Frau von Goethe und Herr Soret gingen an Hof, und so war ich mit Goethe wieder alleine gelassen.
Eingedenk des Versprechens, mir seine Elegie von Marienbad zu einer passenden Stunde abermals zu zei¬ gen, stand Goethe auf, stellte ein Licht auf seinen Schreibtisch und gab mir das Gedicht. Ich war glück¬ lich, es abermals vor Augen zu haben. Goethe setzte sich wieder in Ruhe und überließ mich einer ungestörten Betrachtung.
Nachdem ich eine Weile gelesen, wollte ich ihm et¬ was darüber sagen, es kam mir aber vor, als ob er schlief. Ich benutzte daher den günstigen Augenblick und las es aber- und abermals und hatte dabey einen seltenen Genuß. Die jugendlichste Glut der Liebe, ge¬ mildert durch die sittliche Höhe des Geistes, das erschien mir im Allgemeinen als des Gedichtes durchgreifender Character. Übrigens kam es mir vor, als seyen die ausgesprochenen Gefühle stärker, als wir sie in anderen Gedichten Goethe's anzutreffen gewohnt sind, und ich schloß daraus auf einen Einfluß von Byron, welches Goethe auch nicht ablehnte.
"Sie sehen das Product eines höchst leidenschaftlichen Zustandes, fügte er hinzu; als ich darin befangen war, hätte ich ihn um alles in der Welt nicht entbehren mögen, und jetzt möchte ich um keinen Preis wieder hineingerathen."
"Ich schrieb das Gedicht, unmittelbar als ich von
Frau von Goethe und Herr Soret gingen an Hof, und ſo war ich mit Goethe wieder alleine gelaſſen.
Eingedenk des Verſprechens, mir ſeine Elegie von Marienbad zu einer paſſenden Stunde abermals zu zei¬ gen, ſtand Goethe auf, ſtellte ein Licht auf ſeinen Schreibtiſch und gab mir das Gedicht. Ich war gluͤck¬ lich, es abermals vor Augen zu haben. Goethe ſetzte ſich wieder in Ruhe und uͤberließ mich einer ungeſtoͤrten Betrachtung.
Nachdem ich eine Weile geleſen, wollte ich ihm et¬ was daruͤber ſagen, es kam mir aber vor, als ob er ſchlief. Ich benutzte daher den guͤnſtigen Augenblick und las es aber- und abermals und hatte dabey einen ſeltenen Genuß. Die jugendlichſte Glut der Liebe, ge¬ mildert durch die ſittliche Hoͤhe des Geiſtes, das erſchien mir im Allgemeinen als des Gedichtes durchgreifender Character. Übrigens kam es mir vor, als ſeyen die ausgeſprochenen Gefuͤhle ſtaͤrker, als wir ſie in anderen Gedichten Goethe's anzutreffen gewohnt ſind, und ich ſchloß daraus auf einen Einfluß von Byron, welches Goethe auch nicht ablehnte.
„Sie ſehen das Product eines hoͤchſt leidenſchaftlichen Zuſtandes, fuͤgte er hinzu; als ich darin befangen war, haͤtte ich ihn um alles in der Welt nicht entbehren moͤgen, und jetzt moͤchte ich um keinen Preis wieder hineingerathen.“
„Ich ſchrieb das Gedicht, unmittelbar als ich von
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Frau von Goethe und Herr Soret gingen an Hof,
und ſo war ich mit Goethe wieder alleine gelaſſen.
Eingedenk des Verſprechens, mir ſeine Elegie von
Marienbad zu einer paſſenden Stunde abermals zu zei¬
gen, ſtand Goethe auf, ſtellte ein Licht auf ſeinen
Schreibtiſch und gab mir das Gedicht. Ich war gluͤck¬
lich, es abermals vor Augen zu haben. Goethe ſetzte
ſich wieder in Ruhe und uͤberließ mich einer ungeſtoͤrten
Betrachtung.
Nachdem ich eine Weile geleſen, wollte ich ihm et¬
was daruͤber ſagen, es kam mir aber vor, als ob er
ſchlief. Ich benutzte daher den guͤnſtigen Augenblick
und las es aber- und abermals und hatte dabey einen
ſeltenen Genuß. Die jugendlichſte Glut der Liebe, ge¬
mildert durch die ſittliche Hoͤhe des Geiſtes, das erſchien
mir im Allgemeinen als des Gedichtes durchgreifender
Character. Übrigens kam es mir vor, als ſeyen die
ausgeſprochenen Gefuͤhle ſtaͤrker, als wir ſie in anderen
Gedichten Goethe's anzutreffen gewohnt ſind, und ich
ſchloß daraus auf einen Einfluß von Byron, welches
Goethe auch nicht ablehnte.
„Sie ſehen das Product eines hoͤchſt leidenſchaftlichen
Zuſtandes, fuͤgte er hinzu; als ich darin befangen war,
haͤtte ich ihn um alles in der Welt nicht entbehren
moͤgen, und jetzt moͤchte ich um keinen Preis wieder
hineingerathen.“
„Ich ſchrieb das Gedicht, unmittelbar als ich von
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/111>, abgerufen am 25.11.2024.
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