schnäbelten Köpfe unter die Flügel und regten sich nicht; die Kraniche aber schraken zusammen, sobald sich ein Ruderschlag oder der Gesang arbeitender Schiffer hören ließ, und spähten, die schlanken Hälse ängstlich wendend, in die Ferne. Kein Lüftchen wehte, und das Spiegelbild des Mondes, welches wie ein silbernes Schild auf der Wasserfläche schwamm, bewies, daß der Nil, der die Katarrhakten wild überspringt und an den Riesentempeln von Ober-Aegypten schnell vor- beijagt, da, wo er sich dem Meere in verschiedenen Armen nähert, sein ungestümes Treiben aufgegeben und sich ge- messener Ruhe überlassen habe.
Jn dieser Mondnacht durchschnitt, 528 Jahre vor der Geburt des Heilands, eine Barke die beinahe strömungslose kanobische Mündung des Nils. Ein ägyptischer Mann saß auf dem hohen Dache des Hinterdecks und lenkte von dort aus den langen Stab des Steuerruders. Jn dem Kahne selbst versahen halbnackte Ruderknechte, singend, ihren Dienst. Unter dem offenen, einer hölzernen Laube gleichenden Ka- jütenhause lagen zwei Männer auf niedrigen Polstern 1). Beide waren augenscheinlich keine Aegypter. Selbst das Mondlicht ließ ihre griechische Herkunft erkennen. Der Aeltere, ein ungewöhnlich großer und kräftiger Mann, im Beginn der sechziger Jahre, dessen dichte graue Locken bis auf den gedrungenen Hals, ohne sonderliche Ordnung, her- niederfielen, war mit einem schlichten Mantel bekleidet und schaute düster in den Strom, während sein etwa zwanzig Jahre jungerer Gefährte, ein schlanker und zierlich ge- bauter Mann, bald zum Himmel hinaufblickte, bald dem Steuermann ein Wort zurief, bald seine schöne purpur- blaue Chlanis 2) in neue Falten warf, bald sich mit seinen duftenden braunen Locken oder dem zart gekräuselten Barte zu schaffen machte.
ſchnäbelten Köpfe unter die Flügel und regten ſich nicht; die Kraniche aber ſchraken zuſammen, ſobald ſich ein Ruderſchlag oder der Geſang arbeitender Schiffer hören ließ, und ſpähten, die ſchlanken Hälſe ängſtlich wendend, in die Ferne. Kein Lüftchen wehte, und das Spiegelbild des Mondes, welches wie ein ſilbernes Schild auf der Waſſerfläche ſchwamm, bewies, daß der Nil, der die Katarrhakten wild überſpringt und an den Rieſentempeln von Ober-Aegypten ſchnell vor- beijagt, da, wo er ſich dem Meere in verſchiedenen Armen nähert, ſein ungeſtümes Treiben aufgegeben und ſich ge- meſſener Ruhe überlaſſen habe.
Jn dieſer Mondnacht durchſchnitt, 528 Jahre vor der Geburt des Heilands, eine Barke die beinahe ſtrömungsloſe kanobiſche Mündung des Nils. Ein ägyptiſcher Mann ſaß auf dem hohen Dache des Hinterdecks und lenkte von dort aus den langen Stab des Steuerruders. Jn dem Kahne ſelbſt verſahen halbnackte Ruderknechte, ſingend, ihren Dienſt. Unter dem offenen, einer hölzernen Laube gleichenden Ka- jütenhauſe lagen zwei Männer auf niedrigen Polſtern 1). Beide waren augenſcheinlich keine Aegypter. Selbſt das Mondlicht ließ ihre griechiſche Herkunft erkennen. Der Aeltere, ein ungewöhnlich großer und kräftiger Mann, im Beginn der ſechziger Jahre, deſſen dichte graue Locken bis auf den gedrungenen Hals, ohne ſonderliche Ordnung, her- niederfielen, war mit einem ſchlichten Mantel bekleidet und ſchaute düſter in den Strom, während ſein etwa zwanzig Jahre jungerer Gefährte, ein ſchlanker und zierlich ge- bauter Mann, bald zum Himmel hinaufblickte, bald dem Steuermann ein Wort zurief, bald ſeine ſchöne purpur- blaue Chlanis 2) in neue Falten warf, bald ſich mit ſeinen duftenden braunen Locken oder dem zart gekräuſelten Barte zu ſchaffen machte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0020"n="2"/>ſchnäbelten Köpfe unter die Flügel und regten ſich nicht; die<lb/>
Kraniche aber ſchraken zuſammen, ſobald ſich ein Ruderſchlag<lb/>
oder der Geſang arbeitender Schiffer hören ließ, und ſpähten,<lb/>
die ſchlanken Hälſe ängſtlich wendend, in die Ferne. Kein<lb/>
Lüftchen wehte, und das Spiegelbild des Mondes, welches<lb/>
wie ein ſilbernes Schild auf der Waſſerfläche ſchwamm,<lb/>
bewies, daß der Nil, der die Katarrhakten wild überſpringt<lb/>
und an den Rieſentempeln von Ober-Aegypten ſchnell vor-<lb/>
beijagt, da, wo er ſich dem Meere in verſchiedenen Armen<lb/>
nähert, ſein ungeſtümes Treiben aufgegeben und ſich ge-<lb/>
meſſener Ruhe überlaſſen habe.</p><lb/><p>Jn dieſer Mondnacht durchſchnitt, 528 Jahre vor der<lb/>
Geburt des Heilands, eine Barke die beinahe ſtrömungsloſe<lb/>
kanobiſche Mündung des Nils. Ein ägyptiſcher Mann ſaß<lb/>
auf dem hohen Dache des Hinterdecks und lenkte von dort<lb/>
aus den langen Stab des Steuerruders. Jn dem Kahne<lb/>ſelbſt verſahen halbnackte Ruderknechte, ſingend, ihren Dienſt.<lb/>
Unter dem offenen, einer hölzernen Laube gleichenden Ka-<lb/>
jütenhauſe lagen zwei Männer auf niedrigen Polſtern <hirendition="#sup">1</hi>).<lb/>
Beide waren augenſcheinlich keine Aegypter. Selbſt das<lb/>
Mondlicht ließ ihre griechiſche Herkunft erkennen. Der<lb/>
Aeltere, ein ungewöhnlich großer und kräftiger Mann, im<lb/>
Beginn der ſechziger Jahre, deſſen dichte graue Locken bis<lb/>
auf den gedrungenen Hals, ohne ſonderliche Ordnung, her-<lb/>
niederfielen, war mit einem ſchlichten Mantel bekleidet und<lb/>ſchaute düſter in den Strom, während ſein etwa zwanzig<lb/>
Jahre jungerer Gefährte, ein ſchlanker und zierlich ge-<lb/>
bauter Mann, bald zum Himmel hinaufblickte, bald dem<lb/>
Steuermann ein Wort zurief, bald ſeine ſchöne purpur-<lb/>
blaue Chlanis <hirendition="#sup">2</hi>) in neue Falten warf, bald ſich mit<lb/>ſeinen duftenden braunen Locken oder dem zart gekräuſelten<lb/>
Barte zu ſchaffen machte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[2/0020]
ſchnäbelten Köpfe unter die Flügel und regten ſich nicht; die
Kraniche aber ſchraken zuſammen, ſobald ſich ein Ruderſchlag
oder der Geſang arbeitender Schiffer hören ließ, und ſpähten,
die ſchlanken Hälſe ängſtlich wendend, in die Ferne. Kein
Lüftchen wehte, und das Spiegelbild des Mondes, welches
wie ein ſilbernes Schild auf der Waſſerfläche ſchwamm,
bewies, daß der Nil, der die Katarrhakten wild überſpringt
und an den Rieſentempeln von Ober-Aegypten ſchnell vor-
beijagt, da, wo er ſich dem Meere in verſchiedenen Armen
nähert, ſein ungeſtümes Treiben aufgegeben und ſich ge-
meſſener Ruhe überlaſſen habe.
Jn dieſer Mondnacht durchſchnitt, 528 Jahre vor der
Geburt des Heilands, eine Barke die beinahe ſtrömungsloſe
kanobiſche Mündung des Nils. Ein ägyptiſcher Mann ſaß
auf dem hohen Dache des Hinterdecks und lenkte von dort
aus den langen Stab des Steuerruders. Jn dem Kahne
ſelbſt verſahen halbnackte Ruderknechte, ſingend, ihren Dienſt.
Unter dem offenen, einer hölzernen Laube gleichenden Ka-
jütenhauſe lagen zwei Männer auf niedrigen Polſtern 1).
Beide waren augenſcheinlich keine Aegypter. Selbſt das
Mondlicht ließ ihre griechiſche Herkunft erkennen. Der
Aeltere, ein ungewöhnlich großer und kräftiger Mann, im
Beginn der ſechziger Jahre, deſſen dichte graue Locken bis
auf den gedrungenen Hals, ohne ſonderliche Ordnung, her-
niederfielen, war mit einem ſchlichten Mantel bekleidet und
ſchaute düſter in den Strom, während ſein etwa zwanzig
Jahre jungerer Gefährte, ein ſchlanker und zierlich ge-
bauter Mann, bald zum Himmel hinaufblickte, bald dem
Steuermann ein Wort zurief, bald ſeine ſchöne purpur-
blaue Chlanis 2) in neue Falten warf, bald ſich mit
ſeinen duftenden braunen Locken oder dem zart gekräuſelten
Barte zu ſchaffen machte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/20>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.