Schaar von Tempeldienern und wenigstens tausend herbei- geeilten Memphiten ward der baumwollene Sarg geöffnet. Als man seines unseligen Jnhalts gewahr wurde, erhob sich ein so entsetzliches Wehegeheul, ein so furchtbares Klage- und Rachegeschrei, -- daß ich's bis zum Schlosse vernehmen konnte.
"Die wuthentbrannte Menge stürzte sich in wilder Lei- denschaft auf meinen armen Diener, riß ihn zu Boden, trat ihn mit Füßen, und würde ihn sofort getödtet haben, -- wenn der allmächtige Oberpriester nicht ,Halt' gebo- ten, und, in der Absicht, mich als Urheber der Frevel- that mit in's Verderben zu ziehen, befohlen hätte, den schrecklich zugerichteten Missethäter in's Gefängniß zu setzen.
"Eine halbe Stunde später ward auch ich festgenommen.
"Mein alter Müs nahm alle Schuld des Verbrechens auf sein Haupt, bis der Oberpricster ihm durch Bastona- den das Geständniß abnöthigte, ich habe ihm geboten, die Katzen zu tödten; -- er aber, als treuer Diener, meinem Befehl' Folge leisten müssen.
"Das Obergericht 57), gegen dessen Urtheilssprüche selbst der König keine Macht besitzt, ist aus Priestern von Memphis, Heliopolis und Theben zusammengesetzt; ihr könnt euch also denken, daß man den armen Müs sowohl, als meine hellenische Wenigkeit, ohne Bedenken zum Tode verurtheilte. -- Den Sclaven, wegen zweier Kapitalver- brechen: erstens, wegen des Mordes von heiligen Thieren, zweitens, wegen der zwölfmaligen Verunreinigung des hei- ligen Nils durch Leichname; -- mich, wegen der Urheber- schaft dieses, wie sie's nannten, vierundzwanzigfachen Ka- pitalverbrechens 58). Müs ward noch am nämlichen Tage hingerichtet. Möge ihm die Erde leicht sein! Jn meinem Andenken wird er nicht als mein Sclav, sondern als mein
Schaar von Tempeldienern und wenigſtens tauſend herbei- geeilten Memphiten ward der baumwollene Sarg geöffnet. Als man ſeines unſeligen Jnhalts gewahr wurde, erhob ſich ein ſo entſetzliches Wehegeheul, ein ſo furchtbares Klage- und Rachegeſchrei, — daß ich’s bis zum Schloſſe vernehmen konnte.
„Die wuthentbrannte Menge ſtürzte ſich in wilder Lei- denſchaft auf meinen armen Diener, riß ihn zu Boden, trat ihn mit Füßen, und würde ihn ſofort getödtet haben, — wenn der allmächtige Oberprieſter nicht ‚Halt‘ gebo- ten, und, in der Abſicht, mich als Urheber der Frevel- that mit in’s Verderben zu ziehen, befohlen hätte, den ſchrecklich zugerichteten Miſſethäter in’s Gefängniß zu ſetzen.
„Eine halbe Stunde ſpäter ward auch ich feſtgenommen.
„Mein alter Müs nahm alle Schuld des Verbrechens auf ſein Haupt, bis der Oberpricſter ihm durch Baſtona- den das Geſtändniß abnöthigte, ich habe ihm geboten, die Katzen zu tödten; — er aber, als treuer Diener, meinem Befehl’ Folge leiſten müſſen.
„Das Obergericht 57), gegen deſſen Urtheilsſprüche ſelbſt der König keine Macht beſitzt, iſt aus Prieſtern von Memphis, Heliopolis und Theben zuſammengeſetzt; ihr könnt euch alſo denken, daß man den armen Müs ſowohl, als meine helleniſche Wenigkeit, ohne Bedenken zum Tode verurtheilte. — Den Sclaven, wegen zweier Kapitalver- brechen: erſtens, wegen des Mordes von heiligen Thieren, zweitens, wegen der zwölfmaligen Verunreinigung des hei- ligen Nils durch Leichname; — mich, wegen der Urheber- ſchaft dieſes, wie ſie’s nannten, vierundzwanzigfachen Ka- pitalverbrechens 58). Müs ward noch am nämlichen Tage hingerichtet. Möge ihm die Erde leicht ſein! Jn meinem Andenken wird er nicht als mein Sclav, ſondern als mein
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0045"n="27"/>
Schaar von Tempeldienern und wenigſtens tauſend herbei-<lb/>
geeilten Memphiten ward der baumwollene Sarg geöffnet.<lb/>
Als man ſeines unſeligen Jnhalts gewahr wurde, erhob<lb/>ſich ein ſo entſetzliches Wehegeheul, ein ſo furchtbares<lb/>
Klage- und Rachegeſchrei, — daß ich’s bis zum Schloſſe<lb/>
vernehmen konnte.</p><lb/><p>„Die wuthentbrannte Menge ſtürzte ſich in wilder Lei-<lb/>
denſchaft auf meinen armen Diener, riß ihn zu Boden,<lb/>
trat ihn mit Füßen, und würde ihn ſofort getödtet haben,<lb/>— wenn der allmächtige Oberprieſter nicht ‚Halt‘ gebo-<lb/>
ten, und, in der Abſicht, mich als Urheber der Frevel-<lb/>
that mit in’s Verderben zu ziehen, befohlen hätte, den<lb/>ſchrecklich zugerichteten Miſſethäter in’s Gefängniß zu ſetzen.</p><lb/><p>„Eine halbe Stunde ſpäter ward auch ich feſtgenommen.</p><lb/><p>„Mein alter Müs nahm alle Schuld des Verbrechens<lb/>
auf ſein Haupt, bis der Oberpricſter ihm durch Baſtona-<lb/>
den das Geſtändniß abnöthigte, ich habe ihm geboten, die<lb/>
Katzen zu tödten; — er aber, als treuer Diener, meinem<lb/>
Befehl’ Folge leiſten müſſen.</p><lb/><p>„Das Obergericht <hirendition="#sup">57</hi>), gegen deſſen Urtheilsſprüche<lb/>ſelbſt der König keine Macht beſitzt, iſt aus Prieſtern von<lb/>
Memphis, Heliopolis und Theben zuſammengeſetzt; ihr<lb/>
könnt euch alſo denken, daß man den armen Müs ſowohl,<lb/>
als meine helleniſche Wenigkeit, ohne Bedenken zum Tode<lb/>
verurtheilte. — Den Sclaven, wegen zweier Kapitalver-<lb/>
brechen: erſtens, wegen des Mordes von heiligen Thieren,<lb/>
zweitens, wegen der zwölfmaligen Verunreinigung des hei-<lb/>
ligen Nils durch Leichname; — mich, wegen der Urheber-<lb/>ſchaft dieſes, wie ſie’s nannten, vierundzwanzigfachen Ka-<lb/>
pitalverbrechens <hirendition="#sup">58</hi>). Müs ward noch am nämlichen Tage<lb/>
hingerichtet. Möge ihm die Erde leicht ſein! Jn meinem<lb/>
Andenken wird er nicht als mein Sclav, ſondern als mein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[27/0045]
Schaar von Tempeldienern und wenigſtens tauſend herbei-
geeilten Memphiten ward der baumwollene Sarg geöffnet.
Als man ſeines unſeligen Jnhalts gewahr wurde, erhob
ſich ein ſo entſetzliches Wehegeheul, ein ſo furchtbares
Klage- und Rachegeſchrei, — daß ich’s bis zum Schloſſe
vernehmen konnte.
„Die wuthentbrannte Menge ſtürzte ſich in wilder Lei-
denſchaft auf meinen armen Diener, riß ihn zu Boden,
trat ihn mit Füßen, und würde ihn ſofort getödtet haben,
— wenn der allmächtige Oberprieſter nicht ‚Halt‘ gebo-
ten, und, in der Abſicht, mich als Urheber der Frevel-
that mit in’s Verderben zu ziehen, befohlen hätte, den
ſchrecklich zugerichteten Miſſethäter in’s Gefängniß zu ſetzen.
„Eine halbe Stunde ſpäter ward auch ich feſtgenommen.
„Mein alter Müs nahm alle Schuld des Verbrechens
auf ſein Haupt, bis der Oberpricſter ihm durch Baſtona-
den das Geſtändniß abnöthigte, ich habe ihm geboten, die
Katzen zu tödten; — er aber, als treuer Diener, meinem
Befehl’ Folge leiſten müſſen.
„Das Obergericht 57), gegen deſſen Urtheilsſprüche
ſelbſt der König keine Macht beſitzt, iſt aus Prieſtern von
Memphis, Heliopolis und Theben zuſammengeſetzt; ihr
könnt euch alſo denken, daß man den armen Müs ſowohl,
als meine helleniſche Wenigkeit, ohne Bedenken zum Tode
verurtheilte. — Den Sclaven, wegen zweier Kapitalver-
brechen: erſtens, wegen des Mordes von heiligen Thieren,
zweitens, wegen der zwölfmaligen Verunreinigung des hei-
ligen Nils durch Leichname; — mich, wegen der Urheber-
ſchaft dieſes, wie ſie’s nannten, vierundzwanzigfachen Ka-
pitalverbrechens 58). Müs ward noch am nämlichen Tage
hingerichtet. Möge ihm die Erde leicht ſein! Jn meinem
Andenken wird er nicht als mein Sclav, ſondern als mein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/45>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.