Ich ging heute um fünf Uhr zu Goethe, den ich in einigen Tagen nicht gesehen hatte, und verlebte mit ihm einen schönen Abend. Ich fand ihn in seiner Arbeits¬ stube in der Dämmerung sitzend in Gesprächen mit sei¬ nem Sohn und dem Hofrath Rehbein, seinem Arzt. Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch. Wir sprachen noch eine Weile in der Dämmerung, dann ward Licht gebracht und ich hatte die Freude, Goethe vollkommen frisch und heiter vor mir zu sehen.
Er erkundigte sich, wie gewöhnlich, theilnehmend nach dem, was mir in diesen Tagen Neues begegnet, und ich erzählte ihm, daß ich die Bekanntschaft einer Dichterin gemacht habe. Ich konnte zugleich ihr nicht gewöhnliches Talent rühmen, und Goethe, der einige ihrer Producte gleichfalls kannte, stimmte in dieses Lob mit ein. "Eins von ihren Gedichten, sagte er, wo sie eine Gegend ihrer Heimath beschreibt, ist von einem höchst eigenthümlichen Character. Sie hat eine gute Richtung auf äußere Gegenstände, auch fehlt es ihr nicht an guten inneren Eigenschaften. Freylich wäre auch manches an ihr auszusetzen, wir wollen sie jedoch gehen lassen und sie auf dem Wege nicht irren, den das Talent ihr zeigen wird."
Das Gespräch kam nun auf die Dichterinnen im
Dienſtag den 18. Januar 1825.
Ich ging heute um fuͤnf Uhr zu Goethe, den ich in einigen Tagen nicht geſehen hatte, und verlebte mit ihm einen ſchoͤnen Abend. Ich fand ihn in ſeiner Arbeits¬ ſtube in der Daͤmmerung ſitzend in Geſpraͤchen mit ſei¬ nem Sohn und dem Hofrath Rehbein, ſeinem Arzt. Ich ſetzte mich zu ihnen an den Tiſch. Wir ſprachen noch eine Weile in der Daͤmmerung, dann ward Licht gebracht und ich hatte die Freude, Goethe vollkommen friſch und heiter vor mir zu ſehen.
Er erkundigte ſich, wie gewoͤhnlich, theilnehmend nach dem, was mir in dieſen Tagen Neues begegnet, und ich erzaͤhlte ihm, daß ich die Bekanntſchaft einer Dichterin gemacht habe. Ich konnte zugleich ihr nicht gewoͤhnliches Talent ruͤhmen, und Goethe, der einige ihrer Producte gleichfalls kannte, ſtimmte in dieſes Lob mit ein. „Eins von ihren Gedichten, ſagte er, wo ſie eine Gegend ihrer Heimath beſchreibt, iſt von einem hoͤchſt eigenthuͤmlichen Character. Sie hat eine gute Richtung auf aͤußere Gegenſtaͤnde, auch fehlt es ihr nicht an guten inneren Eigenſchaften. Freylich waͤre auch manches an ihr auszuſetzen, wir wollen ſie jedoch gehen laſſen und ſie auf dem Wege nicht irren, den das Talent ihr zeigen wird.“
Das Geſpraͤch kam nun auf die Dichterinnen im
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Dienſtag den 18. Januar 1825.
Ich ging heute um fuͤnf Uhr zu Goethe, den ich in
einigen Tagen nicht geſehen hatte, und verlebte mit ihm
einen ſchoͤnen Abend. Ich fand ihn in ſeiner Arbeits¬
ſtube in der Daͤmmerung ſitzend in Geſpraͤchen mit ſei¬
nem Sohn und dem Hofrath Rehbein, ſeinem Arzt.
Ich ſetzte mich zu ihnen an den Tiſch. Wir ſprachen
noch eine Weile in der Daͤmmerung, dann ward Licht
gebracht und ich hatte die Freude, Goethe vollkommen
friſch und heiter vor mir zu ſehen.
Er erkundigte ſich, wie gewoͤhnlich, theilnehmend
nach dem, was mir in dieſen Tagen Neues begegnet,
und ich erzaͤhlte ihm, daß ich die Bekanntſchaft einer
Dichterin gemacht habe. Ich konnte zugleich ihr nicht
gewoͤhnliches Talent ruͤhmen, und Goethe, der einige
ihrer Producte gleichfalls kannte, ſtimmte in dieſes Lob
mit ein. „Eins von ihren Gedichten, ſagte er, wo ſie
eine Gegend ihrer Heimath beſchreibt, iſt von einem
hoͤchſt eigenthuͤmlichen Character. Sie hat eine gute
Richtung auf aͤußere Gegenſtaͤnde, auch fehlt es ihr
nicht an guten inneren Eigenſchaften. Freylich waͤre
auch manches an ihr auszuſetzen, wir wollen ſie jedoch
gehen laſſen und ſie auf dem Wege nicht irren, den das
Talent ihr zeigen wird.“
Das Geſpraͤch kam nun auf die Dichterinnen im
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/205>, abgerufen am 24.11.2024.
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