abgebrochene, die kein Laub haben. Ein solcher Stamm paßt vortrefflich in den Vordergrund, denn seine helle Gestalt tritt auf das mächtigste heraus."
Wir sprachen sodann nach flüchtiger Berührung an¬ derer Gegenstände, über die falsche Tendenz solcher Künst¬ ler, welche die Religion zur Kunst machen wollen, während ihnen die Kunst Religion seyn sollte. "Die Religion, sagte Goethe, steht in demselbigen Verhältniß zur Kunst, wie jedes andere höhere Lebensinteresse auch. Sie ist bloß als Stoff zu betrachten, der mit allen übrigen Lebens-Stoffen gleiche Rechte hat. Auch sind Glaube und Unglaube durchaus nicht diejenigen Organe, mit welchen ein Kunstwerk aufzufassen ist, vielmehr ge¬ hören dazu ganz andere menschliche Kräfte und Fähig¬ keiten. Die Kunst aber soll für diejenigen Organe bil¬ den, mit denen wir sie auffassen; thut sie das nicht, so verfehlt sie ihren Zweck und geht ohne die eigentliche Wirkung an uns vorüber. Ein religiöser Stoff kann indeß gleichfalls ein guter Gegenstand für die Kunst seyn, jedoch nur in dem Fall, wenn er allgemein mensch¬ lich ist. Deßhalb ist eine Jungfrau mit dem Kinde ein durchaus guter Gegenstand, der hundertmal behandelt worden und immer gern wieder gesehen wird."
Wir waren indeß um das Gehölz, das Webicht, gefahren und bogen in der Nähe von Tiefurt in den Weg nach Weimar zurück, wo wir die untergehende Sonne im Anblick hatten. Goethe war eine Weile in
abgebrochene, die kein Laub haben. Ein ſolcher Stamm paßt vortrefflich in den Vordergrund, denn ſeine helle Geſtalt tritt auf das maͤchtigſte heraus.“
Wir ſprachen ſodann nach fluͤchtiger Beruͤhrung an¬ derer Gegenſtaͤnde, uͤber die falſche Tendenz ſolcher Kuͤnſt¬ ler, welche die Religion zur Kunſt machen wollen, waͤhrend ihnen die Kunſt Religion ſeyn ſollte. „Die Religion, ſagte Goethe, ſteht in demſelbigen Verhaͤltniß zur Kunſt, wie jedes andere hoͤhere Lebensintereſſe auch. Sie iſt bloß als Stoff zu betrachten, der mit allen uͤbrigen Lebens-Stoffen gleiche Rechte hat. Auch ſind Glaube und Unglaube durchaus nicht diejenigen Organe, mit welchen ein Kunſtwerk aufzufaſſen iſt, vielmehr ge¬ hoͤren dazu ganz andere menſchliche Kraͤfte und Faͤhig¬ keiten. Die Kunſt aber ſoll fuͤr diejenigen Organe bil¬ den, mit denen wir ſie auffaſſen; thut ſie das nicht, ſo verfehlt ſie ihren Zweck und geht ohne die eigentliche Wirkung an uns voruͤber. Ein religioͤſer Stoff kann indeß gleichfalls ein guter Gegenſtand fuͤr die Kunſt ſeyn, jedoch nur in dem Fall, wenn er allgemein menſch¬ lich iſt. Deßhalb iſt eine Jungfrau mit dem Kinde ein durchaus guter Gegenſtand, der hundertmal behandelt worden und immer gern wieder geſehen wird.“
Wir waren indeß um das Gehoͤlz, das Webicht, gefahren und bogen in der Naͤhe von Tiefurt in den Weg nach Weimar zuruͤck, wo wir die untergehende Sonne im Anblick hatten. Goethe war eine Weile in
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abgebrochene, die kein Laub haben. Ein ſolcher Stamm
paßt vortrefflich in den Vordergrund, denn ſeine helle
Geſtalt tritt auf das maͤchtigſte heraus.“
Wir ſprachen ſodann nach fluͤchtiger Beruͤhrung an¬
derer Gegenſtaͤnde, uͤber die falſche Tendenz ſolcher Kuͤnſt¬
ler, welche die Religion zur Kunſt machen wollen,
waͤhrend ihnen die Kunſt Religion ſeyn ſollte. „Die
Religion, ſagte Goethe, ſteht in demſelbigen Verhaͤltniß
zur Kunſt, wie jedes andere hoͤhere Lebensintereſſe auch.
Sie iſt bloß als Stoff zu betrachten, der mit allen
uͤbrigen Lebens-Stoffen gleiche Rechte hat. Auch ſind
Glaube und Unglaube durchaus nicht diejenigen Organe,
mit welchen ein Kunſtwerk aufzufaſſen iſt, vielmehr ge¬
hoͤren dazu ganz andere menſchliche Kraͤfte und Faͤhig¬
keiten. Die Kunſt aber ſoll fuͤr diejenigen Organe bil¬
den, mit denen wir ſie auffaſſen; thut ſie das nicht,
ſo verfehlt ſie ihren Zweck und geht ohne die eigentliche
Wirkung an uns voruͤber. Ein religioͤſer Stoff kann
indeß gleichfalls ein guter Gegenſtand fuͤr die Kunſt
ſeyn, jedoch nur in dem Fall, wenn er allgemein menſch¬
lich iſt. Deßhalb iſt eine Jungfrau mit dem Kinde ein
durchaus guter Gegenſtand, der hundertmal behandelt
worden und immer gern wieder geſehen wird.“
Wir waren indeß um das Gehoͤlz, das Webicht,
gefahren und bogen in der Naͤhe von Tiefurt in den
Weg nach Weimar zuruͤck, wo wir die untergehende
Sonne im Anblick hatten. Goethe war eine Weile in
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/173>, abgerufen am 25.11.2024.
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