fünfzig Jahren mit der englischen Sprache und Lite¬ ratur, so daß ich Ihre Schriftsteller und das Leben und die Einrichtung Ihres Landes sehr gut kenne. Käme ich nach England hinüber, ich würde kein Frem¬ der seyn."
"Aber, wie gesagt, Ihre jungen Landsleute thun wohl, daß sie jetzt zu uns kommen und auch unsere Sprache lernen. Denn nicht allein, daß unsere eigene Literatur es an sich verdient, sondern es ist auch nicht zu läugnen, daß, wenn einer jetzt das Deutsche gut ver¬ steht, er viele andere Sprachen entbehren kann. Von der französischen rede ich nicht, sie ist die Sprache des Umgangs und ganz besonders auf Reisen unentbehrlich, weil sie jeder versteht und man sich in allen Ländern mit ihr, statt eines guten Dolmetschers aushelfen kann. Was aber das Griechische, Lateinische, Italienische und Spa¬ nische betrifft, so können wir die vorzüglichsten Werke dieser Nationen in so guten deutschen Übersetzungen lesen, daß wir, ohne ganz besondere Zwecke nicht Ursache ha¬ ben, auf die mühsame Erlernung jener Sprachen viele Zeit zu verwenden. Es liegt in der deutschen Natur, alles Ausländische in seiner Art zu würdigen und sich fremder Eigenthümlichkeit zu bequemen. Dieses, und die große Fügsamkeit unserer Sprache macht denn die deutschen Übersetzungen durchaus treu und vollkommen."
"Und dann ist wohl nicht zu läugnen, daß man im Allgemeinen mit einer guten Übersetzung sehr weit
fuͤnfzig Jahren mit der engliſchen Sprache und Lite¬ ratur, ſo daß ich Ihre Schriftſteller und das Leben und die Einrichtung Ihres Landes ſehr gut kenne. Kaͤme ich nach England hinuͤber, ich wuͤrde kein Frem¬ der ſeyn.“
„Aber, wie geſagt, Ihre jungen Landsleute thun wohl, daß ſie jetzt zu uns kommen und auch unſere Sprache lernen. Denn nicht allein, daß unſere eigene Literatur es an ſich verdient, ſondern es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß, wenn einer jetzt das Deutſche gut ver¬ ſteht, er viele andere Sprachen entbehren kann. Von der franzoͤſiſchen rede ich nicht, ſie iſt die Sprache des Umgangs und ganz beſonders auf Reiſen unentbehrlich, weil ſie jeder verſteht und man ſich in allen Laͤndern mit ihr, ſtatt eines guten Dolmetſchers aushelfen kann. Was aber das Griechiſche, Lateiniſche, Italieniſche und Spa¬ niſche betrifft, ſo koͤnnen wir die vorzuͤglichſten Werke dieſer Nationen in ſo guten deutſchen Überſetzungen leſen, daß wir, ohne ganz beſondere Zwecke nicht Urſache ha¬ ben, auf die muͤhſame Erlernung jener Sprachen viele Zeit zu verwenden. Es liegt in der deutſchen Natur, alles Auslaͤndiſche in ſeiner Art zu wuͤrdigen und ſich fremder Eigenthuͤmlichkeit zu bequemen. Dieſes, und die große Fuͤgſamkeit unſerer Sprache macht denn die deutſchen Überſetzungen durchaus treu und vollkommen.“
„Und dann iſt wohl nicht zu laͤugnen, daß man im Allgemeinen mit einer guten Überſetzung ſehr weit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0201"n="181"/>
fuͤnfzig Jahren mit der engliſchen Sprache und Lite¬<lb/>
ratur, ſo daß ich Ihre Schriftſteller und das Leben<lb/>
und die Einrichtung Ihres Landes ſehr gut kenne.<lb/>
Kaͤme ich nach England hinuͤber, ich wuͤrde kein Frem¬<lb/>
der ſeyn.“</p><lb/><p>„Aber, wie geſagt, Ihre jungen Landsleute thun<lb/>
wohl, daß ſie jetzt zu uns kommen und auch unſere<lb/>
Sprache lernen. Denn nicht allein, daß unſere eigene<lb/>
Literatur es an ſich verdient, ſondern es iſt auch nicht<lb/>
zu laͤugnen, daß, wenn einer jetzt das Deutſche gut ver¬<lb/>ſteht, er viele andere Sprachen entbehren kann. Von<lb/>
der franzoͤſiſchen rede ich nicht, ſie iſt die Sprache des<lb/>
Umgangs und ganz beſonders auf Reiſen unentbehrlich,<lb/>
weil ſie jeder verſteht und man ſich in allen Laͤndern<lb/>
mit ihr, ſtatt eines guten Dolmetſchers aushelfen kann.<lb/>
Was aber das Griechiſche, Lateiniſche, Italieniſche und Spa¬<lb/>
niſche betrifft, ſo koͤnnen wir die vorzuͤglichſten Werke<lb/>
dieſer Nationen in ſo guten deutſchen Überſetzungen leſen,<lb/>
daß wir, ohne ganz beſondere Zwecke nicht Urſache ha¬<lb/>
ben, auf die muͤhſame Erlernung jener Sprachen viele<lb/>
Zeit zu verwenden. Es liegt in der deutſchen Natur,<lb/>
alles Auslaͤndiſche in ſeiner Art zu wuͤrdigen und ſich<lb/>
fremder Eigenthuͤmlichkeit zu bequemen. Dieſes, und<lb/>
die große Fuͤgſamkeit unſerer Sprache macht denn die<lb/>
deutſchen Überſetzungen durchaus treu und vollkommen.“</p><lb/><p>„Und dann iſt wohl nicht zu laͤugnen, daß man<lb/>
im Allgemeinen mit einer guten Überſetzung ſehr weit<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[181/0201]
fuͤnfzig Jahren mit der engliſchen Sprache und Lite¬
ratur, ſo daß ich Ihre Schriftſteller und das Leben
und die Einrichtung Ihres Landes ſehr gut kenne.
Kaͤme ich nach England hinuͤber, ich wuͤrde kein Frem¬
der ſeyn.“
„Aber, wie geſagt, Ihre jungen Landsleute thun
wohl, daß ſie jetzt zu uns kommen und auch unſere
Sprache lernen. Denn nicht allein, daß unſere eigene
Literatur es an ſich verdient, ſondern es iſt auch nicht
zu laͤugnen, daß, wenn einer jetzt das Deutſche gut ver¬
ſteht, er viele andere Sprachen entbehren kann. Von
der franzoͤſiſchen rede ich nicht, ſie iſt die Sprache des
Umgangs und ganz beſonders auf Reiſen unentbehrlich,
weil ſie jeder verſteht und man ſich in allen Laͤndern
mit ihr, ſtatt eines guten Dolmetſchers aushelfen kann.
Was aber das Griechiſche, Lateiniſche, Italieniſche und Spa¬
niſche betrifft, ſo koͤnnen wir die vorzuͤglichſten Werke
dieſer Nationen in ſo guten deutſchen Überſetzungen leſen,
daß wir, ohne ganz beſondere Zwecke nicht Urſache ha¬
ben, auf die muͤhſame Erlernung jener Sprachen viele
Zeit zu verwenden. Es liegt in der deutſchen Natur,
alles Auslaͤndiſche in ſeiner Art zu wuͤrdigen und ſich
fremder Eigenthuͤmlichkeit zu bequemen. Dieſes, und
die große Fuͤgſamkeit unſerer Sprache macht denn die
deutſchen Überſetzungen durchaus treu und vollkommen.“
„Und dann iſt wohl nicht zu laͤugnen, daß man
im Allgemeinen mit einer guten Überſetzung ſehr weit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/201>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.