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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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eigentlich nicht mehr an der Zeit. Wir sind zu human
geworden, als daß uns die Triumphe des Cäsar nicht
widerstehen sollten. So auch die griechische Geschichte
bietet wenig Erfreuliches. Wo sich dieses Volk gegen
äußere Feinde wendet, ist es zwar groß und glänzend,
allein die Zerstückelung der Staaten und der ewige Krieg
im Innern, wo der eine Grieche die Waffen gegen den
andern kehrt, ist auch desto unerträglicher. Zudem ist
die Geschichte unserer eigenen Tage durchaus groß und
bedeutend; die Schlachten von Leipzig und Waterloo
ragen so gewaltig hervor, daß jene von Marathon und
ähnliche andere nachgerade verdunkelt werden. Auch sind
unsere einzelnen Helden nicht zurückgeblieben: die fran¬
zösischen Marschälle und Blücher und Wellington sind
denen des Alterthums völlig an die Seite zu setzen."

Das Gespräch wendete sich auf die neueste franzö¬
sische Literatur und der Franzosen täglich zunehmendes
Interesse an deutschen Werken.

"Die Franzosen, sagte Goethe, thun sehr wohl, daß
sie anfangen unsere Schriftsteller zu studiren und zu über¬
setzen; denn beschränkt in der Form und beschränkt in
den Motiven, wie sie sind, bleibt ihnen kein anderes,
Mittel als sich nach außen zu wenden. Mag man uns
Deutschen eine gewisse Formlosigkeit vorwerfen, allein
wir sind ihnen doch an Stoff überlegen. Die Theater-
Stücke von Kotzebue und Iffland sind so reich an Mo¬
tiven, daß sie sehr lange daran werden zu pflücken ha¬

eigentlich nicht mehr an der Zeit. Wir ſind zu human
geworden, als daß uns die Triumphe des Caͤſar nicht
widerſtehen ſollten. So auch die griechiſche Geſchichte
bietet wenig Erfreuliches. Wo ſich dieſes Volk gegen
aͤußere Feinde wendet, iſt es zwar groß und glaͤnzend,
allein die Zerſtuͤckelung der Staaten und der ewige Krieg
im Innern, wo der eine Grieche die Waffen gegen den
andern kehrt, iſt auch deſto unertraͤglicher. Zudem iſt
die Geſchichte unſerer eigenen Tage durchaus groß und
bedeutend; die Schlachten von Leipzig und Waterloo
ragen ſo gewaltig hervor, daß jene von Marathon und
aͤhnliche andere nachgerade verdunkelt werden. Auch ſind
unſere einzelnen Helden nicht zuruͤckgeblieben: die fran¬
zoͤſiſchen Marſchaͤlle und Bluͤcher und Wellington ſind
denen des Alterthums voͤllig an die Seite zu ſetzen.“

Das Geſpraͤch wendete ſich auf die neueſte franzoͤ¬
ſiſche Literatur und der Franzoſen taͤglich zunehmendes
Intereſſe an deutſchen Werken.

„Die Franzoſen, ſagte Goethe, thun ſehr wohl, daß
ſie anfangen unſere Schriftſteller zu ſtudiren und zu uͤber¬
ſetzen; denn beſchraͤnkt in der Form und beſchraͤnkt in
den Motiven, wie ſie ſind, bleibt ihnen kein anderes,
Mittel als ſich nach außen zu wenden. Mag man uns
Deutſchen eine gewiſſe Formloſigkeit vorwerfen, allein
wir ſind ihnen doch an Stoff uͤberlegen. Die Theater-
Stuͤcke von Kotzebue und Iffland ſind ſo reich an Mo¬
tiven, daß ſie ſehr lange daran werden zu pfluͤcken ha¬

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[168/0188] eigentlich nicht mehr an der Zeit. Wir ſind zu human geworden, als daß uns die Triumphe des Caͤſar nicht widerſtehen ſollten. So auch die griechiſche Geſchichte bietet wenig Erfreuliches. Wo ſich dieſes Volk gegen aͤußere Feinde wendet, iſt es zwar groß und glaͤnzend, allein die Zerſtuͤckelung der Staaten und der ewige Krieg im Innern, wo der eine Grieche die Waffen gegen den andern kehrt, iſt auch deſto unertraͤglicher. Zudem iſt die Geſchichte unſerer eigenen Tage durchaus groß und bedeutend; die Schlachten von Leipzig und Waterloo ragen ſo gewaltig hervor, daß jene von Marathon und aͤhnliche andere nachgerade verdunkelt werden. Auch ſind unſere einzelnen Helden nicht zuruͤckgeblieben: die fran¬ zoͤſiſchen Marſchaͤlle und Bluͤcher und Wellington ſind denen des Alterthums voͤllig an die Seite zu ſetzen.“ Das Geſpraͤch wendete ſich auf die neueſte franzoͤ¬ ſiſche Literatur und der Franzoſen taͤglich zunehmendes Intereſſe an deutſchen Werken. „Die Franzoſen, ſagte Goethe, thun ſehr wohl, daß ſie anfangen unſere Schriftſteller zu ſtudiren und zu uͤber¬ ſetzen; denn beſchraͤnkt in der Form und beſchraͤnkt in den Motiven, wie ſie ſind, bleibt ihnen kein anderes, Mittel als ſich nach außen zu wenden. Mag man uns Deutſchen eine gewiſſe Formloſigkeit vorwerfen, allein wir ſind ihnen doch an Stoff uͤberlegen. Die Theater- Stuͤcke von Kotzebue und Iffland ſind ſo reich an Mo¬ tiven, daß ſie ſehr lange daran werden zu pfluͤcken ha¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/188>, abgerufen am 24.11.2024.