was es für ein Bild giebt, wenn die beyden Mädchen mit einander laufen und die Beine werfen und den Staub mit ihren Füßen erregen, so muß man wohl annehmen, der gute Klopstock habe nicht lebendig vor Augen gehabt, und sich nicht sinnlich ausgebildet, was er machte, denn sonst hätte er sich unmöglich so ver¬ greifen können."
Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬ stock gestanden und wie er ihn in jener Zeit angesehen.
"Ich verehrte ihn, sagte Goethe, mit der Pietät, die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim. Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es fiel mir nicht ein, darüber denken und daran etwas aussetzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf mich wirken und ging übrigens meinen eigenen Weg."
Wir kamen auf Herder zurück und ich fragte Goethe, was er für das Beste seiner Werke halte. "Seine Ideen zur Geschichte der Menschheit, antwortete Goethe, sind unstreitig das vorzüglichste. Später warf er sich auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich."
Bey der großen Bedeutung Herders, versetzte ich, kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewissen Dingen so wenig Urtheil zu haben schien. Ich kann ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬ maligen Stande der deutschen Literatur, das Manuscript des Götz von Berlichingen, ohne Würdigung seines Guten, mit spöttelnden Anmerkungen zurücksandte. Es
was es fuͤr ein Bild giebt, wenn die beyden Maͤdchen mit einander laufen und die Beine werfen und den Staub mit ihren Fuͤßen erregen, ſo muß man wohl annehmen, der gute Klopſtock habe nicht lebendig vor Augen gehabt, und ſich nicht ſinnlich ausgebildet, was er machte, denn ſonſt haͤtte er ſich unmoͤglich ſo ver¬ greifen koͤnnen.“
Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬ ſtock geſtanden und wie er ihn in jener Zeit angeſehen.
„Ich verehrte ihn, ſagte Goethe, mit der Pietaͤt, die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim. Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es fiel mir nicht ein, daruͤber denken und daran etwas ausſetzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf mich wirken und ging uͤbrigens meinen eigenen Weg.“
Wir kamen auf Herder zuruͤck und ich fragte Goethe, was er fuͤr das Beſte ſeiner Werke halte. „Seine Ideen zur Geſchichte der Menſchheit, antwortete Goethe, ſind unſtreitig das vorzuͤglichſte. Spaͤter warf er ſich auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich.“
Bey der großen Bedeutung Herders, verſetzte ich, kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewiſſen Dingen ſo wenig Urtheil zu haben ſchien. Ich kann ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬ maligen Stande der deutſchen Literatur, das Manuſcript des Goͤtz von Berlichingen, ohne Wuͤrdigung ſeines Guten, mit ſpoͤttelnden Anmerkungen zuruͤckſandte. Es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0186"n="166"/>
was es fuͤr ein Bild giebt, wenn die beyden Maͤdchen<lb/>
mit einander laufen und die Beine werfen und den<lb/>
Staub mit ihren Fuͤßen erregen, ſo muß man wohl<lb/>
annehmen, der gute Klopſtock habe nicht lebendig vor<lb/>
Augen gehabt, und ſich nicht ſinnlich ausgebildet, was<lb/>
er machte, denn ſonſt haͤtte er ſich unmoͤglich ſo ver¬<lb/>
greifen koͤnnen.“</p><lb/><p>Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬<lb/>ſtock geſtanden und wie er ihn in jener Zeit angeſehen.</p><lb/><p>„Ich verehrte ihn, ſagte Goethe, mit der Pietaͤt,<lb/>
die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim.<lb/>
Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es<lb/>
fiel mir nicht ein, daruͤber denken und daran etwas<lb/>
ausſetzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf<lb/>
mich wirken und ging uͤbrigens meinen eigenen Weg.“</p><lb/><p>Wir kamen auf Herder zuruͤck und ich fragte Goethe,<lb/>
was er fuͤr das Beſte ſeiner Werke halte. „Seine<lb/>
Ideen zur Geſchichte der Menſchheit, antwortete Goethe,<lb/>ſind unſtreitig das vorzuͤglichſte. Spaͤter warf er ſich<lb/>
auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich.“</p><lb/><p>Bey der großen Bedeutung Herders, verſetzte ich,<lb/>
kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewiſſen<lb/>
Dingen ſo wenig Urtheil zu haben ſchien. Ich kann<lb/>
ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬<lb/>
maligen Stande der deutſchen Literatur, das Manuſcript<lb/>
des Goͤtz von Berlichingen, ohne Wuͤrdigung ſeines<lb/>
Guten, mit ſpoͤttelnden Anmerkungen zuruͤckſandte. Es<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[166/0186]
was es fuͤr ein Bild giebt, wenn die beyden Maͤdchen
mit einander laufen und die Beine werfen und den
Staub mit ihren Fuͤßen erregen, ſo muß man wohl
annehmen, der gute Klopſtock habe nicht lebendig vor
Augen gehabt, und ſich nicht ſinnlich ausgebildet, was
er machte, denn ſonſt haͤtte er ſich unmoͤglich ſo ver¬
greifen koͤnnen.“
Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬
ſtock geſtanden und wie er ihn in jener Zeit angeſehen.
„Ich verehrte ihn, ſagte Goethe, mit der Pietaͤt,
die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim.
Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es
fiel mir nicht ein, daruͤber denken und daran etwas
ausſetzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf
mich wirken und ging uͤbrigens meinen eigenen Weg.“
Wir kamen auf Herder zuruͤck und ich fragte Goethe,
was er fuͤr das Beſte ſeiner Werke halte. „Seine
Ideen zur Geſchichte der Menſchheit, antwortete Goethe,
ſind unſtreitig das vorzuͤglichſte. Spaͤter warf er ſich
auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich.“
Bey der großen Bedeutung Herders, verſetzte ich,
kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewiſſen
Dingen ſo wenig Urtheil zu haben ſchien. Ich kann
ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬
maligen Stande der deutſchen Literatur, das Manuſcript
des Goͤtz von Berlichingen, ohne Wuͤrdigung ſeines
Guten, mit ſpoͤttelnden Anmerkungen zuruͤckſandte. Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/186>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.