woselbst er im Hause der Rhodopis, von deren Trefflichkeit ihm Pythagoras erzählt hatte, einen durch den Freibrief des Königs gesicherten Versteck fand. Hier wurde er mit Antimenidas, dem Bruder des Dichters Alkäos *) von Lesbos bekannt, der viele Jahre lang, während er durch Pittakos, den weisen Herrscher von Mitylene, aus der Heimat verbannt gewesen, zu Babylon gelebt und bei Nebukadnezar, dem damaligen Könige von Assyrien, Kriegs- dienste genommen hatte. Dieser Antimenidas gab ihm Empfehlungen an die Chaldäer. Onuphis reiste zum Eu- phrat, ließ sich zu Babylon nieder und mußte sich, da er als armer Mann seine Heimat verlassen hatte, nach einem Broderwerb umsehen. Einen solchen erhielt er durch den Empfehlungsbrief des Antimenidas. Heute noch fristet er, der einstmals zu den Mächtigsten in Aegypten gehörte, sein Leben, indem er den Chaldäern bei ihren astronomi- schen Berechnungen auf dem Thurme des Bel mit seinen überlegenen Kenntnissen hülfreiche Hand leistet. Onuphis ist beinahe achtzig Jahr' alt, doch vollkommen frischen Geistes. Als ich ihn gestern sprach und um seinen Beistand bat, sagte er mir denselben mit leuchtenden Augen zu. Dein Vater war einer seiner Richter; er will aber nicht seinen Groll von dem Erzeuger auf den Sohn übertragen und läßt Dir seinen Gruß entbieten."
Nebenchari hatte während dieser Erzählung sinnend zu Boden geschaut. Als Phanes schwieg, sah er denselben durchdringend an und fragte: "Wo sind meine Papiere?"
"Jn Händen des Onuphis, der in ihnen nach dem Belege sucht, dessen ich bedarf."
"Das konnte ich denken! Sei so gut, mir zu sagen,
*) S. 1. Theil Anm. 16 (Alkäos).
woſelbſt er im Hauſe der Rhodopis, von deren Trefflichkeit ihm Pythagoras erzählt hatte, einen durch den Freibrief des Königs geſicherten Verſteck fand. Hier wurde er mit Antimenidas, dem Bruder des Dichters Alkäos *) von Lesbos bekannt, der viele Jahre lang, während er durch Pittakos, den weiſen Herrſcher von Mitylene, aus der Heimat verbannt geweſen, zu Babylon gelebt und bei Nebukadnezar, dem damaligen Könige von Aſſyrien, Kriegs- dienſte genommen hatte. Dieſer Antimenidas gab ihm Empfehlungen an die Chaldäer. Onuphis reiste zum Eu- phrat, ließ ſich zu Babylon nieder und mußte ſich, da er als armer Mann ſeine Heimat verlaſſen hatte, nach einem Broderwerb umſehen. Einen ſolchen erhielt er durch den Empfehlungsbrief des Antimenidas. Heute noch friſtet er, der einſtmals zu den Mächtigſten in Aegypten gehörte, ſein Leben, indem er den Chaldäern bei ihren aſtronomi- ſchen Berechnungen auf dem Thurme des Bel mit ſeinen überlegenen Kenntniſſen hülfreiche Hand leiſtet. Onuphis iſt beinahe achtzig Jahr’ alt, doch vollkommen friſchen Geiſtes. Als ich ihn geſtern ſprach und um ſeinen Beiſtand bat, ſagte er mir denſelben mit leuchtenden Augen zu. Dein Vater war einer ſeiner Richter; er will aber nicht ſeinen Groll von dem Erzeuger auf den Sohn übertragen und läßt Dir ſeinen Gruß entbieten.“
Nebenchari hatte während dieſer Erzählung ſinnend zu Boden geſchaut. Als Phanes ſchwieg, ſah er denſelben durchdringend an und fragte: „Wo ſind meine Papiere?“
„Jn Händen des Onuphis, der in ihnen nach dem Belege ſucht, deſſen ich bedarf.“
„Das konnte ich denken! Sei ſo gut, mir zu ſagen,
*) S. 1. Theil Anm. 16 (Alkäos).
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woſelbſt er im Hauſe der Rhodopis, von deren Trefflichkeit
ihm Pythagoras erzählt hatte, einen durch den Freibrief
des Königs geſicherten Verſteck fand. Hier wurde er mit
Antimenidas, dem Bruder des Dichters Alkäos *) von
Lesbos bekannt, der viele Jahre lang, während er durch
Pittakos, den weiſen Herrſcher von Mitylene, aus der
Heimat verbannt geweſen, zu Babylon gelebt und bei
Nebukadnezar, dem damaligen Könige von Aſſyrien, Kriegs-
dienſte genommen hatte. Dieſer Antimenidas gab ihm
Empfehlungen an die Chaldäer. Onuphis reiste zum Eu-
phrat, ließ ſich zu Babylon nieder und mußte ſich, da er
als armer Mann ſeine Heimat verlaſſen hatte, nach einem
Broderwerb umſehen. Einen ſolchen erhielt er durch den
Empfehlungsbrief des Antimenidas. Heute noch friſtet er,
der einſtmals zu den Mächtigſten in Aegypten gehörte,
ſein Leben, indem er den Chaldäern bei ihren aſtronomi-
ſchen Berechnungen auf dem Thurme des Bel mit ſeinen
überlegenen Kenntniſſen hülfreiche Hand leiſtet. Onuphis
iſt beinahe achtzig Jahr’ alt, doch vollkommen friſchen Geiſtes.
Als ich ihn geſtern ſprach und um ſeinen Beiſtand bat,
ſagte er mir denſelben mit leuchtenden Augen zu. Dein
Vater war einer ſeiner Richter; er will aber nicht ſeinen
Groll von dem Erzeuger auf den Sohn übertragen und
läßt Dir ſeinen Gruß entbieten.“
Nebenchari hatte während dieſer Erzählung ſinnend
zu Boden geſchaut. Als Phanes ſchwieg, ſah er denſelben
durchdringend an und fragte: „Wo ſind meine Papiere?“
„Jn Händen des Onuphis, der in ihnen nach dem
Belege ſucht, deſſen ich bedarf.“
„Das konnte ich denken! Sei ſo gut, mir zu ſagen,
*) S. 1. Theil Anm. 16 (Alkäos).
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/24>, abgerufen am 16.07.2024.
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