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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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kommen, und da wird Ihre Critik ungerecht seyn und
Sie werden die Sachen vernichten. Wollen Sie aber
gerecht seyn, und Jedes in seiner Art anerkennen und
gelten lassen, so müssen Sie sich zuvor mit unserer
mittleren Literatur ins Gleichgewicht setzen und sich zu
keinen geringen Studien bequemen. Sie müssen zurück¬
gehen und sehen, was die Schlegel gewollt und geleistet,
und dann alle neuesten Autoren, Franz Horn, Hoff¬
mann, Clauren u. s. w., alle müssen Sie lesen. Und
das ist nicht genug. Auch alle Zeitschriften, vom Mor¬
genblatt bis zur Abendzeitung müssen Sie halten, damit
Sie von allem Neuhervortretenden sogleich in Kenntniß
sind, und damit verderben Sie Ihre schönsten Stunden
und Tage. Und dann alle neuen Bücher, die Sie
einigermaßen gründlich anzeigen wollen, müssen Sie
doch auch nicht bloß durchblättern, sondern sogar stu¬
diren. Wie würde Ihnen das munden! -- Und endlich,
wenn Sie das Schlechte schlecht finden, dürfen Sie es
nicht einmal sagen, wenn Sie sich nicht der Gefahr
aussetzen wollen, mit aller Welt in Krieg zu gerathen."

"Nein, wie gesagt, schreiben Sie das Anerbieten
ab, es liegt nicht in Ihrem Wege. Überhaupt hüten
Sie sich vor Zersplitterung und halten Sie Ihre Kräfte
zusammen. -- Wäre ich vor dreyßig Jahren so klug
gewesen, ich würde ganz andere Dinge gemacht haben.
Was habe ich mit Schiller an den Horen nnd Musen¬
almanachen nicht für Zeit verschwendet! -- Grade in

kommen, und da wird Ihre Critik ungerecht ſeyn und
Sie werden die Sachen vernichten. Wollen Sie aber
gerecht ſeyn, und Jedes in ſeiner Art anerkennen und
gelten laſſen, ſo muͤſſen Sie ſich zuvor mit unſerer
mittleren Literatur ins Gleichgewicht ſetzen und ſich zu
keinen geringen Studien bequemen. Sie muͤſſen zuruͤck¬
gehen und ſehen, was die Schlegel gewollt und geleiſtet,
und dann alle neueſten Autoren, Franz Horn, Hoff¬
mann, Clauren u. ſ. w., alle muͤſſen Sie leſen. Und
das iſt nicht genug. Auch alle Zeitſchriften, vom Mor¬
genblatt bis zur Abendzeitung muͤſſen Sie halten, damit
Sie von allem Neuhervortretenden ſogleich in Kenntniß
ſind, und damit verderben Sie Ihre ſchoͤnſten Stunden
und Tage. Und dann alle neuen Buͤcher, die Sie
einigermaßen gruͤndlich anzeigen wollen, muͤſſen Sie
doch auch nicht bloß durchblaͤttern, ſondern ſogar ſtu¬
diren. Wie wuͤrde Ihnen das munden! — Und endlich,
wenn Sie das Schlechte ſchlecht finden, duͤrfen Sie es
nicht einmal ſagen, wenn Sie ſich nicht der Gefahr
ausſetzen wollen, mit aller Welt in Krieg zu gerathen.“

„Nein, wie geſagt, ſchreiben Sie das Anerbieten
ab, es liegt nicht in Ihrem Wege. Überhaupt huͤten
Sie ſich vor Zerſplitterung und halten Sie Ihre Kraͤfte
zuſammen. — Waͤre ich vor dreyßig Jahren ſo klug
geweſen, ich wuͤrde ganz andere Dinge gemacht haben.
Was habe ich mit Schiller an den Horen nnd Muſen¬
almanachen nicht fuͤr Zeit verſchwendet! — Grade in

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[172/0192] kommen, und da wird Ihre Critik ungerecht ſeyn und Sie werden die Sachen vernichten. Wollen Sie aber gerecht ſeyn, und Jedes in ſeiner Art anerkennen und gelten laſſen, ſo muͤſſen Sie ſich zuvor mit unſerer mittleren Literatur ins Gleichgewicht ſetzen und ſich zu keinen geringen Studien bequemen. Sie muͤſſen zuruͤck¬ gehen und ſehen, was die Schlegel gewollt und geleiſtet, und dann alle neueſten Autoren, Franz Horn, Hoff¬ mann, Clauren u. ſ. w., alle muͤſſen Sie leſen. Und das iſt nicht genug. Auch alle Zeitſchriften, vom Mor¬ genblatt bis zur Abendzeitung muͤſſen Sie halten, damit Sie von allem Neuhervortretenden ſogleich in Kenntniß ſind, und damit verderben Sie Ihre ſchoͤnſten Stunden und Tage. Und dann alle neuen Buͤcher, die Sie einigermaßen gruͤndlich anzeigen wollen, muͤſſen Sie doch auch nicht bloß durchblaͤttern, ſondern ſogar ſtu¬ diren. Wie wuͤrde Ihnen das munden! — Und endlich, wenn Sie das Schlechte ſchlecht finden, duͤrfen Sie es nicht einmal ſagen, wenn Sie ſich nicht der Gefahr ausſetzen wollen, mit aller Welt in Krieg zu gerathen.“ „Nein, wie geſagt, ſchreiben Sie das Anerbieten ab, es liegt nicht in Ihrem Wege. Überhaupt huͤten Sie ſich vor Zerſplitterung und halten Sie Ihre Kraͤfte zuſammen. — Waͤre ich vor dreyßig Jahren ſo klug geweſen, ich wuͤrde ganz andere Dinge gemacht haben. Was habe ich mit Schiller an den Horen nnd Muſen¬ almanachen nicht fuͤr Zeit verſchwendet! — Grade in

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/192>, abgerufen am 27.11.2024.