der Fuhrknecht seine Maulthiere anhielt und nach ihrem Begehren fragte. Nun schlug sie den Schleier zurück und zeigte dem kranken Jünglinge ihr hübsches, tieferröthendes Gesicht. Gaumata stieß, als er dasselbe erkannte, einen leisen Schrei aus, sammelte sich aber bald wieder und fragte: "Was willst Du von mir, Mandane?"
Die Unglückliche hob ihre Hände flehend empor und rief: "O verlaß mich nicht, Gaumata! Nimm mich mit Dir! Jch verzeihe Dir all' das Unglück, in welches Du mich und die arme Herrin gestürzt hast. Jch liebe Dich ja so sehr und will Dich pflegen und für Dich sorgen, wie Deine niedrigste Magd!"
Der Jüngling kämpfte in seinem Jnnern einen kurzen Kampf. Schon wollte er die Thür des Wagens öffnen und die Geliebte seiner Kindheit in seine Arme schließen, als er den Hufschlag nahender Rosse vernahm. Er sah sich um, erblickte einen Wagen voll Magier, welche zum Gebet nach dem Schlosse fuhren, und erkannte in ihnen mehrere frühere Genossen aus der Priesterschule. Seine Scham erwachte; er fürchtete, von denselben, die er, als Bruder des Oberpriesters, oftmals stolz und hochfahrend behandelt hatte, gesehen zu werden, warf Mandane einen Beutel voll Gold, den ihm sein Bruder beim Abschied ge- schenkt hatte, zu und befahl dem Fuhrmann, in aller Eile fortzufahren. Die Maulthiere jagten in wilder Flucht davon. Mandane stieß den Beutel mit den Füßen von sich, lief dem Gespanne nach und hielt sich an dem Kasten des Wagens fest. Ein Rad erfaßte ihr Kleid und riß sie zu Boden. Mit der Kraft der Verzweiflung sprang sie auf, überholte die Mäuler, welche, da die Straße einen Berg hinaufführte, langsamer gehen mußten, und warf sich denselben in die Zügel. Der Fuhrknecht brauchte seine
der Fuhrknecht ſeine Maulthiere anhielt und nach ihrem Begehren fragte. Nun ſchlug ſie den Schleier zurück und zeigte dem kranken Jünglinge ihr hübſches, tieferröthendes Geſicht. Gaumata ſtieß, als er daſſelbe erkannte, einen leiſen Schrei aus, ſammelte ſich aber bald wieder und fragte: „Was willſt Du von mir, Mandane?“
Die Unglückliche hob ihre Hände flehend empor und rief: „O verlaß mich nicht, Gaumata! Nimm mich mit Dir! Jch verzeihe Dir all’ das Unglück, in welches Du mich und die arme Herrin geſtürzt haſt. Jch liebe Dich ja ſo ſehr und will Dich pflegen und für Dich ſorgen, wie Deine niedrigſte Magd!“
Der Jüngling kämpfte in ſeinem Jnnern einen kurzen Kampf. Schon wollte er die Thür des Wagens öffnen und die Geliebte ſeiner Kindheit in ſeine Arme ſchließen, als er den Hufſchlag nahender Roſſe vernahm. Er ſah ſich um, erblickte einen Wagen voll Magier, welche zum Gebet nach dem Schloſſe fuhren, und erkannte in ihnen mehrere frühere Genoſſen aus der Prieſterſchule. Seine Scham erwachte; er fürchtete, von denſelben, die er, als Bruder des Oberprieſters, oftmals ſtolz und hochfahrend behandelt hatte, geſehen zu werden, warf Mandane einen Beutel voll Gold, den ihm ſein Bruder beim Abſchied ge- ſchenkt hatte, zu und befahl dem Fuhrmann, in aller Eile fortzufahren. Die Maulthiere jagten in wilder Flucht davon. Mandane ſtieß den Beutel mit den Füßen von ſich, lief dem Geſpanne nach und hielt ſich an dem Kaſten des Wagens feſt. Ein Rad erfaßte ihr Kleid und riß ſie zu Boden. Mit der Kraft der Verzweiflung ſprang ſie auf, überholte die Mäuler, welche, da die Straße einen Berg hinaufführte, langſamer gehen mußten, und warf ſich denſelben in die Zügel. Der Fuhrknecht brauchte ſeine
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der Fuhrknecht ſeine Maulthiere anhielt und nach ihrem
Begehren fragte. Nun ſchlug ſie den Schleier zurück und
zeigte dem kranken Jünglinge ihr hübſches, tieferröthendes
Geſicht. Gaumata ſtieß, als er daſſelbe erkannte, einen
leiſen Schrei aus, ſammelte ſich aber bald wieder und
fragte: „Was willſt Du von mir, Mandane?“
Die Unglückliche hob ihre Hände flehend empor und
rief: „O verlaß mich nicht, Gaumata! Nimm mich mit
Dir! Jch verzeihe Dir all’ das Unglück, in welches Du
mich und die arme Herrin geſtürzt haſt. Jch liebe Dich
ja ſo ſehr und will Dich pflegen und für Dich ſorgen,
wie Deine niedrigſte Magd!“
Der Jüngling kämpfte in ſeinem Jnnern einen kurzen
Kampf. Schon wollte er die Thür des Wagens öffnen
und die Geliebte ſeiner Kindheit in ſeine Arme ſchließen,
als er den Hufſchlag nahender Roſſe vernahm. Er ſah
ſich um, erblickte einen Wagen voll Magier, welche zum
Gebet nach dem Schloſſe fuhren, und erkannte in ihnen
mehrere frühere Genoſſen aus der Prieſterſchule. Seine
Scham erwachte; er fürchtete, von denſelben, die er, als
Bruder des Oberprieſters, oftmals ſtolz und hochfahrend
behandelt hatte, geſehen zu werden, warf Mandane einen
Beutel voll Gold, den ihm ſein Bruder beim Abſchied ge-
ſchenkt hatte, zu und befahl dem Fuhrmann, in aller Eile
fortzufahren. Die Maulthiere jagten in wilder Flucht
davon. Mandane ſtieß den Beutel mit den Füßen von
ſich, lief dem Geſpanne nach und hielt ſich an dem Kaſten
des Wagens feſt. Ein Rad erfaßte ihr Kleid und riß
ſie zu Boden. Mit der Kraft der Verzweiflung ſprang
ſie auf, überholte die Mäuler, welche, da die Straße einen
Berg hinaufführte, langſamer gehen mußten, und warf ſich
denſelben in die Zügel. Der Fuhrknecht brauchte ſeine
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/50>, abgerufen am 16.02.2025.
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