krug vom gleichen Metalle, schwang den Krug in die Höhe und goß den edlen Trank in weitem Bogen so geschickt in die kleine Höhlung des Pokals, daß kein Tropfen zur Erde fiel. Dann ergriff er den Becher mit den Fingerspitzen und überreichte denselben, sich zierlich verbeugend, dem Tafeldecker 84).
Dieser schlürfte bedächtiglich und mit der Zunge schnal- zend das kostbare Naß und rief, indem er dem Schenken den Pokal zurückgab: "Wahrlich, ein edler Trank, welcher doppelt mundet, wenn er so zierlich, wie nur Du es verstehst, dem Trinker überreicht wird. Die Fremden haben recht, daß sie die persischen Schenken als die geschicktesten in der gan- zen Welt mit Bewunderung betrachten."
"Jch danke Dir," antwortete der Andere, die Stirn seines Freundes küssend, "und bin stolz auf mein Amt, welches der große König nur seinen Freunden überläßt. Dennoch wird es mir in diesem erstickend heißen Babylon beinahe zur Last! Wann werden wir endlich in die Som- merresidenzen, nach Ekbatana oder Pasargadae ziehen?"
"Heute hab' ich mit dem Könige hierüber gesprochen. Wegen des Massagetenkrieges wollt' er nicht erst den Auf- enthalt wechseln, sondern von Babylon aus geradenwegs in's Feld ziehen; sollte aber, was nach der heutigen Bot- schaft nicht unwahrscheinlich ist, der Krieg unterbleiben, dann werden wir drei Tage nach der Hochzeit des Königs, also in einer Woche, nach Susa aufbrechen."
"Nach Susa?" fragte der Mundschenk. "Dort ist es nur wenig kühler als hier, und außerdem wird die alte Memnonsburg 85) umgebaut."
"Der Jude Daniel hat dem Könige die Botschaft ge- bracht, der neue Palast sei fertig und übertreffe an Glanz und Pracht alles Dagewesene. Kaum hatte Kambyses dieß
krug vom gleichen Metalle, ſchwang den Krug in die Höhe und goß den edlen Trank in weitem Bogen ſo geſchickt in die kleine Höhlung des Pokals, daß kein Tropfen zur Erde fiel. Dann ergriff er den Becher mit den Fingerſpitzen und überreichte denſelben, ſich zierlich verbeugend, dem Tafeldecker 84).
Dieſer ſchlürfte bedächtiglich und mit der Zunge ſchnal- zend das koſtbare Naß und rief, indem er dem Schenken den Pokal zurückgab: „Wahrlich, ein edler Trank, welcher doppelt mundet, wenn er ſo zierlich, wie nur Du es verſtehſt, dem Trinker überreicht wird. Die Fremden haben recht, daß ſie die perſiſchen Schenken als die geſchickteſten in der gan- zen Welt mit Bewunderung betrachten.“
„Jch danke Dir,“ antwortete der Andere, die Stirn ſeines Freundes küſſend, „und bin ſtolz auf mein Amt, welches der große König nur ſeinen Freunden überläßt. Dennoch wird es mir in dieſem erſtickend heißen Babylon beinahe zur Laſt! Wann werden wir endlich in die Som- merreſidenzen, nach Ekbatana oder Paſargadae ziehen?“
„Heute hab’ ich mit dem Könige hierüber geſprochen. Wegen des Maſſagetenkrieges wollt’ er nicht erſt den Auf- enthalt wechſeln, ſondern von Babylon aus geradenwegs in’s Feld ziehen; ſollte aber, was nach der heutigen Bot- ſchaft nicht unwahrſcheinlich iſt, der Krieg unterbleiben, dann werden wir drei Tage nach der Hochzeit des Königs, alſo in einer Woche, nach Suſa aufbrechen.“
„Nach Suſa?“ fragte der Mundſchenk. „Dort iſt es nur wenig kühler als hier, und außerdem wird die alte Memnonsburg 85) umgebaut.“
„Der Jude Daniel hat dem Könige die Botſchaft ge- bracht, der neue Palaſt ſei fertig und übertreffe an Glanz und Pracht alles Dageweſene. Kaum hatte Kambyſes dieß
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krug vom gleichen Metalle, ſchwang den Krug in die Höhe
und goß den edlen Trank in weitem Bogen ſo geſchickt in
die kleine Höhlung des Pokals, daß kein Tropfen zur Erde
fiel. Dann ergriff er den Becher mit den Fingerſpitzen
und überreichte denſelben, ſich zierlich verbeugend, dem
Tafeldecker 84).
Dieſer ſchlürfte bedächtiglich und mit der Zunge ſchnal-
zend das koſtbare Naß und rief, indem er dem Schenken den
Pokal zurückgab: „Wahrlich, ein edler Trank, welcher doppelt
mundet, wenn er ſo zierlich, wie nur Du es verſtehſt, dem
Trinker überreicht wird. Die Fremden haben recht, daß
ſie die perſiſchen Schenken als die geſchickteſten in der gan-
zen Welt mit Bewunderung betrachten.“
„Jch danke Dir,“ antwortete der Andere, die Stirn
ſeines Freundes küſſend, „und bin ſtolz auf mein Amt,
welches der große König nur ſeinen Freunden überläßt.
Dennoch wird es mir in dieſem erſtickend heißen Babylon
beinahe zur Laſt! Wann werden wir endlich in die Som-
merreſidenzen, nach Ekbatana oder Paſargadae ziehen?“
„Heute hab’ ich mit dem Könige hierüber geſprochen.
Wegen des Maſſagetenkrieges wollt’ er nicht erſt den Auf-
enthalt wechſeln, ſondern von Babylon aus geradenwegs
in’s Feld ziehen; ſollte aber, was nach der heutigen Bot-
ſchaft nicht unwahrſcheinlich iſt, der Krieg unterbleiben,
dann werden wir drei Tage nach der Hochzeit des Königs,
alſo in einer Woche, nach Suſa aufbrechen.“
„Nach Suſa?“ fragte der Mundſchenk. „Dort iſt es
nur wenig kühler als hier, und außerdem wird die alte
Memnonsburg 85) umgebaut.“
„Der Jude Daniel hat dem Könige die Botſchaft ge-
bracht, der neue Palaſt ſei fertig und übertreffe an Glanz
und Pracht alles Dageweſene. Kaum hatte Kambyſes dieß
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/117>, abgerufen am 22.07.2024.
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