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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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Gedanken verloren, dann sprach er zu mir die Worte
eines Alten:

Untergehend sogar ist's immer dieselbige Sonne.

"Wenn einer fünf und siebzig Jahre alt ist, fuhr
er darauf mit großer Heiterkeit fort, kann es nicht feh¬
len, daß er mitunter an den Tod denke. Mich läßt
dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste
Überzeugung, daß unser Geist ein Wesen ist ganz un¬
zerstörbarer Natur; es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit
zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloß un¬
sern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigent¬
lich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet."

Die Sonne war indeß hinter dem Ettersberge hinab¬
gegangen; wir spürten in dem Gehölz einige Abendkühle
und fuhren desto rascher in Weimar hinein und an seinem
Hause vor. Goethe bat mich, noch ein wenig mit
hinauf zu kommen, welches ich that. Er war in äußerst
guter, liebenswürdiger Stimmung. Er sprach darauf
besonders viel über die Farbenlehre, über seine verstockten
Gegner, und daß er das Bewußtseyn habe, in dieser
Wissenschaft etwas geleistet zu haben.

,Um Epoche in der Welt zu machen, sagte er bey
dieser Gelegenheit, dazu gehören bekanntlich zwey Dinge;
erstens, daß man ein guter Kopf sey, und zweytens,
daß man eine große Erbschaft thue. Napoleon erbte
die französische Revolution, Friedrich der Große den
schlesischen Krieg, Luther die Finsterniß der Pfaffen,

Gedanken verloren, dann ſprach er zu mir die Worte
eines Alten:

Untergehend ſogar iſt's immer dieſelbige Sonne.

„Wenn einer fuͤnf und ſiebzig Jahre alt iſt, fuhr
er darauf mit großer Heiterkeit fort, kann es nicht feh¬
len, daß er mitunter an den Tod denke. Mich laͤßt
dieſer Gedanke in voͤlliger Ruhe, denn ich habe die feſte
Überzeugung, daß unſer Geiſt ein Weſen iſt ganz un¬
zerſtoͤrbarer Natur; es iſt ein fortwirkendes von Ewigkeit
zu Ewigkeit. Es iſt der Sonne aͤhnlich, die bloß un¬
ſern irdiſchen Augen unterzugehen ſcheint, die aber eigent¬
lich nie untergeht, ſondern unaufhoͤrlich fortleuchtet.“

Die Sonne war indeß hinter dem Ettersberge hinab¬
gegangen; wir ſpuͤrten in dem Gehoͤlz einige Abendkuͤhle
und fuhren deſto raſcher in Weimar hinein und an ſeinem
Hauſe vor. Goethe bat mich, noch ein wenig mit
hinauf zu kommen, welches ich that. Er war in aͤußerſt
guter, liebenswuͤrdiger Stimmung. Er ſprach darauf
beſonders viel uͤber die Farbenlehre, uͤber ſeine verſtockten
Gegner, und daß er das Bewußtſeyn habe, in dieſer
Wiſſenſchaft etwas geleiſtet zu haben.

‚Um Epoche in der Welt zu machen, ſagte er bey
dieſer Gelegenheit, dazu gehoͤren bekanntlich zwey Dinge;
erſtens, daß man ein guter Kopf ſey, und zweytens,
daß man eine große Erbſchaft thue. Napoleon erbte
die franzoͤſiſche Revolution, Friedrich der Große den
ſchleſiſchen Krieg, Luther die Finſterniß der Pfaffen,

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[154/0174] Gedanken verloren, dann ſprach er zu mir die Worte eines Alten: Untergehend ſogar iſt's immer dieſelbige Sonne. „Wenn einer fuͤnf und ſiebzig Jahre alt iſt, fuhr er darauf mit großer Heiterkeit fort, kann es nicht feh¬ len, daß er mitunter an den Tod denke. Mich laͤßt dieſer Gedanke in voͤlliger Ruhe, denn ich habe die feſte Überzeugung, daß unſer Geiſt ein Weſen iſt ganz un¬ zerſtoͤrbarer Natur; es iſt ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es iſt der Sonne aͤhnlich, die bloß un¬ ſern irdiſchen Augen unterzugehen ſcheint, die aber eigent¬ lich nie untergeht, ſondern unaufhoͤrlich fortleuchtet.“ Die Sonne war indeß hinter dem Ettersberge hinab¬ gegangen; wir ſpuͤrten in dem Gehoͤlz einige Abendkuͤhle und fuhren deſto raſcher in Weimar hinein und an ſeinem Hauſe vor. Goethe bat mich, noch ein wenig mit hinauf zu kommen, welches ich that. Er war in aͤußerſt guter, liebenswuͤrdiger Stimmung. Er ſprach darauf beſonders viel uͤber die Farbenlehre, uͤber ſeine verſtockten Gegner, und daß er das Bewußtſeyn habe, in dieſer Wiſſenſchaft etwas geleiſtet zu haben. ‚Um Epoche in der Welt zu machen, ſagte er bey dieſer Gelegenheit, dazu gehoͤren bekanntlich zwey Dinge; erſtens, daß man ein guter Kopf ſey, und zweytens, daß man eine große Erbſchaft thue. Napoleon erbte die franzoͤſiſche Revolution, Friedrich der Große den ſchleſiſchen Krieg, Luther die Finſterniß der Pfaffen,

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/174>, abgerufen am 25.11.2024.