lich aus einer abweichenden Kunstansicht, hier nicht zur Erscheinung. Er entwickelt eine reiche Bildung, Geist, treffenden Witz, und sehr viele künstlerische Vollendung, allein damit ist es, besonders bey uns Deutschen, nicht gethan."
"Überhaupt: der persönliche Character des Schrift¬ stellers bringt seine Bedeutung beym Publicum hervor, nicht die Künste seines Talents. Napoleon sagte von Corneille: S'il vivait, je le ferais Prince! -- Und er las ihn nicht. Den Racine las er, aber von diesem sagte er es nicht. Deßhalb steht auch der Lafontaine bey den Franzosen in so hoher Achtung, nicht seines poetischen Verdienstes wegen, sondern wegen der Gro߬ heit seines Characters, der aus seinen Schriften her¬ vorgeht."
Wir kamen sodann auf die Wahlverwandtschaften zu reden, und Goethe erzählte mir von einem durchreisenden Engländer, der sich scheiden lassen wolle, wenn er nach England zurückkäme. Er lachte über solche Thorheit und erwähnte mehrerer Beyspiele von Geschiedenen, die nachher doch nicht hätten von einander lassen können.
"Der selige Reinhard in Dresden, sagte er, wun¬ derte sich oft über mich, daß ich in Bezug auf die Ehe so strenge Grundsätze habe, während ich doch in allen übrigen Dingen so läßlich denke."
Diese Äußerung Goethe's war mir aus dem Grunde merkwürdig, weil sie ganz entschieden an den Tag legt,
lich aus einer abweichenden Kunſtanſicht, hier nicht zur Erſcheinung. Er entwickelt eine reiche Bildung, Geiſt, treffenden Witz, und ſehr viele kuͤnſtleriſche Vollendung, allein damit iſt es, beſonders bey uns Deutſchen, nicht gethan.“
„Überhaupt: der perſoͤnliche Character des Schrift¬ ſtellers bringt ſeine Bedeutung beym Publicum hervor, nicht die Kuͤnſte ſeines Talents. Napoleon ſagte von Corneille: S'il vivait, je le ferais Prince! — Und er las ihn nicht. Den Racine las er, aber von dieſem ſagte er es nicht. Deßhalb ſteht auch der Lafontaine bey den Franzoſen in ſo hoher Achtung, nicht ſeines poetiſchen Verdienſtes wegen, ſondern wegen der Gro߬ heit ſeines Characters, der aus ſeinen Schriften her¬ vorgeht.“
Wir kamen ſodann auf die Wahlverwandtſchaften zu reden, und Goethe erzaͤhlte mir von einem durchreiſenden Englaͤnder, der ſich ſcheiden laſſen wolle, wenn er nach England zuruͤckkaͤme. Er lachte uͤber ſolche Thorheit und erwaͤhnte mehrerer Beyſpiele von Geſchiedenen, die nachher doch nicht haͤtten von einander laſſen koͤnnen.
„Der ſelige Reinhard in Dresden, ſagte er, wun¬ derte ſich oft uͤber mich, daß ich in Bezug auf die Ehe ſo ſtrenge Grundſaͤtze habe, waͤhrend ich doch in allen uͤbrigen Dingen ſo laͤßlich denke.“
Dieſe Äußerung Goethe's war mir aus dem Grunde merkwuͤrdig, weil ſie ganz entſchieden an den Tag legt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0162"n="142"/>
lich aus einer abweichenden Kunſtanſicht, hier nicht zur<lb/>
Erſcheinung. Er entwickelt eine reiche Bildung, Geiſt,<lb/>
treffenden Witz, und ſehr viele kuͤnſtleriſche Vollendung,<lb/>
allein damit iſt es, beſonders bey uns Deutſchen, nicht<lb/>
gethan.“</p><lb/><p>„Überhaupt: der perſoͤnliche Character des Schrift¬<lb/>ſtellers bringt ſeine Bedeutung beym Publicum hervor,<lb/>
nicht die Kuͤnſte ſeines Talents. Napoleon ſagte von<lb/>
Corneille: <hirendition="#aq">S'il vivait, je le ferais Prince!</hi>— Und er<lb/>
las ihn nicht. Den Racine las er, aber von dieſem<lb/>ſagte er es nicht. Deßhalb ſteht auch der Lafontaine<lb/>
bey den Franzoſen in ſo hoher Achtung, nicht ſeines<lb/>
poetiſchen Verdienſtes wegen, ſondern wegen der Gro߬<lb/>
heit ſeines Characters, der aus ſeinen Schriften her¬<lb/>
vorgeht.“</p><lb/><p>Wir kamen ſodann auf die Wahlverwandtſchaften zu<lb/>
reden, und Goethe erzaͤhlte mir von einem durchreiſenden<lb/>
Englaͤnder, der ſich ſcheiden laſſen wolle, wenn er nach<lb/>
England zuruͤckkaͤme. Er lachte uͤber ſolche Thorheit<lb/>
und erwaͤhnte mehrerer Beyſpiele von Geſchiedenen, die<lb/>
nachher doch nicht haͤtten von einander laſſen koͤnnen.</p><lb/><p>„Der ſelige Reinhard in Dresden, ſagte er, wun¬<lb/>
derte ſich oft uͤber mich, daß ich in Bezug auf die Ehe<lb/>ſo ſtrenge Grundſaͤtze habe, waͤhrend ich doch in allen<lb/>
uͤbrigen Dingen ſo laͤßlich denke.“</p><lb/><p>Dieſe Äußerung Goethe's war mir aus dem Grunde<lb/>
merkwuͤrdig, weil ſie ganz entſchieden an den Tag legt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[142/0162]
lich aus einer abweichenden Kunſtanſicht, hier nicht zur
Erſcheinung. Er entwickelt eine reiche Bildung, Geiſt,
treffenden Witz, und ſehr viele kuͤnſtleriſche Vollendung,
allein damit iſt es, beſonders bey uns Deutſchen, nicht
gethan.“
„Überhaupt: der perſoͤnliche Character des Schrift¬
ſtellers bringt ſeine Bedeutung beym Publicum hervor,
nicht die Kuͤnſte ſeines Talents. Napoleon ſagte von
Corneille: S'il vivait, je le ferais Prince! — Und er
las ihn nicht. Den Racine las er, aber von dieſem
ſagte er es nicht. Deßhalb ſteht auch der Lafontaine
bey den Franzoſen in ſo hoher Achtung, nicht ſeines
poetiſchen Verdienſtes wegen, ſondern wegen der Gro߬
heit ſeines Characters, der aus ſeinen Schriften her¬
vorgeht.“
Wir kamen ſodann auf die Wahlverwandtſchaften zu
reden, und Goethe erzaͤhlte mir von einem durchreiſenden
Englaͤnder, der ſich ſcheiden laſſen wolle, wenn er nach
England zuruͤckkaͤme. Er lachte uͤber ſolche Thorheit
und erwaͤhnte mehrerer Beyſpiele von Geſchiedenen, die
nachher doch nicht haͤtten von einander laſſen koͤnnen.
„Der ſelige Reinhard in Dresden, ſagte er, wun¬
derte ſich oft uͤber mich, daß ich in Bezug auf die Ehe
ſo ſtrenge Grundſaͤtze habe, waͤhrend ich doch in allen
uͤbrigen Dingen ſo laͤßlich denke.“
Dieſe Äußerung Goethe's war mir aus dem Grunde
merkwuͤrdig, weil ſie ganz entſchieden an den Tag legt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/162>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.