indischen Gedichte. Goethe sprach derweile mit mir über seine Elegie von Marienbad.
Um acht Uhr ging der Canzler; ich wollte auch ge¬ hen, Goethe bat mich aber, noch ein wenig zu bleiben. Ich setzte mich wieder. Das Gespräch kam auf das Theater und daß morgen der Wallenstein würde ge¬ geben werden. Dieß gab Gelegenheit, über Schiller zu reden.
Es geht mir mit Schiller eigen, sagte ich; einige Scenen seiner großen Theater-Stücke lese ich mit wah¬ rer Liebe und Bewunderung, dann aber komme ich auf Verstöße gegen die Wahrheit der Natur, und ich kann nicht weiter. Selbst mit dem Wallenstein geht es mir nicht anders. Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß Schillers philosophische Richtung seiner Poesie geschadet hat; denn durch sie kam er dahin, die Idee höher zu halten als alle Natur, ja die Natur dadurch zu ver¬ nichten. Was er sich denken konnte, mußte geschehen, es mochte nun der Natur gemäß oder ihr zuwider seyn.
"Es ist betrübend, sagte Goethe, wenn man sieht, wie ein so außerordentlich begabter Mensch sich mit phi¬ losophischen Denkweisen herumquälte, die ihm nichts helfen konnten. Humboldt hat mir Briefe mitgebracht, die Schiller in der unseligen Zeit jener Speculationen an ihn geschrieben. Man sieht daraus, wie er sich da¬ mals mit der Intention plagte, die sentimentale Poesie von der naiven ganz frey zu machen. Aber nun konnte er
indiſchen Gedichte. Goethe ſprach derweile mit mir uͤber ſeine Elegie von Marienbad.
Um acht Uhr ging der Canzler; ich wollte auch ge¬ hen, Goethe bat mich aber, noch ein wenig zu bleiben. Ich ſetzte mich wieder. Das Geſpraͤch kam auf das Theater und daß morgen der Wallenſtein wuͤrde ge¬ geben werden. Dieß gab Gelegenheit, uͤber Schiller zu reden.
Es geht mir mit Schiller eigen, ſagte ich; einige Scenen ſeiner großen Theater-Stuͤcke leſe ich mit wah¬ rer Liebe und Bewunderung, dann aber komme ich auf Verſtoͤße gegen die Wahrheit der Natur, und ich kann nicht weiter. Selbſt mit dem Wallenſtein geht es mir nicht anders. Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß Schillers philoſophiſche Richtung ſeiner Poeſie geſchadet hat; denn durch ſie kam er dahin, die Idee hoͤher zu halten als alle Natur, ja die Natur dadurch zu ver¬ nichten. Was er ſich denken konnte, mußte geſchehen, es mochte nun der Natur gemaͤß oder ihr zuwider ſeyn.
„Es iſt betruͤbend, ſagte Goethe, wenn man ſieht, wie ein ſo außerordentlich begabter Menſch ſich mit phi¬ loſophiſchen Denkweiſen herumquaͤlte, die ihm nichts helfen konnten. Humboldt hat mir Briefe mitgebracht, die Schiller in der unſeligen Zeit jener Speculationen an ihn geſchrieben. Man ſieht daraus, wie er ſich da¬ mals mit der Intention plagte, die ſentimentale Poeſie von der naiven ganz frey zu machen. Aber nun konnte er
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indiſchen Gedichte. Goethe ſprach derweile mit mir
uͤber ſeine Elegie von Marienbad.
Um acht Uhr ging der Canzler; ich wollte auch ge¬
hen, Goethe bat mich aber, noch ein wenig zu bleiben.
Ich ſetzte mich wieder. Das Geſpraͤch kam auf das
Theater und daß morgen der Wallenſtein wuͤrde ge¬
geben werden. Dieß gab Gelegenheit, uͤber Schiller
zu reden.
Es geht mir mit Schiller eigen, ſagte ich; einige
Scenen ſeiner großen Theater-Stuͤcke leſe ich mit wah¬
rer Liebe und Bewunderung, dann aber komme ich auf
Verſtoͤße gegen die Wahrheit der Natur, und ich kann
nicht weiter. Selbſt mit dem Wallenſtein geht es mir
nicht anders. Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß
Schillers philoſophiſche Richtung ſeiner Poeſie geſchadet
hat; denn durch ſie kam er dahin, die Idee hoͤher zu
halten als alle Natur, ja die Natur dadurch zu ver¬
nichten. Was er ſich denken konnte, mußte geſchehen,
es mochte nun der Natur gemaͤß oder ihr zuwider ſeyn.
„Es iſt betruͤbend, ſagte Goethe, wenn man ſieht,
wie ein ſo außerordentlich begabter Menſch ſich mit phi¬
loſophiſchen Denkweiſen herumquaͤlte, die ihm nichts
helfen konnten. Humboldt hat mir Briefe mitgebracht,
die Schiller in der unſeligen Zeit jener Speculationen
an ihn geſchrieben. Man ſieht daraus, wie er ſich da¬
mals mit der Intention plagte, die ſentimentale Poeſie
von der naiven ganz frey zu machen. Aber nun konnte er
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/108>, abgerufen am 25.11.2024.
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