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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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"Sie schläft," dachte das Mädchen; "ich kann sie noch
ein Viertelstündchen ruhen lassen; das Opferfest wird sie
ermüdet haben, und sie muß beim Schmause in voller
Frische und Schönheit prangen, um die Anderen zu über-
strahlen, wie der Mond die Sterne."

Ungehört von ihrer Herrin, schlich sie aus dem Zim-
mer, dessen Fenster eine köstliche Aussicht auf die hängen-
den Gärten, die Riesenstadt, den Strom und die frucht-
strotzende babylonische Ebene darboten, hinaus in's Freie.

Ohne sich umzusehen lief sie einem Blumenbeete zu,
um Rosen zu brechen. Jhre Augen waren auf das neue
Armband geheftet, in dessen edlem Gestein sich die Strah-
len der Nachmittagssonne spiegelten, und wurden eines
reichgekleideten Mannes nicht gewahr, welcher mit vor-
gestrecktem Kopfe durch ein Fenster des Zimmers blickte,
in welchem Nitetis weinte. Der gestörte Lauscher wendete
sich sofort dem Mädchen zu und rief mit kreischender Stimme:
"Sei gegrüßt, schöne Mandane!"

Die Zofe erschrak und sagte, als sie den Eunuchen-
obersten Boges erkannte: "Es ist nicht fein von Dir, Herr,
ein armes Mädchen so zu erschrecken! Jch wäre, beim
Mithra, in Ohnmacht gefallen, wenn ich Dich eher gesehen
als gehört hätte. Weiberstimmen überraschen mich nicht;
ein männliches Wesen ist aber in dieser Einsamkeit so sel-
ten, wie Schwäne in der Wüste!"

Boges lächelte, obgleich er die muthwillige Anspielung
auf seine weibische Stimme sehr wohl verstanden hatte,
voller Wohlwollen und antwortete, die fleischigen Hände
reibend: "Freilich ist es hart für ein junges, schönes
Täubchen wie Du bist, in einem so einsamen Neste leben
zu müssen; aber sei nur geduldig, Herzchen; bald wird
Deine Herrin Königin werden und ein schmuckes, junges

„Sie ſchläft,“ dachte das Mädchen; „ich kann ſie noch
ein Viertelſtündchen ruhen laſſen; das Opferfeſt wird ſie
ermüdet haben, und ſie muß beim Schmauſe in voller
Friſche und Schönheit prangen, um die Anderen zu über-
ſtrahlen, wie der Mond die Sterne.“

Ungehört von ihrer Herrin, ſchlich ſie aus dem Zim-
mer, deſſen Fenſter eine köſtliche Ausſicht auf die hängen-
den Gärten, die Rieſenſtadt, den Strom und die frucht-
ſtrotzende babyloniſche Ebene darboten, hinaus in’s Freie.

Ohne ſich umzuſehen lief ſie einem Blumenbeete zu,
um Roſen zu brechen. Jhre Augen waren auf das neue
Armband geheftet, in deſſen edlem Geſtein ſich die Strah-
len der Nachmittagsſonne ſpiegelten, und wurden eines
reichgekleideten Mannes nicht gewahr, welcher mit vor-
geſtrecktem Kopfe durch ein Fenſter des Zimmers blickte,
in welchem Nitetis weinte. Der geſtörte Lauſcher wendete
ſich ſofort dem Mädchen zu und rief mit kreiſchender Stimme:
„Sei gegrüßt, ſchöne Mandane!“

Die Zofe erſchrak und ſagte, als ſie den Eunuchen-
oberſten Boges erkannte: „Es iſt nicht fein von Dir, Herr,
ein armes Mädchen ſo zu erſchrecken! Jch wäre, beim
Mithra, in Ohnmacht gefallen, wenn ich Dich eher geſehen
als gehört hätte. Weiberſtimmen überraſchen mich nicht;
ein männliches Weſen iſt aber in dieſer Einſamkeit ſo ſel-
ten, wie Schwäne in der Wüſte!“

Boges lächelte, obgleich er die muthwillige Anſpielung
auf ſeine weibiſche Stimme ſehr wohl verſtanden hatte,
voller Wohlwollen und antwortete, die fleiſchigen Hände
reibend: „Freilich iſt es hart für ein junges, ſchönes
Täubchen wie Du biſt, in einem ſo einſamen Neſte leben
zu müſſen; aber ſei nur geduldig, Herzchen; bald wird
Deine Herrin Königin werden und ein ſchmuckes, junges

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[99/0101] „Sie ſchläft,“ dachte das Mädchen; „ich kann ſie noch ein Viertelſtündchen ruhen laſſen; das Opferfeſt wird ſie ermüdet haben, und ſie muß beim Schmauſe in voller Friſche und Schönheit prangen, um die Anderen zu über- ſtrahlen, wie der Mond die Sterne.“ Ungehört von ihrer Herrin, ſchlich ſie aus dem Zim- mer, deſſen Fenſter eine köſtliche Ausſicht auf die hängen- den Gärten, die Rieſenſtadt, den Strom und die frucht- ſtrotzende babyloniſche Ebene darboten, hinaus in’s Freie. Ohne ſich umzuſehen lief ſie einem Blumenbeete zu, um Roſen zu brechen. Jhre Augen waren auf das neue Armband geheftet, in deſſen edlem Geſtein ſich die Strah- len der Nachmittagsſonne ſpiegelten, und wurden eines reichgekleideten Mannes nicht gewahr, welcher mit vor- geſtrecktem Kopfe durch ein Fenſter des Zimmers blickte, in welchem Nitetis weinte. Der geſtörte Lauſcher wendete ſich ſofort dem Mädchen zu und rief mit kreiſchender Stimme: „Sei gegrüßt, ſchöne Mandane!“ Die Zofe erſchrak und ſagte, als ſie den Eunuchen- oberſten Boges erkannte: „Es iſt nicht fein von Dir, Herr, ein armes Mädchen ſo zu erſchrecken! Jch wäre, beim Mithra, in Ohnmacht gefallen, wenn ich Dich eher geſehen als gehört hätte. Weiberſtimmen überraſchen mich nicht; ein männliches Weſen iſt aber in dieſer Einſamkeit ſo ſel- ten, wie Schwäne in der Wüſte!“ Boges lächelte, obgleich er die muthwillige Anſpielung auf ſeine weibiſche Stimme ſehr wohl verſtanden hatte, voller Wohlwollen und antwortete, die fleiſchigen Hände reibend: „Freilich iſt es hart für ein junges, ſchönes Täubchen wie Du biſt, in einem ſo einſamen Neſte leben zu müſſen; aber ſei nur geduldig, Herzchen; bald wird Deine Herrin Königin werden und ein ſchmuckes, junges

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/101>, abgerufen am 22.11.2024.