Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

für einen Schurken, einen Spitzbuben, einen Verräther,
wenn's euch gefällig ist, auch für einen Mörder hält!"

Bei diesen letzten Worten floßen die Augen des Grei-
ses, sehr gegen seinen Willen, von heißen Thränen über.

Der leicht gerührte Phanes klopfte ihm auf die
Schulter und sagte, sich an Nebenchari wendend: "Hib ist
ein treuer Mensch. Nenne mich einen Schurken, wenn
derselbe einen Obolos von mir angenommen hat."

Der Arzt hätte dieser Worte des Atheners nicht be-
durft, um von der Unschuld seines Dieners vollkommen
überzeugt zu sein. Er kannte denselben so lange und so
genau, daß er in den keiner Verstellung fähigen Zügen des
Alten wie in einem offenen Buche zu lesen verstand; darum
näherte er sich demselben und sagte begütigend: "Jch habe
Dir nichts vorgeworfen, Alter. Wer wird über eine bloße
Frage so böse werden!"

"Soll mich wohl noch über Deinen schändlichen Ver-
dacht freuen?"

"Das nicht; -- wohl aber gestatte ich Dir jetzt, zu
erzählen, was sich während meiner Abwesenheit in unserem
Hause zugetragen hat."

"Schöne Geschichten! Die Galle steigt mir zu Kopfe,
wenn ich daran denke."

"Du sagtest vorhin, man habe mich bestohlen."

"Und wie! -- So ist noch gar kein Mensch vor uns
bestohlen worden! Wenn die Spitzbuben noch Strolche von
der Diebeskaste gewesen wären 12), so könnte man sich
trösten, -- denn erstens würden wir dann den besten Theil
unsres Eigenthums wieder bekommen haben, und zweitens
nicht schlimmer dran gewesen sein, als viele Andre; --
wenn aber --"

"Bleibe bei der Sache, denn meine Zeit ist gemessen!"

für einen Schurken, einen Spitzbuben, einen Verräther,
wenn’s euch gefällig iſt, auch für einen Mörder hält!“

Bei dieſen letzten Worten floßen die Augen des Grei-
ſes, ſehr gegen ſeinen Willen, von heißen Thränen über.

Der leicht gerührte Phanes klopfte ihm auf die
Schulter und ſagte, ſich an Nebenchari wendend: „Hib iſt
ein treuer Menſch. Nenne mich einen Schurken, wenn
derſelbe einen Obolos von mir angenommen hat.“

Der Arzt hätte dieſer Worte des Atheners nicht be-
durft, um von der Unſchuld ſeines Dieners vollkommen
überzeugt zu ſein. Er kannte denſelben ſo lange und ſo
genau, daß er in den keiner Verſtellung fähigen Zügen des
Alten wie in einem offenen Buche zu leſen verſtand; darum
näherte er ſich demſelben und ſagte begütigend: „Jch habe
Dir nichts vorgeworfen, Alter. Wer wird über eine bloße
Frage ſo böſe werden!“

„Soll mich wohl noch über Deinen ſchändlichen Ver-
dacht freuen?“

„Das nicht; — wohl aber geſtatte ich Dir jetzt, zu
erzählen, was ſich während meiner Abweſenheit in unſerem
Hauſe zugetragen hat.“

„Schöne Geſchichten! Die Galle ſteigt mir zu Kopfe,
wenn ich daran denke.“

„Du ſagteſt vorhin, man habe mich beſtohlen.“

„Und wie! — So iſt noch gar kein Menſch vor uns
beſtohlen worden! Wenn die Spitzbuben noch Strolche von
der Diebeskaſte geweſen wären 12), ſo könnte man ſich
tröſten, — denn erſtens würden wir dann den beſten Theil
unſres Eigenthums wieder bekommen haben, und zweitens
nicht ſchlimmer dran geweſen ſein, als viele Andre; —
wenn aber —“

„Bleibe bei der Sache, denn meine Zeit iſt gemeſſen!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027" n="19"/>
für einen Schurken, einen Spitzbuben, einen Verräther,<lb/>
wenn&#x2019;s euch gefällig i&#x017F;t, auch für einen Mörder hält!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bei die&#x017F;en letzten Worten floßen die Augen des Grei-<lb/>
&#x017F;es, &#x017F;ehr gegen &#x017F;einen Willen, von heißen Thränen über.</p><lb/>
        <p>Der leicht gerührte Phanes klopfte ihm auf die<lb/>
Schulter und &#x017F;agte, &#x017F;ich an Nebenchari wendend: &#x201E;Hib i&#x017F;t<lb/>
ein treuer Men&#x017F;ch. Nenne mich einen Schurken, wenn<lb/>
der&#x017F;elbe einen Obolos von mir angenommen hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Arzt hätte die&#x017F;er Worte des Atheners nicht be-<lb/>
durft, um von der Un&#x017F;chuld &#x017F;eines Dieners vollkommen<lb/>
überzeugt zu &#x017F;ein. Er kannte den&#x017F;elben &#x017F;o lange und &#x017F;o<lb/>
genau, daß er in den keiner Ver&#x017F;tellung fähigen Zügen des<lb/>
Alten wie in einem offenen Buche zu le&#x017F;en ver&#x017F;tand; darum<lb/>
näherte er &#x017F;ich dem&#x017F;elben und &#x017F;agte begütigend: &#x201E;Jch habe<lb/>
Dir nichts vorgeworfen, Alter. Wer wird über eine bloße<lb/>
Frage &#x017F;o bö&#x017F;e werden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Soll mich wohl noch über Deinen &#x017F;chändlichen Ver-<lb/>
dacht freuen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das nicht; &#x2014; wohl aber ge&#x017F;tatte ich Dir jetzt, zu<lb/>
erzählen, was &#x017F;ich während meiner Abwe&#x017F;enheit in un&#x017F;erem<lb/>
Hau&#x017F;e zugetragen hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schöne Ge&#x017F;chichten! Die Galle &#x017F;teigt mir zu Kopfe,<lb/>
wenn ich daran denke.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du &#x017F;agte&#x017F;t vorhin, man habe mich be&#x017F;tohlen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und wie! &#x2014; So i&#x017F;t noch gar kein Men&#x017F;ch vor uns<lb/>
be&#x017F;tohlen worden! Wenn die Spitzbuben noch Strolche von<lb/>
der Diebeska&#x017F;te gewe&#x017F;en wären <hi rendition="#sup">12</hi>), &#x017F;o könnte man &#x017F;ich<lb/>
trö&#x017F;ten, &#x2014; denn er&#x017F;tens würden wir dann den be&#x017F;ten Theil<lb/>
un&#x017F;res Eigenthums wieder bekommen haben, und zweitens<lb/>
nicht &#x017F;chlimmer dran gewe&#x017F;en &#x017F;ein, als viele Andre; &#x2014;<lb/>
wenn aber &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bleibe bei der Sache, denn meine Zeit i&#x017F;t geme&#x017F;&#x017F;en!&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0027] für einen Schurken, einen Spitzbuben, einen Verräther, wenn’s euch gefällig iſt, auch für einen Mörder hält!“ Bei dieſen letzten Worten floßen die Augen des Grei- ſes, ſehr gegen ſeinen Willen, von heißen Thränen über. Der leicht gerührte Phanes klopfte ihm auf die Schulter und ſagte, ſich an Nebenchari wendend: „Hib iſt ein treuer Menſch. Nenne mich einen Schurken, wenn derſelbe einen Obolos von mir angenommen hat.“ Der Arzt hätte dieſer Worte des Atheners nicht be- durft, um von der Unſchuld ſeines Dieners vollkommen überzeugt zu ſein. Er kannte denſelben ſo lange und ſo genau, daß er in den keiner Verſtellung fähigen Zügen des Alten wie in einem offenen Buche zu leſen verſtand; darum näherte er ſich demſelben und ſagte begütigend: „Jch habe Dir nichts vorgeworfen, Alter. Wer wird über eine bloße Frage ſo böſe werden!“ „Soll mich wohl noch über Deinen ſchändlichen Ver- dacht freuen?“ „Das nicht; — wohl aber geſtatte ich Dir jetzt, zu erzählen, was ſich während meiner Abweſenheit in unſerem Hauſe zugetragen hat.“ „Schöne Geſchichten! Die Galle ſteigt mir zu Kopfe, wenn ich daran denke.“ „Du ſagteſt vorhin, man habe mich beſtohlen.“ „Und wie! — So iſt noch gar kein Menſch vor uns beſtohlen worden! Wenn die Spitzbuben noch Strolche von der Diebeskaſte geweſen wären 12), ſo könnte man ſich tröſten, — denn erſtens würden wir dann den beſten Theil unſres Eigenthums wieder bekommen haben, und zweitens nicht ſchlimmer dran geweſen ſein, als viele Andre; — wenn aber —“ „Bleibe bei der Sache, denn meine Zeit iſt gemeſſen!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/27
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/27>, abgerufen am 24.11.2024.