gab den Bogen zuerst dem greisen Hystaspes, als dem Vornehmsten der Achämeniden *).
Während erst dieser, dann die Häupter der andern sechs vornehmsten Geschlechter in Persien sich vergeblich abmühten, die ungeheure Waffe zu spannen, leerte der König Becher auf Becher und wurde um so fröhlicher, je weniger es einem derselben gelingen wollte, die Aufgabe des Aethiopen zu lösen. Endlich ergriff Darius, dessen Kunst im Bogenspannen berühmt war, das Geschoß und versuchte seine Kraft. Aber trotz aller Anstrengung gelang es ihm nur, das eisenfeste Holz einen Finger breit zu biegen. Der König nickte ihm dieses Erfolges wegen freundlich zu und rief, mit siegesgewissem Blick seine Ver- wandten und Großen musternd: "Gib den Bogen her, Darius! Jch will euch zeigen, daß nur Einer in Persien lebt, der den Namen ,König' verdient, daß nur Einer es wagen darf, gegen die Aethiopen zu Felde zu ziehen, -- daß nur Einer diesen Bogen zu spannen vermag!" --
Nun ergriff er das Geschoß mit gewaltiger Hand, umklammerte den Bogen von Ebenholz mit der Linken und die fingerdicke Sehne von Löwendärmen mit der Rechten, holte aus tiefster Brust Athem, krümmte den gewaltigen Rücken und zog und zog und raffte all' seine Kraft zu ungeheurer Anstrengung zusammen und spannte seine Seh- nen an, bis sie zu reißen und die Adern auf seiner Stirn' zu springen drohten, und verschmähte es nicht, selbst mit den Füßen zu arbeiten, um mit ihrer Hülfe das Unge- heure zu bewerkstelligen; aber Alles war vergebens, denn nach einer Viertelstunde voll übermenschlicher Anstrengung ließen seine Kräfte nach, schnellte das Ebenholz, welches
*)II. Theil Anmerk. 1.
gab den Bogen zuerſt dem greiſen Hyſtaspes, als dem Vornehmſten der Achämeniden *).
Während erſt dieſer, dann die Häupter der andern ſechs vornehmſten Geſchlechter in Perſien ſich vergeblich abmühten, die ungeheure Waffe zu ſpannen, leerte der König Becher auf Becher und wurde um ſo fröhlicher, je weniger es einem derſelben gelingen wollte, die Aufgabe des Aethiopen zu löſen. Endlich ergriff Darius, deſſen Kunſt im Bogenſpannen berühmt war, das Geſchoß und verſuchte ſeine Kraft. Aber trotz aller Anſtrengung gelang es ihm nur, das eiſenfeſte Holz einen Finger breit zu biegen. Der König nickte ihm dieſes Erfolges wegen freundlich zu und rief, mit ſiegesgewiſſem Blick ſeine Ver- wandten und Großen muſternd: „Gib den Bogen her, Darius! Jch will euch zeigen, daß nur Einer in Perſien lebt, der den Namen ‚König‘ verdient, daß nur Einer es wagen darf, gegen die Aethiopen zu Felde zu ziehen, — daß nur Einer dieſen Bogen zu ſpannen vermag!“ —
Nun ergriff er das Geſchoß mit gewaltiger Hand, umklammerte den Bogen von Ebenholz mit der Linken und die fingerdicke Sehne von Löwendärmen mit der Rechten, holte aus tiefſter Bruſt Athem, krümmte den gewaltigen Rücken und zog und zog und raffte all’ ſeine Kraft zu ungeheurer Anſtrengung zuſammen und ſpannte ſeine Seh- nen an, bis ſie zu reißen und die Adern auf ſeiner Stirn’ zu ſpringen drohten, und verſchmähte es nicht, ſelbſt mit den Füßen zu arbeiten, um mit ihrer Hülfe das Unge- heure zu bewerkſtelligen; aber Alles war vergebens, denn nach einer Viertelſtunde voll übermenſchlicher Anſtrengung ließen ſeine Kräfte nach, ſchnellte das Ebenholz, welches
*)II. Theil Anmerk. 1.
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gab den Bogen zuerſt dem greiſen Hyſtaspes, als dem
Vornehmſten der Achämeniden *).
Während erſt dieſer, dann die Häupter der andern
ſechs vornehmſten Geſchlechter in Perſien ſich vergeblich
abmühten, die ungeheure Waffe zu ſpannen, leerte der
König Becher auf Becher und wurde um ſo fröhlicher, je
weniger es einem derſelben gelingen wollte, die Aufgabe
des Aethiopen zu löſen. Endlich ergriff Darius, deſſen
Kunſt im Bogenſpannen berühmt war, das Geſchoß und
verſuchte ſeine Kraft. Aber trotz aller Anſtrengung gelang
es ihm nur, das eiſenfeſte Holz einen Finger breit zu
biegen. Der König nickte ihm dieſes Erfolges wegen
freundlich zu und rief, mit ſiegesgewiſſem Blick ſeine Ver-
wandten und Großen muſternd: „Gib den Bogen her,
Darius! Jch will euch zeigen, daß nur Einer in Perſien
lebt, der den Namen ‚König‘ verdient, daß nur Einer es
wagen darf, gegen die Aethiopen zu Felde zu ziehen, —
daß nur Einer dieſen Bogen zu ſpannen vermag!“ —
Nun ergriff er das Geſchoß mit gewaltiger Hand,
umklammerte den Bogen von Ebenholz mit der Linken und
die fingerdicke Sehne von Löwendärmen mit der Rechten,
holte aus tiefſter Bruſt Athem, krümmte den gewaltigen
Rücken und zog und zog und raffte all’ ſeine Kraft zu
ungeheurer Anſtrengung zuſammen und ſpannte ſeine Seh-
nen an, bis ſie zu reißen und die Adern auf ſeiner Stirn’
zu ſpringen drohten, und verſchmähte es nicht, ſelbſt mit
den Füßen zu arbeiten, um mit ihrer Hülfe das Unge-
heure zu bewerkſtelligen; aber Alles war vergebens, denn
nach einer Viertelſtunde voll übermenſchlicher Anſtrengung
ließen ſeine Kräfte nach, ſchnellte das Ebenholz, welches
*) II. Theil Anmerk. 1.
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/207>, abgerufen am 20.07.2024.
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