Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.Alter muß man jedes neue Jahr als ein unverdientes "Wie beneide ich Dich um Deinen frohen Lebens- "Höre ich die Gattin des großen Kyros reden?" "Was sagte dieser?" fragte Atossa. "Er wünschte, Mimneros von Kolophon 34), welcher Alter muß man jedes neue Jahr als ein unverdientes „Wie beneide ich Dich um Deinen frohen Lebens- „Höre ich die Gattin des großen Kyros reden?“ „Was ſagte dieſer?“ fragte Atoſſa. „Er wünſchte, Mimneros von Kolophon 34), welcher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046" n="44"/> Alter muß man jedes neue Jahr als ein unverdientes<lb/> Göttergeſchenk hinnehmen, während die Jugend das Leben,<lb/> als etwas von ſelbſt Verſtändliches, als ein unbeſtreitbares<lb/> Eigenthum betrachtet.“</p><lb/> <p>„Wie beneide ich Dich um Deinen frohen Lebens-<lb/> muth,“ ſeufzte Kaſſandane. „Jch bin jünger als Du;<lb/> aber jeder neue Tag, deſſen Aufgang zu ſehen mir die<lb/> Götter verſagen, kommt mir vor, wie eine neue Strafe<lb/> der Unſterblichen.“</p><lb/> <p>„Höre ich die Gattin des großen Kyros reden?“<lb/> fragte Kröſus. „Seit wann iſt der Muth und die Zu-<lb/> verſicht aus dem ſtarken Herzen der Kaſſandane gewichen?<lb/> — Du wirſt wieder ſehend werden, ſage ich Dir, und,<lb/> wie ich, den Göttern für Dein ſchönes hohes Alter dan-<lb/> ken. Wer recht krank geweſen iſt, der weiß das Glück<lb/> der Geſundheit hundertfach zu ſchätzen, wer blind war und<lb/> das Augenlicht wieder gewinnt, der muß ein ganz beſon-<lb/> derer Freund der ewigen Götter ſein. — Male Dir nur<lb/> die Wonne des Augenblickes, in welchem Du nach langen<lb/> Jahren zum Erſtenmale das Glanzlicht der Sonne, die<lb/> Häupter Deiner Lieben und die Schönheit des Geſchaffnen<lb/> wiederſehen wirſt, recht deutlich aus, und geſtehe mir, daß<lb/> die Herrlichkeit dieſer Stunde ein ganzes Leben der Nacht<lb/> und Blindheit aufwiegen kann <hi rendition="#sup">33</hi>). Wenn Du geheilt ſein<lb/> wirſt, dann beginnt für Dich, im Greiſenalter, ein neues,<lb/> junges Leben, und ich höre Dich ſchon meinem Freunde<lb/> Solon beiſtimmen.“</p><lb/> <p>„Was ſagte dieſer?“ fragte Atoſſa.</p><lb/> <p>„Er wünſchte, Mimneros von Kolophon <hi rendition="#sup">34</hi>), welcher<lb/> geſungen hatte, — ein ſchönes Leben müſſe mit dem ſech-<lb/> zigſten Jahre enden, — möge ſeine Verſe verbeſſern und<lb/> aus der Sechzig eine Achtzig machen.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [44/0046]
Alter muß man jedes neue Jahr als ein unverdientes
Göttergeſchenk hinnehmen, während die Jugend das Leben,
als etwas von ſelbſt Verſtändliches, als ein unbeſtreitbares
Eigenthum betrachtet.“
„Wie beneide ich Dich um Deinen frohen Lebens-
muth,“ ſeufzte Kaſſandane. „Jch bin jünger als Du;
aber jeder neue Tag, deſſen Aufgang zu ſehen mir die
Götter verſagen, kommt mir vor, wie eine neue Strafe
der Unſterblichen.“
„Höre ich die Gattin des großen Kyros reden?“
fragte Kröſus. „Seit wann iſt der Muth und die Zu-
verſicht aus dem ſtarken Herzen der Kaſſandane gewichen?
— Du wirſt wieder ſehend werden, ſage ich Dir, und,
wie ich, den Göttern für Dein ſchönes hohes Alter dan-
ken. Wer recht krank geweſen iſt, der weiß das Glück
der Geſundheit hundertfach zu ſchätzen, wer blind war und
das Augenlicht wieder gewinnt, der muß ein ganz beſon-
derer Freund der ewigen Götter ſein. — Male Dir nur
die Wonne des Augenblickes, in welchem Du nach langen
Jahren zum Erſtenmale das Glanzlicht der Sonne, die
Häupter Deiner Lieben und die Schönheit des Geſchaffnen
wiederſehen wirſt, recht deutlich aus, und geſtehe mir, daß
die Herrlichkeit dieſer Stunde ein ganzes Leben der Nacht
und Blindheit aufwiegen kann 33). Wenn Du geheilt ſein
wirſt, dann beginnt für Dich, im Greiſenalter, ein neues,
junges Leben, und ich höre Dich ſchon meinem Freunde
Solon beiſtimmen.“
„Was ſagte dieſer?“ fragte Atoſſa.
„Er wünſchte, Mimneros von Kolophon 34), welcher
geſungen hatte, — ein ſchönes Leben müſſe mit dem ſech-
zigſten Jahre enden, — möge ſeine Verſe verbeſſern und
aus der Sechzig eine Achtzig machen.“
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