Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

27 Jahre alt seyn; er war sehr mager, behende und
zierlich, ich hätte ihn leicht tragen können."

Ich fragte ihn, ob Goethe in jener ersten Zeit seines
Hierseyns auch sehr lustig gewesen? "Allerdings, antwor¬
tete er, sey er mit den Fröhlichen fröhlich gewesen, jedoch
nie über die Grenze; in solchen Fällen sey er gewöhn¬
lich ernst geworden. Immer gearbeitet und geforscht und
seinen Sinn auf Kunst und Wissenschaft gerichtet, das
sey im Allgemeinen seines Herrn fortwährende Richtung
gewesen. Abends habe ihn der Herzog häufig besucht
und da hätten sie oft bis tief in die Nacht hinein über
gelehrte Gegenstände gesprochen, so daß ihm oft Zeit
und Weile lang geworden und er oft gedacht habe, ob
denn der Herzog noch nicht gehen wolle. Und die Na¬
turforschung, fügte er hinzu, war schon damals seine
Sache."

"Einst klingelte er mitten in der Nacht, und als
ich zu ihm in die Kammer trete, hat er sein eisernes
Rollbette vom untersten Ende der Kammer herauf bis
ans Fenster gerollt und liegt und beobachtet den Him¬
mel. "Hast Du nichts am Himmel gesehen?" fragte
er mich, und als ich dieß verneinte: "so laufe einmal
nach der Wache und frage den Posten, ob der nichts
gesehen." Ich lief hin, der Posten hatte aber nichts
gesehen, welches ich meinem Herrn meldete, der noch
eben so lag und den Himmel unverwandt beobachtete.
"Höre, sagte er dann zu mir, wir sind in einem be¬

27 Jahre alt ſeyn; er war ſehr mager, behende und
zierlich, ich haͤtte ihn leicht tragen koͤnnen.“

Ich fragte ihn, ob Goethe in jener erſten Zeit ſeines
Hierſeyns auch ſehr luſtig geweſen? „Allerdings, antwor¬
tete er, ſey er mit den Froͤhlichen froͤhlich geweſen, jedoch
nie uͤber die Grenze; in ſolchen Faͤllen ſey er gewoͤhn¬
lich ernſt geworden. Immer gearbeitet und geforſcht und
ſeinen Sinn auf Kunſt und Wiſſenſchaft gerichtet, das
ſey im Allgemeinen ſeines Herrn fortwaͤhrende Richtung
geweſen. Abends habe ihn der Herzog haͤufig beſucht
und da haͤtten ſie oft bis tief in die Nacht hinein uͤber
gelehrte Gegenſtaͤnde geſprochen, ſo daß ihm oft Zeit
und Weile lang geworden und er oft gedacht habe, ob
denn der Herzog noch nicht gehen wolle. Und die Na¬
turforſchung, fuͤgte er hinzu, war ſchon damals ſeine
Sache.“

„Einſt klingelte er mitten in der Nacht, und als
ich zu ihm in die Kammer trete, hat er ſein eiſernes
Rollbette vom unterſten Ende der Kammer herauf bis
ans Fenſter gerollt und liegt und beobachtet den Him¬
mel. „Haſt Du nichts am Himmel geſehen?“ fragte
er mich, und als ich dieß verneinte: „ſo laufe einmal
nach der Wache und frage den Poſten, ob der nichts
geſehen.“ Ich lief hin, der Poſten hatte aber nichts
geſehen, welches ich meinem Herrn meldete, der noch
eben ſo lag und den Himmel unverwandt beobachtete.
„Hoͤre, ſagte er dann zu mir, wir ſind in einem be¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="85"/>
27 Jahre alt &#x017F;eyn; er war &#x017F;ehr mager, behende und<lb/>
zierlich, ich ha&#x0364;tte ihn leicht tragen ko&#x0364;nnen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich fragte ihn, ob Goethe in jener er&#x017F;ten Zeit &#x017F;eines<lb/>
Hier&#x017F;eyns auch &#x017F;ehr lu&#x017F;tig gewe&#x017F;en? &#x201E;Allerdings, antwor¬<lb/>
tete er, &#x017F;ey er mit den Fro&#x0364;hlichen fro&#x0364;hlich gewe&#x017F;en, jedoch<lb/>
nie u&#x0364;ber die Grenze; in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen &#x017F;ey er gewo&#x0364;hn¬<lb/>
lich ern&#x017F;t geworden. Immer gearbeitet und gefor&#x017F;cht und<lb/>
&#x017F;einen Sinn auf Kun&#x017F;t und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gerichtet, das<lb/>
&#x017F;ey im Allgemeinen &#x017F;eines Herrn fortwa&#x0364;hrende Richtung<lb/>
gewe&#x017F;en. Abends habe ihn der Herzog ha&#x0364;ufig be&#x017F;ucht<lb/>
und da ha&#x0364;tten &#x017F;ie oft bis tief in die Nacht hinein u&#x0364;ber<lb/>
gelehrte Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde ge&#x017F;prochen, &#x017F;o daß ihm oft Zeit<lb/>
und Weile lang geworden und er oft gedacht habe, ob<lb/>
denn der Herzog noch nicht gehen wolle. Und die Na¬<lb/>
turfor&#x017F;chung, fu&#x0364;gte er hinzu, war &#x017F;chon damals &#x017F;eine<lb/>
Sache.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ein&#x017F;t klingelte er mitten in der Nacht, und als<lb/>
ich zu ihm in die Kammer trete, hat er &#x017F;ein ei&#x017F;ernes<lb/>
Rollbette vom unter&#x017F;ten Ende der Kammer herauf bis<lb/>
ans Fen&#x017F;ter gerollt und liegt und beobachtet den Him¬<lb/>
mel. &#x201E;Ha&#x017F;t Du nichts am Himmel ge&#x017F;ehen?&#x201C; fragte<lb/>
er mich, und als ich dieß verneinte: &#x201E;&#x017F;o laufe einmal<lb/>
nach der Wache und frage den Po&#x017F;ten, ob der nichts<lb/>
ge&#x017F;ehen.&#x201C; Ich lief hin, der Po&#x017F;ten hatte aber nichts<lb/>
ge&#x017F;ehen, welches ich meinem Herrn meldete, der noch<lb/>
eben &#x017F;o lag und den Himmel unverwandt beobachtete.<lb/>
&#x201E;Ho&#x0364;re, &#x017F;agte er dann zu mir, wir &#x017F;ind in einem be¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0105] 27 Jahre alt ſeyn; er war ſehr mager, behende und zierlich, ich haͤtte ihn leicht tragen koͤnnen.“ Ich fragte ihn, ob Goethe in jener erſten Zeit ſeines Hierſeyns auch ſehr luſtig geweſen? „Allerdings, antwor¬ tete er, ſey er mit den Froͤhlichen froͤhlich geweſen, jedoch nie uͤber die Grenze; in ſolchen Faͤllen ſey er gewoͤhn¬ lich ernſt geworden. Immer gearbeitet und geforſcht und ſeinen Sinn auf Kunſt und Wiſſenſchaft gerichtet, das ſey im Allgemeinen ſeines Herrn fortwaͤhrende Richtung geweſen. Abends habe ihn der Herzog haͤufig beſucht und da haͤtten ſie oft bis tief in die Nacht hinein uͤber gelehrte Gegenſtaͤnde geſprochen, ſo daß ihm oft Zeit und Weile lang geworden und er oft gedacht habe, ob denn der Herzog noch nicht gehen wolle. Und die Na¬ turforſchung, fuͤgte er hinzu, war ſchon damals ſeine Sache.“ „Einſt klingelte er mitten in der Nacht, und als ich zu ihm in die Kammer trete, hat er ſein eiſernes Rollbette vom unterſten Ende der Kammer herauf bis ans Fenſter gerollt und liegt und beobachtet den Him¬ mel. „Haſt Du nichts am Himmel geſehen?“ fragte er mich, und als ich dieß verneinte: „ſo laufe einmal nach der Wache und frage den Poſten, ob der nichts geſehen.“ Ich lief hin, der Poſten hatte aber nichts geſehen, welches ich meinem Herrn meldete, der noch eben ſo lag und den Himmel unverwandt beobachtete. „Hoͤre, ſagte er dann zu mir, wir ſind in einem be¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/105
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/105>, abgerufen am 25.11.2024.