men genug, und ich hätte mich nicht neuen Bekannt¬ schaften und anderem Umgange hingeben können, ohne mich im Innersten zu zerstören.
"Ihr seyd ein wunderlicher Christ, sagte Goethe lachend; thut, was Ihr wollt, ich will Euch gewähren lassen."
Und dann, fuhr ich fort, trage ich in die Gesell¬ schaft gewöhnlich meine persönlichen Neigungen und Abneigungen, und ein gewisses Bedürfniß zu lieben und geliebt zu werden. Ich suche eine Persönlichkeit, die meiner eigenen Natur gemäß sey; dieser möchte ich mich gerne hingeben und mit den Andern nichts zu thun haben.
"Diese Ihre Natur-Tendenz, erwiederte Goethe, ist freylich nicht geselliger Art; allein was wäre alle Bil¬ dung, wenn wir unsere natürlichen Richtungen nicht wollten zu überwinden suchen. Es ist eine große Thor¬ heit, zu verlangen, daß die Menschen zu uns harmo¬ niren sollen. Ich habe es nie gethan. Ich habe einen Menschen immer nur als ein für sich bestehendes Indi¬ viduum angesehen, das ich zu erforschen und das ich in seiner Eigenthümlichkeit kennen zu lernen trachtete, wo¬ von ich aber durchaus keine weitere Sympathie ver¬ langte. Dadurch habe ich es nun dahin gebracht, mit jedem Menschen umgehen zu können, und dadurch allein entsteht die Kenntniß mannigfaltiger Charactere, so wie die nöthige Gewandtheit im Leben. Denn gerade bey
men genug, und ich haͤtte mich nicht neuen Bekannt¬ ſchaften und anderem Umgange hingeben koͤnnen, ohne mich im Innerſten zu zerſtoͤren.
„Ihr ſeyd ein wunderlicher Chriſt, ſagte Goethe lachend; thut, was Ihr wollt, ich will Euch gewaͤhren laſſen.“
Und dann, fuhr ich fort, trage ich in die Geſell¬ ſchaft gewoͤhnlich meine perſoͤnlichen Neigungen und Abneigungen, und ein gewiſſes Beduͤrfniß zu lieben und geliebt zu werden. Ich ſuche eine Perſoͤnlichkeit, die meiner eigenen Natur gemaͤß ſey; dieſer moͤchte ich mich gerne hingeben und mit den Andern nichts zu thun haben.
„Dieſe Ihre Natur-Tendenz, erwiederte Goethe, iſt freylich nicht geſelliger Art; allein was waͤre alle Bil¬ dung, wenn wir unſere natuͤrlichen Richtungen nicht wollten zu uͤberwinden ſuchen. Es iſt eine große Thor¬ heit, zu verlangen, daß die Menſchen zu uns harmo¬ niren ſollen. Ich habe es nie gethan. Ich habe einen Menſchen immer nur als ein fuͤr ſich beſtehendes Indi¬ viduum angeſehen, das ich zu erforſchen und das ich in ſeiner Eigenthuͤmlichkeit kennen zu lernen trachtete, wo¬ von ich aber durchaus keine weitere Sympathie ver¬ langte. Dadurch habe ich es nun dahin gebracht, mit jedem Menſchen umgehen zu koͤnnen, und dadurch allein entſteht die Kenntniß mannigfaltiger Charactere, ſo wie die noͤthige Gewandtheit im Leben. Denn gerade bey
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men genug, und ich haͤtte mich nicht neuen Bekannt¬
ſchaften und anderem Umgange hingeben koͤnnen, ohne
mich im Innerſten zu zerſtoͤren.
„Ihr ſeyd ein wunderlicher Chriſt, ſagte Goethe
lachend; thut, was Ihr wollt, ich will Euch gewaͤhren
laſſen.“
Und dann, fuhr ich fort, trage ich in die Geſell¬
ſchaft gewoͤhnlich meine perſoͤnlichen Neigungen und
Abneigungen, und ein gewiſſes Beduͤrfniß zu lieben und
geliebt zu werden. Ich ſuche eine Perſoͤnlichkeit, die
meiner eigenen Natur gemaͤß ſey; dieſer moͤchte ich mich
gerne hingeben und mit den Andern nichts zu thun
haben.
„Dieſe Ihre Natur-Tendenz, erwiederte Goethe, iſt
freylich nicht geſelliger Art; allein was waͤre alle Bil¬
dung, wenn wir unſere natuͤrlichen Richtungen nicht
wollten zu uͤberwinden ſuchen. Es iſt eine große Thor¬
heit, zu verlangen, daß die Menſchen zu uns harmo¬
niren ſollen. Ich habe es nie gethan. Ich habe einen
Menſchen immer nur als ein fuͤr ſich beſtehendes Indi¬
viduum angeſehen, das ich zu erforſchen und das ich in
ſeiner Eigenthuͤmlichkeit kennen zu lernen trachtete, wo¬
von ich aber durchaus keine weitere Sympathie ver¬
langte. Dadurch habe ich es nun dahin gebracht, mit
jedem Menſchen umgehen zu koͤnnen, und dadurch allein
entſteht die Kenntniß mannigfaltiger Charactere, ſo wie
die noͤthige Gewandtheit im Leben. Denn gerade bey
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/171>, abgerufen am 25.11.2024.
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