Sie erzählte dem Greise ohne Umschweif, was sie von Sappho erfahren hatte, und schloß ihre Rede mit folgen- den Worten: "Jch weiß nicht, welche Ansprüche die Perser an die Gattin eines Fürsten machen; kann Dir aber sagen, daß mir Sappho des ersten aller Könige würdig zu sein scheint. Sie stammt von einem edlen freien Vater, und ich habe gehört, daß nach euren Gesetzen ganz allein der Vater die Herkunft des Kindes bestimmt. Auch in Aegyp- ten genießen die Nachkommen der Sclavin gleiche Rechte mit denen der Fürstentochter, wenn beide demselben Erzeu- ger 206) ihr Dasein verdanken."
"Jch habe Dir schweigend zugehört," antwortete Krö- sus, "und muß Dir sagen, daß ich ebenso wenig als Du in diesem Augenblicke weiß, ob ich mich freuen darf, oder ob ich diese Liebe beklagen soll. -- Kambyses und Kassan- dane, die Mutter Bartjas und des Königs, wünschten schon vor unserer Abreise den Prinzen zu verheirathen. Der König selbst erfreut sich bis heute keiner Nachkommen. Sollte er kinderlos bleiben, so beruht die einzige Hoffnung auf die Fortpflanzung des Geschlechts seines Vaters Ky- ros auf Bartja, denn der große Gründer der persischen Macht rühmte sich nur zweier Söhne, des Kambyses und des Freundes Deiner Enkelin. -- Dieser Letztere ist der Stolz aller Perser, der Liebling des ganzen Hofes und Landes, die Hoffnung aller Würdenträger und Untertha- nen. Er ist ebenso schön als edel, ebenso tugendhaft als liebenswerth. -- Wohl verlangt man von den Königs- söhnen, daß sie sich mit Weibern aus ihrem, dem Ge- schlechte der Achämeniden, vermählen, aber die Perser haben eine unbegrenzte Vorliebe für alles Fremde und würden, von der Schönheit Deiner Enkelin entzückt, von ihrer Liebe zu Bartja nachsichtig gemacht, gar bald den
Sie erzählte dem Greiſe ohne Umſchweif, was ſie von Sappho erfahren hatte, und ſchloß ihre Rede mit folgen- den Worten: „Jch weiß nicht, welche Anſprüche die Perſer an die Gattin eines Fürſten machen; kann Dir aber ſagen, daß mir Sappho des erſten aller Könige würdig zu ſein ſcheint. Sie ſtammt von einem edlen freien Vater, und ich habe gehört, daß nach euren Geſetzen ganz allein der Vater die Herkunft des Kindes beſtimmt. Auch in Aegyp- ten genießen die Nachkommen der Sclavin gleiche Rechte mit denen der Fürſtentochter, wenn beide demſelben Erzeu- ger 206) ihr Daſein verdanken.“
„Jch habe Dir ſchweigend zugehört,“ antwortete Krö- ſus, „und muß Dir ſagen, daß ich ebenſo wenig als Du in dieſem Augenblicke weiß, ob ich mich freuen darf, oder ob ich dieſe Liebe beklagen ſoll. — Kambyſes und Kaſſan- dane, die Mutter Bartjas und des Königs, wünſchten ſchon vor unſerer Abreiſe den Prinzen zu verheirathen. Der König ſelbſt erfreut ſich bis heute keiner Nachkommen. Sollte er kinderlos bleiben, ſo beruht die einzige Hoffnung auf die Fortpflanzung des Geſchlechts ſeines Vaters Ky- ros auf Bartja, denn der große Gründer der perſiſchen Macht rühmte ſich nur zweier Söhne, des Kambyſes und des Freundes Deiner Enkelin. — Dieſer Letztere iſt der Stolz aller Perſer, der Liebling des ganzen Hofes und Landes, die Hoffnung aller Würdenträger und Untertha- nen. Er iſt ebenſo ſchön als edel, ebenſo tugendhaft als liebenswerth. — Wohl verlangt man von den Königs- ſöhnen, daß ſie ſich mit Weibern aus ihrem, dem Ge- ſchlechte der Achämeniden, vermählen, aber die Perſer haben eine unbegrenzte Vorliebe für alles Fremde und würden, von der Schönheit Deiner Enkelin entzückt, von ihrer Liebe zu Bartja nachſichtig gemacht, gar bald den
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Sie erzählte dem Greiſe ohne Umſchweif, was ſie von
Sappho erfahren hatte, und ſchloß ihre Rede mit folgen-
den Worten: „Jch weiß nicht, welche Anſprüche die Perſer
an die Gattin eines Fürſten machen; kann Dir aber ſagen,
daß mir Sappho des erſten aller Könige würdig zu ſein
ſcheint. Sie ſtammt von einem edlen freien Vater, und
ich habe gehört, daß nach euren Geſetzen ganz allein der
Vater die Herkunft des Kindes beſtimmt. Auch in Aegyp-
ten genießen die Nachkommen der Sclavin gleiche Rechte
mit denen der Fürſtentochter, wenn beide demſelben Erzeu-
ger 206) ihr Daſein verdanken.“
„Jch habe Dir ſchweigend zugehört,“ antwortete Krö-
ſus, „und muß Dir ſagen, daß ich ebenſo wenig als Du
in dieſem Augenblicke weiß, ob ich mich freuen darf, oder
ob ich dieſe Liebe beklagen ſoll. — Kambyſes und Kaſſan-
dane, die Mutter Bartjas und des Königs, wünſchten
ſchon vor unſerer Abreiſe den Prinzen zu verheirathen.
Der König ſelbſt erfreut ſich bis heute keiner Nachkommen.
Sollte er kinderlos bleiben, ſo beruht die einzige Hoffnung
auf die Fortpflanzung des Geſchlechts ſeines Vaters Ky-
ros auf Bartja, denn der große Gründer der perſiſchen
Macht rühmte ſich nur zweier Söhne, des Kambyſes und
des Freundes Deiner Enkelin. — Dieſer Letztere iſt der
Stolz aller Perſer, der Liebling des ganzen Hofes und
Landes, die Hoffnung aller Würdenträger und Untertha-
nen. Er iſt ebenſo ſchön als edel, ebenſo tugendhaft als
liebenswerth. — Wohl verlangt man von den Königs-
ſöhnen, daß ſie ſich mit Weibern aus ihrem, dem Ge-
ſchlechte der Achämeniden, vermählen, aber die Perſer
haben eine unbegrenzte Vorliebe für alles Fremde und
würden, von der Schönheit Deiner Enkelin entzückt, von
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/190>, abgerufen am 22.07.2024.
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