"Mir aber," sprach Rhodopis, auf die neuen Gäste zutretend, "seid herzlich gegrüßt, wenn ihr fröhlich seid, und nicht minder willkommen, wenn euch ein Kummer drückt, -- kenne ich doch keine größere Freude, als die Falten auf der Stirn eines Freundes zu glätten. Auch Dich, Spartaner, nenne ich ,Freund', denn also heiß ich Jeden, der meinen Freunden lieb ist."
Aristomachos verneigte sich schweigend; der Athener aber rief, sich halb an Rhodopis, halb an den Sybariten wendend: "Wohl denn, meine Lieben, so kann ich euch beide befriedigen. Du, Rhodopis, sollst Gelegenheit haben, mich, Deinen Freund, zu trösten, denn gar bald werde ich Dich und Dein liebes Haus verlassen müssen; -- Du aber, Sybarit, wirst Dich an meiner Fröhlichkeit ergötzen, -- denn endlich werde ich mein Hellas wiedersehen, und diese goldne Mäusefalle von einem Lande, wenn auch unfreiwil- lig, verlassen!"
"Du gehst fort? Du bist entlassen worden? Wohin gedenkst Du zu reisen?" fragte man von allen Seiten.
"Geduld! Geduld! Jhr Freunde," rief Phanes, "ich muß euch eine lange Geschichte erzählen, die ich bis zum Schmause aufbewahren will. -- Nebenbei gesagt, liebste Freundin, ist mein Hunger fast eben so groß, wie mein Kummer, euch verlassen zu müssen."
"Hunger ist ein schönes Ding," philosophirte der Sybarit, "wenn man einer guten Mahlzeit entgegensieht."
"Sei unbesorgt, Oinophilos," antwortete Rhodopis; "ich habe dem Koche befohlen, sein Möglichstes zu thun, und ihm mitgetheilt, daß der größeste Feinschmecker aus der üppigsten Stadt in der ganzen Welt, daß ein Sybarit, daß Oinophilos über seine zarten Gerichte stren- ges Gericht halten werde. Geh', Knakias, und sage, man
„Mir aber,“ ſprach Rhodopis, auf die neuen Gäſte zutretend, „ſeid herzlich gegrüßt, wenn ihr fröhlich ſeid, und nicht minder willkommen, wenn euch ein Kummer drückt, — kenne ich doch keine größere Freude, als die Falten auf der Stirn eines Freundes zu glätten. Auch Dich, Spartaner, nenne ich ‚Freund‘, denn alſo heiß ich Jeden, der meinen Freunden lieb iſt.“
Ariſtomachos verneigte ſich ſchweigend; der Athener aber rief, ſich halb an Rhodopis, halb an den Sybariten wendend: „Wohl denn, meine Lieben, ſo kann ich euch beide befriedigen. Du, Rhodopis, ſollſt Gelegenheit haben, mich, Deinen Freund, zu tröſten, denn gar bald werde ich Dich und Dein liebes Haus verlaſſen müſſen; — Du aber, Sybarit, wirſt Dich an meiner Fröhlichkeit ergötzen, — denn endlich werde ich mein Hellas wiederſehen, und dieſe goldne Mäuſefalle von einem Lande, wenn auch unfreiwil- lig, verlaſſen!“
„Du gehſt fort? Du biſt entlaſſen worden? Wohin gedenkſt Du zu reiſen?“ fragte man von allen Seiten.
„Geduld! Geduld! Jhr Freunde,“ rief Phanes, „ich muß euch eine lange Geſchichte erzählen, die ich bis zum Schmauſe aufbewahren will. — Nebenbei geſagt, liebſte Freundin, iſt mein Hunger faſt eben ſo groß, wie mein Kummer, euch verlaſſen zu müſſen.“
„Hunger iſt ein ſchönes Ding,“ philoſophirte der Sybarit, „wenn man einer guten Mahlzeit entgegenſieht.“
„Sei unbeſorgt, Oinophilos,“ antwortete Rhodopis; „ich habe dem Koche befohlen, ſein Möglichſtes zu thun, und ihm mitgetheilt, daß der größeſte Feinſchmecker aus der üppigſten Stadt in der ganzen Welt, daß ein Sybarit, daß Oinophilos über ſeine zarten Gerichte ſtren- ges Gericht halten werde. Geh’, Knakias, und ſage, man
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„Mir aber,“ ſprach Rhodopis, auf die neuen Gäſte
zutretend, „ſeid herzlich gegrüßt, wenn ihr fröhlich ſeid,
und nicht minder willkommen, wenn euch ein Kummer
drückt, — kenne ich doch keine größere Freude, als die
Falten auf der Stirn eines Freundes zu glätten. Auch
Dich, Spartaner, nenne ich ‚Freund‘, denn alſo heiß ich
Jeden, der meinen Freunden lieb iſt.“
Ariſtomachos verneigte ſich ſchweigend; der Athener
aber rief, ſich halb an Rhodopis, halb an den Sybariten
wendend: „Wohl denn, meine Lieben, ſo kann ich euch
beide befriedigen. Du, Rhodopis, ſollſt Gelegenheit haben,
mich, Deinen Freund, zu tröſten, denn gar bald werde
ich Dich und Dein liebes Haus verlaſſen müſſen; — Du
aber, Sybarit, wirſt Dich an meiner Fröhlichkeit ergötzen, —
denn endlich werde ich mein Hellas wiederſehen, und dieſe
goldne Mäuſefalle von einem Lande, wenn auch unfreiwil-
lig, verlaſſen!“
„Du gehſt fort? Du biſt entlaſſen worden? Wohin
gedenkſt Du zu reiſen?“ fragte man von allen Seiten.
„Geduld! Geduld! Jhr Freunde,“ rief Phanes, „ich
muß euch eine lange Geſchichte erzählen, die ich bis zum
Schmauſe aufbewahren will. — Nebenbei geſagt, liebſte
Freundin, iſt mein Hunger faſt eben ſo groß, wie mein
Kummer, euch verlaſſen zu müſſen.“
„Hunger iſt ein ſchönes Ding,“ philoſophirte der
Sybarit, „wenn man einer guten Mahlzeit entgegenſieht.“
„Sei unbeſorgt, Oinophilos,“ antwortete Rhodopis;
„ich habe dem Koche befohlen, ſein Möglichſtes zu thun,
und ihm mitgetheilt, daß der größeſte Feinſchmecker
aus der üppigſten Stadt in der ganzen Welt, daß ein
Sybarit, daß Oinophilos über ſeine zarten Gerichte ſtren-
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/34>, abgerufen am 22.07.2024.
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