er hatte ein Recht dazu, und
weil es mit Verſtand geſchah, ſo iſt er zu loben. So
auch hat er den Character meiner Mignon in einem
ſeiner Romane nachgebildet; ob aber mit eben ſo viel
Weisheit? iſt eine andere Frage. Lord Byrons ver¬
wandelter Teufel iſt ein fortgeſetzter Mephiſtopheles, und
das iſt recht! haͤtte er aus origineller Grille ausweichen
wollen, er haͤtte es ſchlechter machen muͤſſen. So ſingt
mein Mephiſtopheles ein Lied von Shakſpeare, und
warum ſollte er das nicht? warum ſollte ich mir die
Muͤhe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von
Shakſpeare eben recht war und eben das ſagte, was es
ſollte? Hat daher auch die Expoſition meines Fauſt
mit der des Hiob einige Ähnlichkeit, ſo iſt das wie¬
derum ganz recht und ich bin deßwegen eher zu loben
als zu tadeln.“
Goethe war in der beſten Laune. Er ließ eine
Flaſche Wein kommen, wovon er Riemern und mir
einſchenkte; er ſelbſt trank Marienbader Waſſer. Der
Abend ſchien beſtimmt zu ſeyn, mit Riemern das Ma¬
nuſcript ſeiner fortgeſetzten Selbſtbiographie durchzugehen,
um vielleicht hinſichtlich des Ausdruckes hin und wieder
noch Einiges zu verbeſſern. „Eckermann bleibt wohl
bey uns und hoͤrt mit zu,“ ſagte Goethe, welches mir
ſehr lieb war zu vernehmen, und ſo legte er denn Rie¬
mern das Manuſcript vor, der mit dem Jahre 1795
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/212>, abgerufen am 24.11.2024.
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