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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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heit eines solchen rein natürlichen, rein naiven Motivs,
wir haben auch wohl die Kenntniß und den Begriff
wie es zu machen wäre, allein wir machen es nicht,
der Verstand herrschet vor und es fehlet immer diese
entzückende Anmuth."

Wir betrachteten darauf eine Medaille von Brandt
in Berlin, den jungen Theseus darstellend, wie er die
Waffen seines Vaters unter dem Stein hervornimmt.
Die Stellung der Figur hatte viel Löbliches, jedoch ver¬
mißten wir eine genugsame Anstrengung der Glieder ge¬
gen die Last des Steines. Auch erschien es keineswegs
gut gedacht, daß der Jüngling schon in der einen Hand
die Waffen hält, während er noch mit der andern den
Stein hebt; denn nach der Natur der Sache wird er
zuerst den schweren Stein zur Seite werfen und dann
die Waffen aufnehmen. "Dagegen, sagte Goethe, will
ich Ihnen eine antike Gemme zeigen, worauf derselbe
Gegenstand von einem Alten behandelt ist."

Er ließ von Stadelmann einen Kasten herbeyholen,
worin sich einige hundert Abdrücke antiker Gemmen fan¬
den, die er bey Gelegenheit seiner italienischen Reise
sich aus Rom mitgebracht. Da sah ich nun denselbigen
Gegenstand von einem alten Griechen behandelt, und
zwar wie anders! Der Jüngling stemmt sich mit aller
Anstrengung gegen den Stein, auch ist er einer solchen
Last gewachsen, denn man sieht das Gewicht schon über¬
wunden und den Stein bereits zu dem Punkt gehoben,

heit eines ſolchen rein natuͤrlichen, rein naiven Motivs,
wir haben auch wohl die Kenntniß und den Begriff
wie es zu machen waͤre, allein wir machen es nicht,
der Verſtand herrſchet vor und es fehlet immer dieſe
entzuͤckende Anmuth.“

Wir betrachteten darauf eine Medaille von Brandt
in Berlin, den jungen Theſeus darſtellend, wie er die
Waffen ſeines Vaters unter dem Stein hervornimmt.
Die Stellung der Figur hatte viel Loͤbliches, jedoch ver¬
mißten wir eine genugſame Anſtrengung der Glieder ge¬
gen die Laſt des Steines. Auch erſchien es keineswegs
gut gedacht, daß der Juͤngling ſchon in der einen Hand
die Waffen haͤlt, waͤhrend er noch mit der andern den
Stein hebt; denn nach der Natur der Sache wird er
zuerſt den ſchweren Stein zur Seite werfen und dann
die Waffen aufnehmen. „Dagegen, ſagte Goethe, will
ich Ihnen eine antike Gemme zeigen, worauf derſelbe
Gegenſtand von einem Alten behandelt iſt.“

Er ließ von Stadelmann einen Kaſten herbeyholen,
worin ſich einige hundert Abdruͤcke antiker Gemmen fan¬
den, die er bey Gelegenheit ſeiner italieniſchen Reiſe
ſich aus Rom mitgebracht. Da ſah ich nun denſelbigen
Gegenſtand von einem alten Griechen behandelt, und
zwar wie anders! Der Juͤngling ſtemmt ſich mit aller
Anſtrengung gegen den Stein, auch iſt er einer ſolchen
Laſt gewachſen, denn man ſieht das Gewicht ſchon uͤber¬
wunden und den Stein bereits zu dem Punkt gehoben,

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[114/0134] heit eines ſolchen rein natuͤrlichen, rein naiven Motivs, wir haben auch wohl die Kenntniß und den Begriff wie es zu machen waͤre, allein wir machen es nicht, der Verſtand herrſchet vor und es fehlet immer dieſe entzuͤckende Anmuth.“ Wir betrachteten darauf eine Medaille von Brandt in Berlin, den jungen Theſeus darſtellend, wie er die Waffen ſeines Vaters unter dem Stein hervornimmt. Die Stellung der Figur hatte viel Loͤbliches, jedoch ver¬ mißten wir eine genugſame Anſtrengung der Glieder ge¬ gen die Laſt des Steines. Auch erſchien es keineswegs gut gedacht, daß der Juͤngling ſchon in der einen Hand die Waffen haͤlt, waͤhrend er noch mit der andern den Stein hebt; denn nach der Natur der Sache wird er zuerſt den ſchweren Stein zur Seite werfen und dann die Waffen aufnehmen. „Dagegen, ſagte Goethe, will ich Ihnen eine antike Gemme zeigen, worauf derſelbe Gegenſtand von einem Alten behandelt iſt.“ Er ließ von Stadelmann einen Kaſten herbeyholen, worin ſich einige hundert Abdruͤcke antiker Gemmen fan¬ den, die er bey Gelegenheit ſeiner italieniſchen Reiſe ſich aus Rom mitgebracht. Da ſah ich nun denſelbigen Gegenſtand von einem alten Griechen behandelt, und zwar wie anders! Der Juͤngling ſtemmt ſich mit aller Anſtrengung gegen den Stein, auch iſt er einer ſolchen Laſt gewachſen, denn man ſieht das Gewicht ſchon uͤber¬ wunden und den Stein bereits zu dem Punkt gehoben,

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/134>, abgerufen am 27.11.2024.