Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete, und beschenkte dieselbe alle Tage mit köstlichen Schmuck- sachen und Kleidern. Die größte Gunst erzeigte er ihr dadurch, daß er sie niemals in ihrem Landhause bei den hängenden Gärten besuchte. Durch diese Handlungsweise bewies er, daß er gesonnen sei, Nitetis unter die geringe Zahl seiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen auf- zunehmen, eine Gunst, deren sich manche Fürstentochter, welche als Kebsweib in seinem Harem lebte, nicht rühmen konnte.
Das schöne, ernste Mädchen übte auf den unbändigen, gewaltigen Mann einen seltsamen Zauber. Jhre bloße Gegenwart schien zu genügen, seinen starren Sinn zu schmelzen. Stundenlang sah er dem Reifenspiele zu und verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der Aegypterin. Einmal, als ein Ball in's Wasser geflogen war, sprang er demselben in seinen schweren, kostbaren Gewändern nach und rettete denselben. Nitetis schrie laut auf, als der König sich zu dieser unerwarteten ritter- lichen That anschickte; Kambyses aber überreichte ihr lächelnd das triefende Spielzeug und sagte: "Nimm Dich in Acht, sonst muß ich Dich wieder erschrecken!" Jn dem- selben Augenblicke nahm er eine goldne mit Edelsteinen besetzte Kette von seinem Halse und schenkte sie dem errö- thenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte, der vollkommen aussprach, was ihr Herz für den künfti- gen Gatten empfand.
Krösus, Kassandane und Atossa merkten sehr bald, daß Nitetis den König von ganzem Herzen liebe. Aus ihrer Scheu vor dem übermächtigen, stolzen Manne war in der That eine glühende Leidenschaft erwachsen. Sie glaubte, seines Anblicks beraubt, sterben zu müssen. Sein
Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete, und beſchenkte dieſelbe alle Tage mit köſtlichen Schmuck- ſachen und Kleidern. Die größte Gunſt erzeigte er ihr dadurch, daß er ſie niemals in ihrem Landhauſe bei den hängenden Gärten beſuchte. Durch dieſe Handlungsweiſe bewies er, daß er geſonnen ſei, Nitetis unter die geringe Zahl ſeiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen auf- zunehmen, eine Gunſt, deren ſich manche Fürſtentochter, welche als Kebsweib in ſeinem Harem lebte, nicht rühmen konnte.
Das ſchöne, ernſte Mädchen übte auf den unbändigen, gewaltigen Mann einen ſeltſamen Zauber. Jhre bloße Gegenwart ſchien zu genügen, ſeinen ſtarren Sinn zu ſchmelzen. Stundenlang ſah er dem Reifenſpiele zu und verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der Aegypterin. Einmal, als ein Ball in’s Waſſer geflogen war, ſprang er demſelben in ſeinen ſchweren, koſtbaren Gewändern nach und rettete denſelben. Nitetis ſchrie laut auf, als der König ſich zu dieſer unerwarteten ritter- lichen That anſchickte; Kambyſes aber überreichte ihr lächelnd das triefende Spielzeug und ſagte: „Nimm Dich in Acht, ſonſt muß ich Dich wieder erſchrecken!“ Jn dem- ſelben Augenblicke nahm er eine goldne mit Edelſteinen beſetzte Kette von ſeinem Halſe und ſchenkte ſie dem errö- thenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte, der vollkommen ausſprach, was ihr Herz für den künfti- gen Gatten empfand.
Kröſus, Kaſſandane und Atoſſa merkten ſehr bald, daß Nitetis den König von ganzem Herzen liebe. Aus ihrer Scheu vor dem übermächtigen, ſtolzen Manne war in der That eine glühende Leidenſchaft erwachſen. Sie glaubte, ſeines Anblicks beraubt, ſterben zu müſſen. Sein
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Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete,
und beſchenkte dieſelbe alle Tage mit köſtlichen Schmuck-
ſachen und Kleidern. Die größte Gunſt erzeigte er ihr
dadurch, daß er ſie niemals in ihrem Landhauſe bei den
hängenden Gärten beſuchte. Durch dieſe Handlungsweiſe
bewies er, daß er geſonnen ſei, Nitetis unter die geringe
Zahl ſeiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen auf-
zunehmen, eine Gunſt, deren ſich manche Fürſtentochter,
welche als Kebsweib in ſeinem Harem lebte, nicht rühmen
konnte.
Das ſchöne, ernſte Mädchen übte auf den unbändigen,
gewaltigen Mann einen ſeltſamen Zauber. Jhre bloße
Gegenwart ſchien zu genügen, ſeinen ſtarren Sinn zu
ſchmelzen. Stundenlang ſah er dem Reifenſpiele zu und
verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der
Aegypterin. Einmal, als ein Ball in’s Waſſer geflogen
war, ſprang er demſelben in ſeinen ſchweren, koſtbaren
Gewändern nach und rettete denſelben. Nitetis ſchrie laut
auf, als der König ſich zu dieſer unerwarteten ritter-
lichen That anſchickte; Kambyſes aber überreichte ihr
lächelnd das triefende Spielzeug und ſagte: „Nimm Dich
in Acht, ſonſt muß ich Dich wieder erſchrecken!“ Jn dem-
ſelben Augenblicke nahm er eine goldne mit Edelſteinen
beſetzte Kette von ſeinem Halſe und ſchenkte ſie dem errö-
thenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte,
der vollkommen ausſprach, was ihr Herz für den künfti-
gen Gatten empfand.
Kröſus, Kaſſandane und Atoſſa merkten ſehr bald,
daß Nitetis den König von ganzem Herzen liebe. Aus
ihrer Scheu vor dem übermächtigen, ſtolzen Manne war
in der That eine glühende Leidenſchaft erwachſen. Sie
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/55>, abgerufen am 16.02.2025.
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