din Lebewohl zu sagen, und fand bei Kassandane, wie bei dem greisen Lyder, volles Verständniß für diesen Her- zenswunsch. Die Wittwe des Kyros hatte außerdem so viel von der edlen Großmutter ihrer Schwiegertochter ge- hört, daß sie dieselbe kennen zu lernen wünschte und sie, nachdem Sappho ein zärtliches Wiedersehen mit derselben gefeiert hatte, zu sich entbieten ließ.
Als die beiden Greisinnen einander gegenüberstanden, hätte ein Fremder nimmer entscheiden können, wer von ihnen die Königin sei; würde er sie doch Beide für Für- stinnen gehalten haben.
Krösus, welcher der Griechin ebenso nahe stand, als der Perserin, versah das Amt des Dolmetschers und wußte, unterstützt von dem biegsamen Geiste der Hellenin, das Gespräch in ununterbrochenem Fluß zu halten.
Nachdem Rhodopis mit dem ihr eignen Zauber Kas- sandane's Herz gewonnen hatte, glaubte die Königin, nach persischer Art, derselben ihr Wohlgefallen nicht besser be- weisen zu können, als durch die Aufforderung, ihr irgend einen Wunsch vorzutragen.
Die Hellenin zauderte einen Augenblick, ehe sie, ihre Hände wie zum Gebet erhebend, ausrief: "Laß' mir Sappho, den Trost und Schmuck meines Alters!"
Kassandane lächelte schmerzlich und gab zurück: "Diesen Wunsch vermag ich nicht zu erfüllen, denn unser Gesetz befiehlt, daß die Kinder der Achämeniden an der Pforte des Königs erzogen werden sollen. Jch darf die kleine Parmys, als einzige Enkelin des Kyros, nicht von mir lassen, und Sappho wird sich, so lieb sie Dich zu haben scheint, in keinem Falle von ihrem Kinde trennen. Auch ist sie mir und meiner Tochter so theuer, ja, ich möchte sagen, nothwendig geworden, daß ich sie, obgleich ich
din Lebewohl zu ſagen, und fand bei Kaſſandane, wie bei dem greiſen Lyder, volles Verſtändniß für dieſen Her- zenswunſch. Die Wittwe des Kyros hatte außerdem ſo viel von der edlen Großmutter ihrer Schwiegertochter ge- hört, daß ſie dieſelbe kennen zu lernen wünſchte und ſie, nachdem Sappho ein zärtliches Wiederſehen mit derſelben gefeiert hatte, zu ſich entbieten ließ.
Als die beiden Greiſinnen einander gegenüberſtanden, hätte ein Fremder nimmer entſcheiden können, wer von ihnen die Königin ſei; würde er ſie doch Beide für Für- ſtinnen gehalten haben.
Kröſus, welcher der Griechin ebenſo nahe ſtand, als der Perſerin, verſah das Amt des Dolmetſchers und wußte, unterſtützt von dem biegſamen Geiſte der Hellenin, das Geſpräch in ununterbrochenem Fluß zu halten.
Nachdem Rhodopis mit dem ihr eignen Zauber Kaſ- ſandane’s Herz gewonnen hatte, glaubte die Königin, nach perſiſcher Art, derſelben ihr Wohlgefallen nicht beſſer be- weiſen zu können, als durch die Aufforderung, ihr irgend einen Wunſch vorzutragen.
Die Hellenin zauderte einen Augenblick, ehe ſie, ihre Hände wie zum Gebet erhebend, ausrief: „Laß’ mir Sappho, den Troſt und Schmuck meines Alters!“
Kaſſandane lächelte ſchmerzlich und gab zurück: „Dieſen Wunſch vermag ich nicht zu erfüllen, denn unſer Geſetz befiehlt, daß die Kinder der Achämeniden an der Pforte des Königs erzogen werden ſollen. Jch darf die kleine Parmys, als einzige Enkelin des Kyros, nicht von mir laſſen, und Sappho wird ſich, ſo lieb ſie Dich zu haben ſcheint, in keinem Falle von ihrem Kinde trennen. Auch iſt ſie mir und meiner Tochter ſo theuer, ja, ich möchte ſagen, nothwendig geworden, daß ich ſie, obgleich ich
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din Lebewohl zu ſagen, und fand bei Kaſſandane, wie bei
dem greiſen Lyder, volles Verſtändniß für dieſen Her-
zenswunſch. Die Wittwe des Kyros hatte außerdem ſo
viel von der edlen Großmutter ihrer Schwiegertochter ge-
hört, daß ſie dieſelbe kennen zu lernen wünſchte und ſie,
nachdem Sappho ein zärtliches Wiederſehen mit derſelben
gefeiert hatte, zu ſich entbieten ließ.
Als die beiden Greiſinnen einander gegenüberſtanden,
hätte ein Fremder nimmer entſcheiden können, wer von
ihnen die Königin ſei; würde er ſie doch Beide für Für-
ſtinnen gehalten haben.
Kröſus, welcher der Griechin ebenſo nahe ſtand, als
der Perſerin, verſah das Amt des Dolmetſchers und wußte,
unterſtützt von dem biegſamen Geiſte der Hellenin, das
Geſpräch in ununterbrochenem Fluß zu halten.
Nachdem Rhodopis mit dem ihr eignen Zauber Kaſ-
ſandane’s Herz gewonnen hatte, glaubte die Königin, nach
perſiſcher Art, derſelben ihr Wohlgefallen nicht beſſer be-
weiſen zu können, als durch die Aufforderung, ihr irgend
einen Wunſch vorzutragen.
Die Hellenin zauderte einen Augenblick, ehe ſie, ihre
Hände wie zum Gebet erhebend, ausrief: „Laß’ mir
Sappho, den Troſt und Schmuck meines Alters!“
Kaſſandane lächelte ſchmerzlich und gab zurück: „Dieſen
Wunſch vermag ich nicht zu erfüllen, denn unſer Geſetz
befiehlt, daß die Kinder der Achämeniden an der Pforte
des Königs erzogen werden ſollen. Jch darf die kleine
Parmys, als einzige Enkelin des Kyros, nicht von mir
laſſen, und Sappho wird ſich, ſo lieb ſie Dich zu haben
ſcheint, in keinem Falle von ihrem Kinde trennen. Auch
iſt ſie mir und meiner Tochter ſo theuer, ja, ich möchte
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/240>, abgerufen am 17.07.2024.
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