er schon weiter als Darius gebogen hatte, zurück, und spottete all' seiner ferneren Versuche. Endlich, als er sich völlig erschöpft fühlte, warf er den Bogen wüthend zur Erde nieder und rief: "Der Aethiope ist ein Lügner! Kein Sterblicher hat diese Waffe je gespannt! Was meine Arme nicht vermögen, das vermag kein andrer Arm! Jn drei Tagen brechen wir nach Aethiopien auf. Dort will ich den Betrüger zum Zweikampfe herausfordern und euch zeigen, wer der Stärkere ist von uns Beiden. Hebe den Bogen auf, Prexaspes, und bewahre ihn wohl, denn ich gedenke den schwarzen Lügner mit jener Sehne dort zu erdrosseln. Dieß Holz ist wahrlich fester als Eisen! Wer es zu spannen vermöchte, den wollt' ich gern meinen Meister nennen, denn der wäre in der That von besserer Art, als ich!"
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als Bartja in den Kreis der versammelten Perser trat. Reiche Ge- wänder umwallten seine herrliche Gestalt, und seine Züge strahlten vor Glück und selbstbewußter Kraft. Freundlich winkend, durchschritt er die Reihen der Achämeniden, die den schönen Jüngling mit froher Bewunderung grüßten, schritt geraden Wegs auf seinen Bruder zu, küßte das Gewand desselben und rief, indem er ihm frei und heiter in die finstern Augen schaute: "Jch habe mich ein wenig verspätet und bedarf Deiner Entschuldigung, mein hoher Herr und Bruder. Oder sollt' ich doch zu rechter Zeit gekommen sein? Ja, wahrlich, ich sehe noch keinen Pfeil in der Scheibe und schließe daraus, daß Du, der beste Schütze der Welt, Deine Kraft noch nicht versuchtest! Du siehst mich fragend an? Nun, ich will nur gestehen, daß mich unser Kind ein wenig aufgehalten hat. Das Püpp- chen lachte heut' zum ersten Male und war so lieb mit
er ſchon weiter als Darius gebogen hatte, zurück, und ſpottete all’ ſeiner ferneren Verſuche. Endlich, als er ſich völlig erſchöpft fühlte, warf er den Bogen wüthend zur Erde nieder und rief: „Der Aethiope iſt ein Lügner! Kein Sterblicher hat dieſe Waffe je geſpannt! Was meine Arme nicht vermögen, das vermag kein andrer Arm! Jn drei Tagen brechen wir nach Aethiopien auf. Dort will ich den Betrüger zum Zweikampfe herausfordern und euch zeigen, wer der Stärkere iſt von uns Beiden. Hebe den Bogen auf, Prexaspes, und bewahre ihn wohl, denn ich gedenke den ſchwarzen Lügner mit jener Sehne dort zu erdroſſeln. Dieß Holz iſt wahrlich feſter als Eiſen! Wer es zu ſpannen vermöchte, den wollt’ ich gern meinen Meiſter nennen, denn der wäre in der That von beſſerer Art, als ich!“
Kaum hatte er dieſe Worte ausgeſprochen, als Bartja in den Kreis der verſammelten Perſer trat. Reiche Ge- wänder umwallten ſeine herrliche Geſtalt, und ſeine Züge ſtrahlten vor Glück und ſelbſtbewußter Kraft. Freundlich winkend, durchſchritt er die Reihen der Achämeniden, die den ſchönen Jüngling mit froher Bewunderung grüßten, ſchritt geraden Wegs auf ſeinen Bruder zu, küßte das Gewand deſſelben und rief, indem er ihm frei und heiter in die finſtern Augen ſchaute: „Jch habe mich ein wenig verſpätet und bedarf Deiner Entſchuldigung, mein hoher Herr und Bruder. Oder ſollt’ ich doch zu rechter Zeit gekommen ſein? Ja, wahrlich, ich ſehe noch keinen Pfeil in der Scheibe und ſchließe daraus, daß Du, der beſte Schütze der Welt, Deine Kraft noch nicht verſuchteſt! Du ſiehſt mich fragend an? Nun, ich will nur geſtehen, daß mich unſer Kind ein wenig aufgehalten hat. Das Püpp- chen lachte heut’ zum erſten Male und war ſo lieb mit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0208"n="198"/>
er ſchon weiter als Darius gebogen hatte, zurück, und<lb/>ſpottete all’ſeiner ferneren Verſuche. Endlich, als er ſich<lb/>
völlig erſchöpft fühlte, warf er den Bogen wüthend zur<lb/>
Erde nieder und rief: „Der Aethiope iſt ein Lügner!<lb/>
Kein Sterblicher hat dieſe Waffe je geſpannt! Was meine<lb/>
Arme nicht vermögen, das vermag kein andrer Arm! Jn<lb/>
drei Tagen brechen wir nach Aethiopien auf. Dort will<lb/>
ich den Betrüger zum Zweikampfe herausfordern und euch<lb/>
zeigen, wer der Stärkere iſt von uns Beiden. Hebe den<lb/>
Bogen auf, Prexaspes, und bewahre ihn wohl, denn ich<lb/>
gedenke den ſchwarzen Lügner mit jener Sehne dort zu<lb/>
erdroſſeln. Dieß Holz iſt wahrlich feſter als Eiſen! Wer<lb/>
es zu ſpannen vermöchte, den wollt’ ich gern meinen Meiſter<lb/>
nennen, denn der wäre in der That von beſſerer Art,<lb/>
als ich!“</p><lb/><p>Kaum hatte er dieſe Worte ausgeſprochen, als Bartja<lb/>
in den Kreis der verſammelten Perſer trat. Reiche Ge-<lb/>
wänder umwallten ſeine herrliche Geſtalt, und ſeine Züge<lb/>ſtrahlten vor Glück und ſelbſtbewußter Kraft. Freundlich<lb/>
winkend, durchſchritt er die Reihen der Achämeniden, die<lb/>
den ſchönen Jüngling mit froher Bewunderung grüßten,<lb/>ſchritt geraden Wegs auf ſeinen Bruder zu, küßte das<lb/>
Gewand deſſelben und rief, indem er ihm frei und heiter<lb/>
in die finſtern Augen ſchaute: „Jch habe mich ein wenig<lb/>
verſpätet und bedarf Deiner Entſchuldigung, mein hoher<lb/>
Herr und Bruder. Oder ſollt’ ich doch zu rechter Zeit<lb/>
gekommen ſein? Ja, wahrlich, ich ſehe noch keinen Pfeil<lb/>
in der Scheibe und ſchließe daraus, daß Du, der beſte<lb/>
Schütze der Welt, Deine Kraft noch nicht verſuchteſt! Du<lb/>ſiehſt mich fragend an? Nun, ich will nur geſtehen, daß<lb/>
mich unſer Kind ein wenig aufgehalten hat. Das Püpp-<lb/>
chen lachte heut’ zum erſten Male und war ſo lieb mit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[198/0208]
er ſchon weiter als Darius gebogen hatte, zurück, und
ſpottete all’ ſeiner ferneren Verſuche. Endlich, als er ſich
völlig erſchöpft fühlte, warf er den Bogen wüthend zur
Erde nieder und rief: „Der Aethiope iſt ein Lügner!
Kein Sterblicher hat dieſe Waffe je geſpannt! Was meine
Arme nicht vermögen, das vermag kein andrer Arm! Jn
drei Tagen brechen wir nach Aethiopien auf. Dort will
ich den Betrüger zum Zweikampfe herausfordern und euch
zeigen, wer der Stärkere iſt von uns Beiden. Hebe den
Bogen auf, Prexaspes, und bewahre ihn wohl, denn ich
gedenke den ſchwarzen Lügner mit jener Sehne dort zu
erdroſſeln. Dieß Holz iſt wahrlich feſter als Eiſen! Wer
es zu ſpannen vermöchte, den wollt’ ich gern meinen Meiſter
nennen, denn der wäre in der That von beſſerer Art,
als ich!“
Kaum hatte er dieſe Worte ausgeſprochen, als Bartja
in den Kreis der verſammelten Perſer trat. Reiche Ge-
wänder umwallten ſeine herrliche Geſtalt, und ſeine Züge
ſtrahlten vor Glück und ſelbſtbewußter Kraft. Freundlich
winkend, durchſchritt er die Reihen der Achämeniden, die
den ſchönen Jüngling mit froher Bewunderung grüßten,
ſchritt geraden Wegs auf ſeinen Bruder zu, küßte das
Gewand deſſelben und rief, indem er ihm frei und heiter
in die finſtern Augen ſchaute: „Jch habe mich ein wenig
verſpätet und bedarf Deiner Entſchuldigung, mein hoher
Herr und Bruder. Oder ſollt’ ich doch zu rechter Zeit
gekommen ſein? Ja, wahrlich, ich ſehe noch keinen Pfeil
in der Scheibe und ſchließe daraus, daß Du, der beſte
Schütze der Welt, Deine Kraft noch nicht verſuchteſt! Du
ſiehſt mich fragend an? Nun, ich will nur geſtehen, daß
mich unſer Kind ein wenig aufgehalten hat. Das Püpp-
chen lachte heut’ zum erſten Male und war ſo lieb mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/208>, abgerufen am 31.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.