an glaub' ich nicht mehr an Deine Sterne, denn statt der Gefahren, mit denen sie mich bedrohen, schenken sie mir ein unerwartetes Glück. Umarme mich, mein Bruder, und erzähle mir die Geschichte Deiner Liebe, damit ich Dir helfen kann, das, was Du einen Traum sonder Hoffnung nanntest, zur Wahrheit zu machen!"
"Vor unsrer Abreise nach Aegypten zogen wir, wie Du weißt, mit dem ganzen Hoflager von Ekbatana nach Susa. Jch befehligte damals die Abtheilung der ,Unsterb- lichen', welche die Wagen der königlichen Frauen zu be- schützen hatte. Auf dem Engpasse, der über den Orontes führt, glitten die Pferde vor dem Wagen Deiner Mutter und Schwester aus. Das Joch, an welches die Rosse geschirrt waren 97), brach von der Deichsel und vor meinen Augen sank der vierrädrige, schwere Wagen ohne Halt und Hemmniß in den Abgrund. Schaudernd sahen wir, unsre Pferde zu furchtbarer Eile spornend, das Fuhrwerk ver- schwinden. Bei der Stätte des Unglücks angelangt, glaub- ten wir uns auf den Anblick von Trümmern und Leichen vorbereiten zu müssen; die Götter hatten aber die Deinen in ihren allmächtigen Schutz genommen, und der in den Abgrund geschleuderte Wagen ruhte mit zertrümmerten Rädern in den Armen zweier riesiger Cypressen, welche sich mit zähen Wurzeln an das zerklüftete Schiefergefels klammerten und ihre dunklen Wipfel bis zum Saume der Fahrstraße emporstreckten.
Schnell wie der Gedanke sprang ich vom Pferde und kletterte, ohne mich zu besinnen, an einer der Cypressen hernieder. Deine Mutter und Schwester riefen um Hülfe und streckten mir ihre Arme flehend entgegen. Jhre Ge- fahr war entsetzlich, denn die hölzernen Wände des Wa- gens, von dem harten Anprall aus den Fugen gerissen,
an glaub’ ich nicht mehr an Deine Sterne, denn ſtatt der Gefahren, mit denen ſie mich bedrohen, ſchenken ſie mir ein unerwartetes Glück. Umarme mich, mein Bruder, und erzähle mir die Geſchichte Deiner Liebe, damit ich Dir helfen kann, das, was Du einen Traum ſonder Hoffnung nannteſt, zur Wahrheit zu machen!“
„Vor unſrer Abreiſe nach Aegypten zogen wir, wie Du weißt, mit dem ganzen Hoflager von Ekbatana nach Suſa. Jch befehligte damals die Abtheilung der ‚Unſterb- lichen‘, welche die Wagen der königlichen Frauen zu be- ſchützen hatte. Auf dem Engpaſſe, der über den Orontes führt, glitten die Pferde vor dem Wagen Deiner Mutter und Schweſter aus. Das Joch, an welches die Roſſe geſchirrt waren 97), brach von der Deichſel und vor meinen Augen ſank der vierrädrige, ſchwere Wagen ohne Halt und Hemmniß in den Abgrund. Schaudernd ſahen wir, unſre Pferde zu furchtbarer Eile ſpornend, das Fuhrwerk ver- ſchwinden. Bei der Stätte des Unglücks angelangt, glaub- ten wir uns auf den Anblick von Trümmern und Leichen vorbereiten zu müſſen; die Götter hatten aber die Deinen in ihren allmächtigen Schutz genommen, und der in den Abgrund geſchleuderte Wagen ruhte mit zertrümmerten Rädern in den Armen zweier rieſiger Cypreſſen, welche ſich mit zähen Wurzeln an das zerklüftete Schiefergefels klammerten und ihre dunklen Wipfel bis zum Saume der Fahrſtraße emporſtreckten.
Schnell wie der Gedanke ſprang ich vom Pferde und kletterte, ohne mich zu beſinnen, an einer der Cypreſſen hernieder. Deine Mutter und Schweſter riefen um Hülfe und ſtreckten mir ihre Arme flehend entgegen. Jhre Ge- fahr war entſetzlich, denn die hölzernen Wände des Wa- gens, von dem harten Anprall aus den Fugen geriſſen,
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an glaub’ ich nicht mehr an Deine Sterne, denn ſtatt der
Gefahren, mit denen ſie mich bedrohen, ſchenken ſie mir
ein unerwartetes Glück. Umarme mich, mein Bruder, und
erzähle mir die Geſchichte Deiner Liebe, damit ich Dir helfen
kann, das, was Du einen Traum ſonder Hoffnung nannteſt,
zur Wahrheit zu machen!“
„Vor unſrer Abreiſe nach Aegypten zogen wir, wie
Du weißt, mit dem ganzen Hoflager von Ekbatana nach
Suſa. Jch befehligte damals die Abtheilung der ‚Unſterb-
lichen‘, welche die Wagen der königlichen Frauen zu be-
ſchützen hatte. Auf dem Engpaſſe, der über den Orontes
führt, glitten die Pferde vor dem Wagen Deiner Mutter
und Schweſter aus. Das Joch, an welches die Roſſe
geſchirrt waren 97), brach von der Deichſel und vor meinen
Augen ſank der vierrädrige, ſchwere Wagen ohne Halt und
Hemmniß in den Abgrund. Schaudernd ſahen wir, unſre
Pferde zu furchtbarer Eile ſpornend, das Fuhrwerk ver-
ſchwinden. Bei der Stätte des Unglücks angelangt, glaub-
ten wir uns auf den Anblick von Trümmern und Leichen
vorbereiten zu müſſen; die Götter hatten aber die Deinen
in ihren allmächtigen Schutz genommen, und der in den
Abgrund geſchleuderte Wagen ruhte mit zertrümmerten
Rädern in den Armen zweier rieſiger Cypreſſen, welche
ſich mit zähen Wurzeln an das zerklüftete Schiefergefels
klammerten und ihre dunklen Wipfel bis zum Saume der
Fahrſtraße emporſtreckten.
Schnell wie der Gedanke ſprang ich vom Pferde und
kletterte, ohne mich zu beſinnen, an einer der Cypreſſen
hernieder. Deine Mutter und Schweſter riefen um Hülfe
und ſtreckten mir ihre Arme flehend entgegen. Jhre Ge-
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/152>, abgerufen am 22.07.2024.
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