herumgetragen, so daß er denn freylich Zeit hatte, sich von allem Ungehörigen zu läutern."
Es wird Wirkung thun, sagte ich, wenn es beym Publicum hervortritt.
"Ach, das Publicum!" -- seufzete Goethe.
Sollte es nicht gut seyn, sagte ich, wenn man dem Verständniß zu Hülfe käme und es machte, wie bey der Erklärung eines Gemäldes, wo man durch Vorführung der vorhergegangenen Momente das wirklich Gegenwär¬ tige zu beleben sucht?
"Ich bin nicht der Meinung, sagte Goethe. Mit Ge¬ mälden ist es ein anderes; weil aber ein Gedicht gleich¬ falls aus Worten besteht, so hebt ein Wort das an¬ dere auf."
Goethe scheint mir hierdurch sehr treffend die Klippe angedeutet zu haben, woran Ausleger von Gedichten gewöhnlich scheitern. Es frägt sich aber, ob es nicht möglich sey, eine solche Klippe zu vermeiden und einem Gedichte dennoch durch Worte zu Hülfe zu kommen, ohne das Zarte seines innern Lebens im mindesten zu verletzen.
Als ich ging, wünschte er, daß ich die Bogen von Kunst und Alterthum mit nach Hause nehme, um das Gedicht ferner zu betrachten; deßgleichen die östlichen Rosen von Rückert, von welchem Dichter er viel zu halten und die besten Erwartungen zu hegen scheint.
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herumgetragen, ſo daß er denn freylich Zeit hatte, ſich von allem Ungehoͤrigen zu laͤutern.“
Es wird Wirkung thun, ſagte ich, wenn es beym Publicum hervortritt.
„Ach, das Publicum!“ — ſeufzete Goethe.
Sollte es nicht gut ſeyn, ſagte ich, wenn man dem Verſtaͤndniß zu Huͤlfe kaͤme und es machte, wie bey der Erklaͤrung eines Gemaͤldes, wo man durch Vorfuͤhrung der vorhergegangenen Momente das wirklich Gegenwaͤr¬ tige zu beleben ſucht?
„Ich bin nicht der Meinung, ſagte Goethe. Mit Ge¬ maͤlden iſt es ein anderes; weil aber ein Gedicht gleich¬ falls aus Worten beſteht, ſo hebt ein Wort das an¬ dere auf.“
Goethe ſcheint mir hierdurch ſehr treffend die Klippe angedeutet zu haben, woran Ausleger von Gedichten gewoͤhnlich ſcheitern. Es fraͤgt ſich aber, ob es nicht moͤglich ſey, eine ſolche Klippe zu vermeiden und einem Gedichte dennoch durch Worte zu Huͤlfe zu kommen, ohne das Zarte ſeines innern Lebens im mindeſten zu verletzen.
Als ich ging, wuͤnſchte er, daß ich die Bogen von Kunſt und Alterthum mit nach Hauſe nehme, um das Gedicht ferner zu betrachten; deßgleichen die oͤſtlichen Roſen von Ruͤckert, von welchem Dichter er viel zu halten und die beſten Erwartungen zu hegen ſcheint.
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herumgetragen, ſo daß er denn freylich Zeit hatte, ſich
von allem Ungehoͤrigen zu laͤutern.“
Es wird Wirkung thun, ſagte ich, wenn es beym
Publicum hervortritt.
„Ach, das Publicum!“ — ſeufzete Goethe.
Sollte es nicht gut ſeyn, ſagte ich, wenn man dem
Verſtaͤndniß zu Huͤlfe kaͤme und es machte, wie bey der
Erklaͤrung eines Gemaͤldes, wo man durch Vorfuͤhrung
der vorhergegangenen Momente das wirklich Gegenwaͤr¬
tige zu beleben ſucht?
„Ich bin nicht der Meinung, ſagte Goethe. Mit Ge¬
maͤlden iſt es ein anderes; weil aber ein Gedicht gleich¬
falls aus Worten beſteht, ſo hebt ein Wort das an¬
dere auf.“
Goethe ſcheint mir hierdurch ſehr treffend die Klippe
angedeutet zu haben, woran Ausleger von Gedichten
gewoͤhnlich ſcheitern. Es fraͤgt ſich aber, ob es nicht
moͤglich ſey, eine ſolche Klippe zu vermeiden und einem
Gedichte dennoch durch Worte zu Huͤlfe zu kommen,
ohne das Zarte ſeines innern Lebens im mindeſten zu
verletzen.
Als ich ging, wuͤnſchte er, daß ich die Bogen von
Kunſt und Alterthum mit nach Hauſe nehme, um das
Gedicht ferner zu betrachten; deßgleichen die oͤſtlichen
Roſen von Ruͤckert, von welchem Dichter er viel
zu halten und die beſten Erwartungen zu hegen ſcheint.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/103>, abgerufen am 24.11.2024.
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