"Jhr großen Götter, sagt, wie kann dies kleine Herz solch' eine Fülle höchster Seligkeit ertragen, ohne, einer Vase gleich, die man mit schwerem Golde überfüllt, ge- sprengt zu werden."
"Weil ein andres Herz, das meine, Deine Last zu tragen hilft, weil Deine Seele meine unterstützt. Mit dieser Hülfe spotte ich der Welt und aller Leiden, die die Nacht gebiert."
"O reize nicht den Neid, den Zorn der Götter, die oft das Glück der Sterblichen verdrießt. Wir haben, seit Du in die Ferne zogst, gar manchen thränenreichen Tag verlebt. Des guten Phanes arme Kinderlein, ein Knabe, schön wie Eros, eine Maid, so hold und rosig, wie ein Wölkchen, das vom Morgenroth beleuchtet, freundlich strahlt, -- verlebten manchen Tag in unsrem Haus. Großmutter ward von Neuem froh und jung, wenn sie die lieben, frischen Kleinen sah; ich aber schenkte ihnen all' mein Herz, obgleich es Dir ja ganz allein gehört. Doch ist es mit dem Herz' ein seltsam Ding, das gleich der Sonne, Vielen Strahlen schenkt, und doch nicht ärmer wird an Licht und Glanz, und keinem vorenthält, was ihm ge- bührt. Jch liebte Phanes Kinder, ach, so sehr! -- An einem Abend saßen wir allein mit Theopompos in dem Frauensaal, als an der Thüre wilder Lärm erklang. Der alte Knakias, unser treuer Sklav, kam just zur Pforte, als der Riegel sprang und eine Schaar von Kriegern durch den Flur in's Peristyl, die Andronitis und von dort, die Mittelthür zerschlagend, zu uns drang. Groß- mutter zeigte ihnen jenen Brief, durch welchen Amasis ihr Haus zur unantastbar sichern Zuflucht macht. Sie lachten aber spöttisch jener Schrift und zeigten ein be- siegelt' Dokument, in dem der Kronprinz Psamtik streng
„Jhr großen Götter, ſagt, wie kann dies kleine Herz ſolch’ eine Fülle höchſter Seligkeit ertragen, ohne, einer Vaſe gleich, die man mit ſchwerem Golde überfüllt, ge- ſprengt zu werden.“
„Weil ein andres Herz, das meine, Deine Laſt zu tragen hilft, weil Deine Seele meine unterſtützt. Mit dieſer Hülfe ſpotte ich der Welt und aller Leiden, die die Nacht gebiert.“
„O reize nicht den Neid, den Zorn der Götter, die oft das Glück der Sterblichen verdrießt. Wir haben, ſeit Du in die Ferne zogſt, gar manchen thränenreichen Tag verlebt. Des guten Phanes arme Kinderlein, ein Knabe, ſchön wie Eros, eine Maid, ſo hold und roſig, wie ein Wölkchen, das vom Morgenroth beleuchtet, freundlich ſtrahlt, — verlebten manchen Tag in unſrem Haus. Großmutter ward von Neuem froh und jung, wenn ſie die lieben, friſchen Kleinen ſah; ich aber ſchenkte ihnen all’ mein Herz, obgleich es Dir ja ganz allein gehört. Doch iſt es mit dem Herz’ ein ſeltſam Ding, das gleich der Sonne, Vielen Strahlen ſchenkt, und doch nicht ärmer wird an Licht und Glanz, und keinem vorenthält, was ihm ge- bührt. Jch liebte Phanes Kinder, ach, ſo ſehr! — An einem Abend ſaßen wir allein mit Theopompos in dem Frauenſaal, als an der Thüre wilder Lärm erklang. Der alte Knakias, unſer treuer Sklav, kam juſt zur Pforte, als der Riegel ſprang und eine Schaar von Kriegern durch den Flur in’s Periſtyl, die Andronitis und von dort, die Mittelthür zerſchlagend, zu uns drang. Groß- mutter zeigte ihnen jenen Brief, durch welchen Amaſis ihr Haus zur unantaſtbar ſichern Zuflucht macht. Sie lachten aber ſpöttiſch jener Schrift und zeigten ein be- ſiegelt’ Dokument, in dem der Kronprinz Pſamtik ſtreng
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„Jhr großen Götter, ſagt, wie kann dies kleine Herz
ſolch’ eine Fülle höchſter Seligkeit ertragen, ohne, einer
Vaſe gleich, die man mit ſchwerem Golde überfüllt, ge-
ſprengt zu werden.“
„Weil ein andres Herz, das meine, Deine Laſt zu
tragen hilft, weil Deine Seele meine unterſtützt. Mit
dieſer Hülfe ſpotte ich der Welt und aller Leiden, die die
Nacht gebiert.“
„O reize nicht den Neid, den Zorn der Götter, die
oft das Glück der Sterblichen verdrießt. Wir haben, ſeit
Du in die Ferne zogſt, gar manchen thränenreichen Tag
verlebt. Des guten Phanes arme Kinderlein, ein Knabe,
ſchön wie Eros, eine Maid, ſo hold und roſig, wie ein
Wölkchen, das vom Morgenroth beleuchtet, freundlich ſtrahlt,
— verlebten manchen Tag in unſrem Haus. Großmutter
ward von Neuem froh und jung, wenn ſie die lieben,
friſchen Kleinen ſah; ich aber ſchenkte ihnen all’ mein
Herz, obgleich es Dir ja ganz allein gehört. Doch iſt es
mit dem Herz’ ein ſeltſam Ding, das gleich der Sonne,
Vielen Strahlen ſchenkt, und doch nicht ärmer wird an
Licht und Glanz, und keinem vorenthält, was ihm ge-
bührt. Jch liebte Phanes Kinder, ach, ſo ſehr! — An
einem Abend ſaßen wir allein mit Theopompos in dem
Frauenſaal, als an der Thüre wilder Lärm erklang. Der
alte Knakias, unſer treuer Sklav, kam juſt zur Pforte,
als der Riegel ſprang und eine Schaar von Kriegern
durch den Flur in’s Periſtyl, die Andronitis und von
dort, die Mittelthür zerſchlagend, zu uns drang. Groß-
mutter zeigte ihnen jenen Brief, durch welchen Amaſis
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lachten aber ſpöttiſch jener Schrift und zeigten ein be-
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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