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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Wollengewebe kaum mit den Füßen berührend, bis an das
Lager ihrer kranken Freundin geschlichen, um einen leisen
Kuß auf die von einzelnen feuchten Perlen bethaute Stirn
derselben zu hauchen; war aber jedesmal von dem ägyp-
tischen Arzte mit streng verweisenden Blicken in das Neben-
zimmer heimgesandt worden.

Hier lag Kassandane, den Ausgang der Dinge er-
wartend, während Kambyses, als die Sonne aufgegangen
und Nitetis in Schlummer versunken war, die Kranken-
stube verlassen und sich auf ein Roß geschwungen hatte,
um, von Phanes, Prexaspes, Otanes, Darius und vielen
aus dem Schlaf geweckten Höflingen begleitet, den Thier-
garten in einem wilden Ritte zu durchmessen. Er wußte,
daß er jede Gemüthsbewegung am besten auf dem Rücken
eines unbändigen Hengstes sitzend überwältigen oder ver-
gessen konnte.

Als Nebenchari den dröhnenden Hufschlag aus der
Ferne vernahm, schrack er zusammen. Jhm träumte mit
offenen Augen, der König ziehe mit unübersehbaren Reiter-
schaaren in seine Heimat, werfe Brandfackeln in die Städte
und Tempel derselben und zermalme mit gewaltigen Faust-
schlägen die Riesenbauten der Pyramiden. Jn dem Schutte
der eingeäscherten Städte lagen Weiber und Kinder, aus
den Gräbern schrieen mit klagenden Stimmen die Mumien
der Verstorbenen, die sich gleich Lebenden bewegten; und
Alle: Priester, Krieger, Weiber, Kinder, Todte und Ster-
bende, riefen seinen Namen aus und fluchten ihm, dem
Verräther seines Vaterlandes. -- Kalte Fieberschauer durch-
bebten sein Herz, welches krampfhafter schlug als die Adern
der Sterbenden an seiner Seite. -- Wiederum öffnete sich
der Vorhang des Nebenzimmers, wiederum schlich Atossa
herbei und legte ihre Hand auf seine Schulter. Er schrack

Wollengewebe kaum mit den Füßen berührend, bis an das
Lager ihrer kranken Freundin geſchlichen, um einen leiſen
Kuß auf die von einzelnen feuchten Perlen bethaute Stirn
derſelben zu hauchen; war aber jedesmal von dem ägyp-
tiſchen Arzte mit ſtreng verweiſenden Blicken in das Neben-
zimmer heimgeſandt worden.

Hier lag Kaſſandane, den Ausgang der Dinge er-
wartend, während Kambyſes, als die Sonne aufgegangen
und Nitetis in Schlummer verſunken war, die Kranken-
ſtube verlaſſen und ſich auf ein Roß geſchwungen hatte,
um, von Phanes, Prexaspes, Otanes, Darius und vielen
aus dem Schlaf geweckten Höflingen begleitet, den Thier-
garten in einem wilden Ritte zu durchmeſſen. Er wußte,
daß er jede Gemüthsbewegung am beſten auf dem Rücken
eines unbändigen Hengſtes ſitzend überwältigen oder ver-
geſſen konnte.

Als Nebenchari den dröhnenden Hufſchlag aus der
Ferne vernahm, ſchrack er zuſammen. Jhm träumte mit
offenen Augen, der König ziehe mit unüberſehbaren Reiter-
ſchaaren in ſeine Heimat, werfe Brandfackeln in die Städte
und Tempel derſelben und zermalme mit gewaltigen Fauſt-
ſchlägen die Rieſenbauten der Pyramiden. Jn dem Schutte
der eingeäſcherten Städte lagen Weiber und Kinder, aus
den Gräbern ſchrieen mit klagenden Stimmen die Mumien
der Verſtorbenen, die ſich gleich Lebenden bewegten; und
Alle: Prieſter, Krieger, Weiber, Kinder, Todte und Ster-
bende, riefen ſeinen Namen aus und fluchten ihm, dem
Verräther ſeines Vaterlandes. — Kalte Fieberſchauer durch-
bebten ſein Herz, welches krampfhafter ſchlug als die Adern
der Sterbenden an ſeiner Seite. — Wiederum öffnete ſich
der Vorhang des Nebenzimmers, wiederum ſchlich Atoſſa
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[30/0040] Wollengewebe kaum mit den Füßen berührend, bis an das Lager ihrer kranken Freundin geſchlichen, um einen leiſen Kuß auf die von einzelnen feuchten Perlen bethaute Stirn derſelben zu hauchen; war aber jedesmal von dem ägyp- tiſchen Arzte mit ſtreng verweiſenden Blicken in das Neben- zimmer heimgeſandt worden. Hier lag Kaſſandane, den Ausgang der Dinge er- wartend, während Kambyſes, als die Sonne aufgegangen und Nitetis in Schlummer verſunken war, die Kranken- ſtube verlaſſen und ſich auf ein Roß geſchwungen hatte, um, von Phanes, Prexaspes, Otanes, Darius und vielen aus dem Schlaf geweckten Höflingen begleitet, den Thier- garten in einem wilden Ritte zu durchmeſſen. Er wußte, daß er jede Gemüthsbewegung am beſten auf dem Rücken eines unbändigen Hengſtes ſitzend überwältigen oder ver- geſſen konnte. Als Nebenchari den dröhnenden Hufſchlag aus der Ferne vernahm, ſchrack er zuſammen. Jhm träumte mit offenen Augen, der König ziehe mit unüberſehbaren Reiter- ſchaaren in ſeine Heimat, werfe Brandfackeln in die Städte und Tempel derſelben und zermalme mit gewaltigen Fauſt- ſchlägen die Rieſenbauten der Pyramiden. Jn dem Schutte der eingeäſcherten Städte lagen Weiber und Kinder, aus den Gräbern ſchrieen mit klagenden Stimmen die Mumien der Verſtorbenen, die ſich gleich Lebenden bewegten; und Alle: Prieſter, Krieger, Weiber, Kinder, Todte und Ster- bende, riefen ſeinen Namen aus und fluchten ihm, dem Verräther ſeines Vaterlandes. — Kalte Fieberſchauer durch- bebten ſein Herz, welches krampfhafter ſchlug als die Adern der Sterbenden an ſeiner Seite. — Wiederum öffnete ſich der Vorhang des Nebenzimmers, wiederum ſchlich Atoſſa herbei und legte ihre Hand auf ſeine Schulter. Er ſchrack

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/40>, abgerufen am 25.11.2024.