Die Treulose wählt zu ihren frevelhaften Bestellungen Zeichen, welche niemand an diesem Hofe zu lesen ver- mag. --"
"Gestattest Du mir, daß ich Dir den Brief über- setze?"
Kambyses deutete mit der Hand auf ein Kästchen von Elfenbein, in welchem das verhängnißvolle Schreiben lag, und sagte: "Nimm und lies; verschweige mir aber kein Wort, denn morgen werde ich mir diesen Brief nochmals von einem der Kaufleute aus Sinope, die zu Babylon wohnen, vorlesen lassen."
Krösus athmete in neuer Hoffnung auf und nahm das Papier in die Hand. Als er dasselbe überlesen hatte, füllten sich seine Augen mit Thränen und seine Lippen murmelten: "Die Pandorasage ist dennoch wahr und ich kann den Dichtern, welche die Weiber schmähen *), nicht mehr zürnen. Alle, alle sind falsch und treulos! O Kas- sandane, wie trügerisch sind die Götter. Sie schenken uns die Gabe des Alters; aber nur, um uns wie die Bäume, wenn der Winter naht, zu entblättern und uns zu zeigen, daß Alles, was wir für Gold hielten, Kupfer, und das, wovon wir Labung hofften, Gift sei!"
Die Thränen des Greises flossen so reichlich, daß er die Buchstaben kaum zu erkennen vermochte. Kassandane weinte mit ihm und zerriß ihr kostbares Gewand; Kam- byses aber ballte die Fäuste, als Krösus mit zitternder Stimme folgende Worte las.
"Nitetis, Tochter des Amasis von Aegypten, an Bartja, den Sohn des großen Kyros.
*) Siehe I. Theil Anmerkung 150.
Die Treuloſe wählt zu ihren frevelhaften Beſtellungen Zeichen, welche niemand an dieſem Hofe zu leſen ver- mag. —“
„Geſtatteſt Du mir, daß ich Dir den Brief über- ſetze?“
Kambyſes deutete mit der Hand auf ein Käſtchen von Elfenbein, in welchem das verhängnißvolle Schreiben lag, und ſagte: „Nimm und lies; verſchweige mir aber kein Wort, denn morgen werde ich mir dieſen Brief nochmals von einem der Kaufleute aus Sinope, die zu Babylon wohnen, vorleſen laſſen.“
Kröſus athmete in neuer Hoffnung auf und nahm das Papier in die Hand. Als er daſſelbe überleſen hatte, füllten ſich ſeine Augen mit Thränen und ſeine Lippen murmelten: „Die Pandoraſage iſt dennoch wahr und ich kann den Dichtern, welche die Weiber ſchmähen *), nicht mehr zürnen. Alle, alle ſind falſch und treulos! O Kaſ- ſandane, wie trügeriſch ſind die Götter. Sie ſchenken uns die Gabe des Alters; aber nur, um uns wie die Bäume, wenn der Winter naht, zu entblättern und uns zu zeigen, daß Alles, was wir für Gold hielten, Kupfer, und das, wovon wir Labung hofften, Gift ſei!“
Die Thränen des Greiſes floſſen ſo reichlich, daß er die Buchſtaben kaum zu erkennen vermochte. Kaſſandane weinte mit ihm und zerriß ihr koſtbares Gewand; Kam- byſes aber ballte die Fäuſte, als Kröſus mit zitternder Stimme folgende Worte las.
„Nitetis, Tochter des Amaſis von Aegypten, an Bartja, den Sohn des großen Kyros.
*) Siehe I. Theil Anmerkung 150.
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Die Treuloſe wählt zu ihren frevelhaften Beſtellungen
Zeichen, welche niemand an dieſem Hofe zu leſen ver-
mag. —“
„Geſtatteſt Du mir, daß ich Dir den Brief über-
ſetze?“
Kambyſes deutete mit der Hand auf ein Käſtchen von
Elfenbein, in welchem das verhängnißvolle Schreiben lag,
und ſagte: „Nimm und lies; verſchweige mir aber kein
Wort, denn morgen werde ich mir dieſen Brief nochmals
von einem der Kaufleute aus Sinope, die zu Babylon
wohnen, vorleſen laſſen.“
Kröſus athmete in neuer Hoffnung auf und nahm das
Papier in die Hand. Als er daſſelbe überleſen hatte,
füllten ſich ſeine Augen mit Thränen und ſeine Lippen
murmelten: „Die Pandoraſage iſt dennoch wahr und ich
kann den Dichtern, welche die Weiber ſchmähen *), nicht
mehr zürnen. Alle, alle ſind falſch und treulos! O Kaſ-
ſandane, wie trügeriſch ſind die Götter. Sie ſchenken uns
die Gabe des Alters; aber nur, um uns wie die Bäume,
wenn der Winter naht, zu entblättern und uns zu zeigen,
daß Alles, was wir für Gold hielten, Kupfer, und das,
wovon wir Labung hofften, Gift ſei!“
Die Thränen des Greiſes floſſen ſo reichlich, daß er
die Buchſtaben kaum zu erkennen vermochte. Kaſſandane
weinte mit ihm und zerriß ihr koſtbares Gewand; Kam-
byſes aber ballte die Fäuſte, als Kröſus mit zitternder
Stimme folgende Worte las.
„Nitetis, Tochter des Amaſis von Aegypten, an Bartja,
den Sohn des großen Kyros.
*) Siehe I. Theil Anmerkung 150.
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/170>, abgerufen am 22.07.2024.
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