Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.das Wesen der Gottheit nie und nirgends. -- Sieh, meine das Weſen der Gottheit nie und nirgends. — Sieh, meine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="48"/> das Weſen der Gottheit nie und nirgends. — Sieh, meine<lb/> Tochter, ich ſelber habe, als ich noch König war, in auf-<lb/> richtiger Verehrung dem helleniſchen Apollon geopfert, und<lb/> glaubte mit dieſer That der Frömmigkeit den lydiſchen<lb/> Sonnengott Sandon nicht zu beleidigen; die Jonier beten<lb/> andächtig zu der aſiatiſchen Kybele, und jetzt, nachdem ich<lb/> ein Perſer geworden, erhebe ich meine Hände zum Mithra,<lb/> Auramazda und der holden Anahita <hi rendition="#sup">37</hi>). Pythagoras,<lb/> deſſen Lehren auch Dir nicht fremd ſind, betet nur zu einer<lb/> Gottheit. Er nennt dieſelbe Apollon, weil ihr, wie<lb/> dem helleniſchen Sonnengotte, das reine Licht und die<lb/> Harmonieen, welche ihm das Höchſte ſind, entſtrömen. Xeno-<lb/> phanes von Kolophon <hi rendition="#sup">38</hi>) endlich ſpottet der vielgeſtaltigen<lb/> Götter des Homer und ſetzt eine einzige Gottheit auf den<lb/> Thron: Die raſtlos zeugende Naturkraft, deren Weſen der<lb/> Gedanke, die Vernunft und die Ewigkeit iſt. Aus ihr<lb/> iſt Alles entſtanden, ſie iſt die Kraft, welche ſich ewig<lb/> gleich bleibt, während ſich der Stoff des Geſchaffnen, in<lb/> ſtetem Wechſel ergänzt und erneut. — Das heiße Sehnen<lb/> nach einem höheren Weſen über uns, auf welches wir uns<lb/> ſtützen können, wenn unſre eignen Kräfte nicht ausreichen,<lb/> den wunderbaren Trieb in unſrer Bruſt, einen verſchwie-<lb/> genen Vertrauten für alle Leiden und Wonnen unſres<lb/> Herzens zu haben, die Dankbarkeit, welche wir beim An-<lb/> blicke dieſer ſchönen Welt und der Glücksgüter, welche uns<lb/> ſo reichlich zu Theil werden, empfinden, nennen wir Fröm-<lb/> migkeit. — Erhalte Dir dieſes Gefühl, aber bedenke wohl,<lb/> daß nicht die ägyptiſchen, nicht die griechiſchen und nicht<lb/> die perſiſchen Götter, abgeſondert von einander, die Welt<lb/> regieren, ſondern daß ſie alle Eins ſind, und eine untheilbare<lb/> Gottheit, ſo verſchieden man ſie auch nennen und darſtellen<lb/> mag, die Geſchicke aller Völker und Menſchen leitet.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [48/0050]
das Weſen der Gottheit nie und nirgends. — Sieh, meine
Tochter, ich ſelber habe, als ich noch König war, in auf-
richtiger Verehrung dem helleniſchen Apollon geopfert, und
glaubte mit dieſer That der Frömmigkeit den lydiſchen
Sonnengott Sandon nicht zu beleidigen; die Jonier beten
andächtig zu der aſiatiſchen Kybele, und jetzt, nachdem ich
ein Perſer geworden, erhebe ich meine Hände zum Mithra,
Auramazda und der holden Anahita 37). Pythagoras,
deſſen Lehren auch Dir nicht fremd ſind, betet nur zu einer
Gottheit. Er nennt dieſelbe Apollon, weil ihr, wie
dem helleniſchen Sonnengotte, das reine Licht und die
Harmonieen, welche ihm das Höchſte ſind, entſtrömen. Xeno-
phanes von Kolophon 38) endlich ſpottet der vielgeſtaltigen
Götter des Homer und ſetzt eine einzige Gottheit auf den
Thron: Die raſtlos zeugende Naturkraft, deren Weſen der
Gedanke, die Vernunft und die Ewigkeit iſt. Aus ihr
iſt Alles entſtanden, ſie iſt die Kraft, welche ſich ewig
gleich bleibt, während ſich der Stoff des Geſchaffnen, in
ſtetem Wechſel ergänzt und erneut. — Das heiße Sehnen
nach einem höheren Weſen über uns, auf welches wir uns
ſtützen können, wenn unſre eignen Kräfte nicht ausreichen,
den wunderbaren Trieb in unſrer Bruſt, einen verſchwie-
genen Vertrauten für alle Leiden und Wonnen unſres
Herzens zu haben, die Dankbarkeit, welche wir beim An-
blicke dieſer ſchönen Welt und der Glücksgüter, welche uns
ſo reichlich zu Theil werden, empfinden, nennen wir Fröm-
migkeit. — Erhalte Dir dieſes Gefühl, aber bedenke wohl,
daß nicht die ägyptiſchen, nicht die griechiſchen und nicht
die perſiſchen Götter, abgeſondert von einander, die Welt
regieren, ſondern daß ſie alle Eins ſind, und eine untheilbare
Gottheit, ſo verſchieden man ſie auch nennen und darſtellen
mag, die Geſchicke aller Völker und Menſchen leitet.“
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