Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.Die Redenden hatten sich so weit entfernt, daß Ni- "Was hatte der schreckliche Ton heute früh zu be- "Meinst Du das tönende Erz, Gebieterin?" "Vor kaum zwei Stunden wurde ich durch einen selt- "Freilich, Gebieterin, das war das tönende Erz, "Sollen sie schon so früh die große Ueppigkeit dieses Die Redenden hatten ſich ſo weit entfernt, daß Ni- „Was hatte der ſchreckliche Ton heute früh zu be- „Meinſt Du das tönende Erz, Gebieterin?“ „Vor kaum zwei Stunden wurde ich durch einen ſelt- „Freilich, Gebieterin, das war das tönende Erz, „Sollen ſie ſchon ſo früh die große Ueppigkeit dieſes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0036" n="34"/> <p>Die Redenden hatten ſich ſo weit entfernt, daß Ni-<lb/> tetis nichts mehr verſtehen konnte. Jn ſtummer Entrü-<lb/> ſtung ſchloß ſie den Laden und rief ihren Dienerinnen, um<lb/> ſich ankleiden zu laſſen. Sie kannte jetzt ihre Feinde, ſie<lb/> wußte nun, daß tauſend Gefahren ihrer warteten; dennoch<lb/> fühlte ſie ſich gehoben und ſtolz, denn ſie ſollte das echte<lb/> Weib des Kambyſes werden. Niemals hatte ſie ihren<lb/> eigenen Werth ſo froh empfunden, als dieſen Elenden ge-<lb/> genüber. Eine wunderbare Siegesgewißheit zog in ihr<lb/> Herz, welches ſicher an die Zauberkraft des Guten und<lb/> der Tugend glaubte.</p><lb/> <p>„Was hatte der ſchreckliche Ton heute früh zu be-<lb/> deuten?“ fragte ſie die erſte ihrer perſiſchen Zofen, welche<lb/> ihr Haar ordnete.</p><lb/> <p>„Meinſt Du das tönende Erz, Gebieterin?“</p><lb/> <p>„Vor kaum zwei Stunden wurde ich durch einen ſelt-<lb/> ſamen Klang aus dem Schlaf geſchreckt.“</p><lb/> <p>„Freilich, Gebieterin, das war das tönende Erz,<lb/> welches die Knaben der Edlen, die an der Pforte des<lb/> Königs erzogen werden <hi rendition="#sup">29</hi>), allmorgentlich weckt. Du wirſt<lb/> Dich an den Klang gewöhnen! Wir hören denſelben ſchon<lb/> lange nicht mehr; im Gegentheil erwachen wir, wenn er<lb/> an hohen Feiertagen einmal ausbleibt, von der ungewohn-<lb/> ten Ruhe. Auf den hängenden Gärten wirſt Du jeden<lb/> Morgen, mag es kalt oder warm ſein, beobachten können,<lb/> wie man die Schaar der Knaben zum Bade führt. Die<lb/> armen Kleinen werden ſchon an ihrem ſechsten Geburts-<lb/> tage den Müttern fortgenommen, um mit den andern Bu-<lb/> ben ihres Standes gemeinſchaftlich unter den Augen des Kö-<lb/> nigs erzogen zu werden.“</p><lb/> <p>„Sollen ſie ſchon ſo früh die große Ueppigkeit dieſes<lb/> Hofes kennen lernen?“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [34/0036]
Die Redenden hatten ſich ſo weit entfernt, daß Ni-
tetis nichts mehr verſtehen konnte. Jn ſtummer Entrü-
ſtung ſchloß ſie den Laden und rief ihren Dienerinnen, um
ſich ankleiden zu laſſen. Sie kannte jetzt ihre Feinde, ſie
wußte nun, daß tauſend Gefahren ihrer warteten; dennoch
fühlte ſie ſich gehoben und ſtolz, denn ſie ſollte das echte
Weib des Kambyſes werden. Niemals hatte ſie ihren
eigenen Werth ſo froh empfunden, als dieſen Elenden ge-
genüber. Eine wunderbare Siegesgewißheit zog in ihr
Herz, welches ſicher an die Zauberkraft des Guten und
der Tugend glaubte.
„Was hatte der ſchreckliche Ton heute früh zu be-
deuten?“ fragte ſie die erſte ihrer perſiſchen Zofen, welche
ihr Haar ordnete.
„Meinſt Du das tönende Erz, Gebieterin?“
„Vor kaum zwei Stunden wurde ich durch einen ſelt-
ſamen Klang aus dem Schlaf geſchreckt.“
„Freilich, Gebieterin, das war das tönende Erz,
welches die Knaben der Edlen, die an der Pforte des
Königs erzogen werden 29), allmorgentlich weckt. Du wirſt
Dich an den Klang gewöhnen! Wir hören denſelben ſchon
lange nicht mehr; im Gegentheil erwachen wir, wenn er
an hohen Feiertagen einmal ausbleibt, von der ungewohn-
ten Ruhe. Auf den hängenden Gärten wirſt Du jeden
Morgen, mag es kalt oder warm ſein, beobachten können,
wie man die Schaar der Knaben zum Bade führt. Die
armen Kleinen werden ſchon an ihrem ſechsten Geburts-
tage den Müttern fortgenommen, um mit den andern Bu-
ben ihres Standes gemeinſchaftlich unter den Augen des Kö-
nigs erzogen zu werden.“
„Sollen ſie ſchon ſo früh die große Ueppigkeit dieſes
Hofes kennen lernen?“
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