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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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"Zu Deinem Besten merkte ich mir diese Fabel und
beobachtete schweigend die Art Deines Regierungsganges,
um Dir sagen zu können, ob Du zu schnell oder zu lang-
sam wandertest. Jetzt weiß ich, was ich zu erfahren
wünschte, und gebe Dir zu meinen Rathschlägen die Lehre
in den Kauf: ,Prüfe Alles selbst!' -- Jeder Mensch, be-
sonders aber ein König, hat die Pflicht, sich von Allem,
was Diejenigen betrifft, für deren Wohl er zu sorgen hat,
selbst zu überzeugen. Du, mein Sohn, siehst zu viel durch
fremde Augen, hörst zu viel durch fremde Ohren und gehst
zu wenig zu der ersten Quelle zurück. Deine Rathgeber,
die Priester, wollen sicher nur das Gute; aber, -- Neitho-
teph, ich bitte Dich, uns einen Augenblick allein zu lassen."

Sobald sich der Oberpriester entfernt hatte, rief der
König: "Sie wollen das Gute, aber nur das, was ihnen
gut ist! Wir aber sind nicht die Könige der Priester und
Vornehmen, sondern die Fürsten des Volkes. Höre darum
nicht ausschließlich auf den Rath jener stolzen Kaste, son-
dern überzeuge Dich selbst, indem Du alle Bittschriften
liesest und treue, Dir ergebene und im Volke beliebte
Nomarchen anstellst, was den Aegyptern gebricht, was sie
hoffen und wessen sie bedürfen. Weißt Du genau, wie es
im Lande steht, dann ist es unschwer, gut zu regieren.
Wähle nur die rechten Beamten; für die richtige Einthei-
lung des Reichs bin ich besorgt gewesen. Die Stimme
des Volkes pflegt rauh zu sein; sie ist aber meistens wahr,
und Niemand bedarf dringender der Wahrheit, als ein
König. Der Pharao, welcher den Priestern und Höflingen
am willigsten folgt, wird die meisten Schmeichelworte hören;
derjenige, welcher die Wünsche des Volkes zu erfüllen strebt,
durch seine Umgebung viel zu leiden haben, in seinem
Herzen aber zufrieden sein und von der Nachwelt gepriesen

„Zu Deinem Beſten merkte ich mir dieſe Fabel und
beobachtete ſchweigend die Art Deines Regierungsganges,
um Dir ſagen zu können, ob Du zu ſchnell oder zu lang-
ſam wanderteſt. Jetzt weiß ich, was ich zu erfahren
wünſchte, und gebe Dir zu meinen Rathſchlägen die Lehre
in den Kauf: ‚Prüfe Alles ſelbſt!‘ — Jeder Menſch, be-
ſonders aber ein König, hat die Pflicht, ſich von Allem,
was Diejenigen betrifft, für deren Wohl er zu ſorgen hat,
ſelbſt zu überzeugen. Du, mein Sohn, ſiehſt zu viel durch
fremde Augen, hörſt zu viel durch fremde Ohren und gehſt
zu wenig zu der erſten Quelle zurück. Deine Rathgeber,
die Prieſter, wollen ſicher nur das Gute; aber, — Neitho-
teph, ich bitte Dich, uns einen Augenblick allein zu laſſen.“

Sobald ſich der Oberprieſter entfernt hatte, rief der
König: „Sie wollen das Gute, aber nur das, was ihnen
gut iſt! Wir aber ſind nicht die Könige der Prieſter und
Vornehmen, ſondern die Fürſten des Volkes. Höre darum
nicht ausſchließlich auf den Rath jener ſtolzen Kaſte, ſon-
dern überzeuge Dich ſelbſt, indem Du alle Bittſchriften
lieſeſt und treue, Dir ergebene und im Volke beliebte
Nomarchen anſtellſt, was den Aegyptern gebricht, was ſie
hoffen und weſſen ſie bedürfen. Weißt Du genau, wie es
im Lande ſteht, dann iſt es unſchwer, gut zu regieren.
Wähle nur die rechten Beamten; für die richtige Einthei-
lung des Reichs bin ich beſorgt geweſen. Die Stimme
des Volkes pflegt rauh zu ſein; ſie iſt aber meiſtens wahr,
und Niemand bedarf dringender der Wahrheit, als ein
König. Der Pharao, welcher den Prieſtern und Höflingen
am willigſten folgt, wird die meiſten Schmeichelworte hören;
derjenige, welcher die Wünſche des Volkes zu erfüllen ſtrebt,
durch ſeine Umgebung viel zu leiden haben, in ſeinem
Herzen aber zufrieden ſein und von der Nachwelt geprieſen

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[124/0134] „Zu Deinem Beſten merkte ich mir dieſe Fabel und beobachtete ſchweigend die Art Deines Regierungsganges, um Dir ſagen zu können, ob Du zu ſchnell oder zu lang- ſam wanderteſt. Jetzt weiß ich, was ich zu erfahren wünſchte, und gebe Dir zu meinen Rathſchlägen die Lehre in den Kauf: ‚Prüfe Alles ſelbſt!‘ — Jeder Menſch, be- ſonders aber ein König, hat die Pflicht, ſich von Allem, was Diejenigen betrifft, für deren Wohl er zu ſorgen hat, ſelbſt zu überzeugen. Du, mein Sohn, ſiehſt zu viel durch fremde Augen, hörſt zu viel durch fremde Ohren und gehſt zu wenig zu der erſten Quelle zurück. Deine Rathgeber, die Prieſter, wollen ſicher nur das Gute; aber, — Neitho- teph, ich bitte Dich, uns einen Augenblick allein zu laſſen.“ Sobald ſich der Oberprieſter entfernt hatte, rief der König: „Sie wollen das Gute, aber nur das, was ihnen gut iſt! Wir aber ſind nicht die Könige der Prieſter und Vornehmen, ſondern die Fürſten des Volkes. Höre darum nicht ausſchließlich auf den Rath jener ſtolzen Kaſte, ſon- dern überzeuge Dich ſelbſt, indem Du alle Bittſchriften lieſeſt und treue, Dir ergebene und im Volke beliebte Nomarchen anſtellſt, was den Aegyptern gebricht, was ſie hoffen und weſſen ſie bedürfen. Weißt Du genau, wie es im Lande ſteht, dann iſt es unſchwer, gut zu regieren. Wähle nur die rechten Beamten; für die richtige Einthei- lung des Reichs bin ich beſorgt geweſen. Die Stimme des Volkes pflegt rauh zu ſein; ſie iſt aber meiſtens wahr, und Niemand bedarf dringender der Wahrheit, als ein König. Der Pharao, welcher den Prieſtern und Höflingen am willigſten folgt, wird die meiſten Schmeichelworte hören; derjenige, welcher die Wünſche des Volkes zu erfüllen ſtrebt, durch ſeine Umgebung viel zu leiden haben, in ſeinem Herzen aber zufrieden ſein und von der Nachwelt geprieſen

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/134>, abgerufen am 26.11.2024.