heute abwesend, deßgleichen der junge Goethe, welcher bloß herein kam, um guten Tag zu sagen und dann wieder an Hof ging.
Die Tischgespräche waren heute besonders mannigfal¬ tig. Sehr viel originelle Anekdoten wurden erzählt, sowohl von Zelter als Goethe, welche alle dahin gingen, die Eigenschaften ihres gemeinschaftlichen Freundes Fried¬ rich August Wolf zu Berlin ins Licht zu setzen. Dann ward über die Nibelungen viel gesprochen, dann über Lord Byron und seinen zu hoffenden Besuch in Weimar, woran Frau v. Goethe besonders Theil nahm. Das Rochusfest zu Bingen war ferner ein sehr heiterer Gegenstand, wobey Zelter sich besonders zwey schöner Mädchen erinnerte, deren Liebenswürdigkeit sich ihm tief eingeprägt hatte und deren Andenken ihn noch heute zu beglücken schien. Das gesellige Lied Kriegsglück von Goethe, ward darauf sehr heiter besprochen. Zel¬ ter war unerschöpflich in Anekdoten von blessirten Sol¬ daten und schönen Frauen, welche alle dahin gingen, um die Wahrheit des Gedichts zu beweisen. Goethe selber sagte, er habe nach solchen Realitäten nicht weit zu gehen brauchen, er habe alles in Weimar persönlich er¬ lebt. Frau v. Goethe aber hielt immerwährend ein heite¬ res Widerspiel, indem sie nicht zugeben wollte, daß die Frauen so wären, als das "garstige" Gedicht sie schildere.
Und so vergingen denn auch heute die Stunden bey Tisch sehr angenehm.
heute abweſend, deßgleichen der junge Goethe, welcher bloß herein kam, um guten Tag zu ſagen und dann wieder an Hof ging.
Die Tiſchgeſpraͤche waren heute beſonders mannigfal¬ tig. Sehr viel originelle Anekdoten wurden erzaͤhlt, ſowohl von Zelter als Goethe, welche alle dahin gingen, die Eigenſchaften ihres gemeinſchaftlichen Freundes Fried¬ rich Auguſt Wolf zu Berlin ins Licht zu ſetzen. Dann ward uͤber die Nibelungen viel geſprochen, dann uͤber Lord Byron und ſeinen zu hoffenden Beſuch in Weimar, woran Frau v. Goethe beſonders Theil nahm. Das Rochusfeſt zu Bingen war ferner ein ſehr heiterer Gegenſtand, wobey Zelter ſich beſonders zwey ſchoͤner Maͤdchen erinnerte, deren Liebenswuͤrdigkeit ſich ihm tief eingepraͤgt hatte und deren Andenken ihn noch heute zu begluͤcken ſchien. Das geſellige Lied Kriegsgluͤck von Goethe, ward darauf ſehr heiter beſprochen. Zel¬ ter war unerſchoͤpflich in Anekdoten von bleſſirten Sol¬ daten und ſchoͤnen Frauen, welche alle dahin gingen, um die Wahrheit des Gedichts zu beweiſen. Goethe ſelber ſagte, er habe nach ſolchen Realitaͤten nicht weit zu gehen brauchen, er habe alles in Weimar perſoͤnlich er¬ lebt. Frau v. Goethe aber hielt immerwaͤhrend ein heite¬ res Widerſpiel, indem ſie nicht zugeben wollte, daß die Frauen ſo waͤren, als das „garſtige“ Gedicht ſie ſchildere.
Und ſo vergingen denn auch heute die Stunden bey Tiſch ſehr angenehm.
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heute abweſend, deßgleichen der junge Goethe, welcher
bloß herein kam, um guten Tag zu ſagen und dann
wieder an Hof ging.
Die Tiſchgeſpraͤche waren heute beſonders mannigfal¬
tig. Sehr viel originelle Anekdoten wurden erzaͤhlt, ſowohl
von Zelter als Goethe, welche alle dahin gingen, die
Eigenſchaften ihres gemeinſchaftlichen Freundes Fried¬
rich Auguſt Wolf zu Berlin ins Licht zu ſetzen.
Dann ward uͤber die Nibelungen viel geſprochen, dann
uͤber Lord Byron und ſeinen zu hoffenden Beſuch in
Weimar, woran Frau v. Goethe beſonders Theil nahm.
Das Rochusfeſt zu Bingen war ferner ein ſehr heiterer
Gegenſtand, wobey Zelter ſich beſonders zwey ſchoͤner
Maͤdchen erinnerte, deren Liebenswuͤrdigkeit ſich ihm
tief eingepraͤgt hatte und deren Andenken ihn noch heute
zu begluͤcken ſchien. Das geſellige Lied Kriegsgluͤck
von Goethe, ward darauf ſehr heiter beſprochen. Zel¬
ter war unerſchoͤpflich in Anekdoten von bleſſirten Sol¬
daten und ſchoͤnen Frauen, welche alle dahin gingen,
um die Wahrheit des Gedichts zu beweiſen. Goethe
ſelber ſagte, er habe nach ſolchen Realitaͤten nicht weit zu
gehen brauchen, er habe alles in Weimar perſoͤnlich er¬
lebt. Frau v. Goethe aber hielt immerwaͤhrend ein heite¬
res Widerſpiel, indem ſie nicht zugeben wollte, daß die
Frauen ſo waͤren, als das „garſtige“ Gedicht ſie ſchildere.
Und ſo vergingen denn auch heute die Stunden bey
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/121>, abgerufen am 26.11.2024.
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