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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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zeigte das bekannte Kugel- und Becherspiel und steigerte
das andächtige Staunen der Zuschauer zur höchsten Höhe,
indem er aus fünf Straußeneiern ebensoviele lebendige, junge
Kaninchen hervorzauberte.

Die Perser gehörten durchaus nicht zu dem undank-
barsten Theile seiner Zuschauer; im Gegentheil übte das
niegesehene Schauspiel einen erschütternden Eindruck auf
ihre Seelen.

Jhnen war, als befänden sie sich im Reiche der
Wunder; von allen Seltsamheiten Aegyptens meinten sie
jetzt die unerhörtesten gesehen zu haben.

Schweigend waren sie wieder zu den schöneren Stra-
ßen zurückgelangt, ohne zu bemerken, wie viele der sie
umgebenden Aegypter ohne Hände und mit verstümmelten
Nasen und Ohren einhergingen. -- Diese verunstalteten
Menschen waren den Asiaten kein ungewöhnlicher Anblick,
denn auch bei ihnen wurden viele Vergehen durch Abschnei-
den von Gliedmassen bestraft. Hätten sie sich danach er-
kundigt, so würden sie erfahren haben, daß in Aegypten
der seiner Hand Beraubte ein überführter Fälscher, die
Frau ohne Nase eine Ehebrecherin, der Zungenlose ein
Staatsverräther oder Verläumder, der Mann sonder Oh-
ren ein Spion, und jenes bleiche, blödsinnige Weib eine
Kindsmörderin sei, welche, als Strafe ihres Vergehens,
die Leiche des erdrosselten Säuglings drei Tage und drei
Nächte lang auf ihren Armen halten mußte. -- Welches
Weib konnte, nach Ablauf dieser Marterstunden, bei Sin-
nen bleiben 162)?

Die meisten Strafgesetze der Aegypter hatten ebenso-
wohl den Zweck, das Verbrechen zu züchtigen, als dem
Sünder unmöglich zu machen, sein erstes Vergehen zum
andern Male zu wiederholen.

zeigte das bekannte Kugel- und Becherſpiel und ſteigerte
das andächtige Staunen der Zuſchauer zur höchſten Höhe,
indem er aus fünf Straußeneiern ebenſoviele lebendige, junge
Kaninchen hervorzauberte.

Die Perſer gehörten durchaus nicht zu dem undank-
barſten Theile ſeiner Zuſchauer; im Gegentheil übte das
niegeſehene Schauſpiel einen erſchütternden Eindruck auf
ihre Seelen.

Jhnen war, als befänden ſie ſich im Reiche der
Wunder; von allen Seltſamheiten Aegyptens meinten ſie
jetzt die unerhörteſten geſehen zu haben.

Schweigend waren ſie wieder zu den ſchöneren Stra-
ßen zurückgelangt, ohne zu bemerken, wie viele der ſie
umgebenden Aegypter ohne Hände und mit verſtümmelten
Naſen und Ohren einhergingen. — Dieſe verunſtalteten
Menſchen waren den Aſiaten kein ungewöhnlicher Anblick,
denn auch bei ihnen wurden viele Vergehen durch Abſchnei-
den von Gliedmaſſen beſtraft. Hätten ſie ſich danach er-
kundigt, ſo würden ſie erfahren haben, daß in Aegypten
der ſeiner Hand Beraubte ein überführter Fälſcher, die
Frau ohne Naſe eine Ehebrecherin, der Zungenloſe ein
Staatsverräther oder Verläumder, der Mann ſonder Oh-
ren ein Spion, und jenes bleiche, blödſinnige Weib eine
Kindsmörderin ſei, welche, als Strafe ihres Vergehens,
die Leiche des erdroſſelten Säuglings drei Tage und drei
Nächte lang auf ihren Armen halten mußte. — Welches
Weib konnte, nach Ablauf dieſer Marterſtunden, bei Sin-
nen bleiben 162)?

Die meiſten Strafgeſetze der Aegypter hatten ebenſo-
wohl den Zweck, das Verbrechen zu züchtigen, als dem
Sünder unmöglich zu machen, ſein erſtes Vergehen zum
andern Male zu wiederholen.

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[114/0132] zeigte das bekannte Kugel- und Becherſpiel und ſteigerte das andächtige Staunen der Zuſchauer zur höchſten Höhe, indem er aus fünf Straußeneiern ebenſoviele lebendige, junge Kaninchen hervorzauberte. Die Perſer gehörten durchaus nicht zu dem undank- barſten Theile ſeiner Zuſchauer; im Gegentheil übte das niegeſehene Schauſpiel einen erſchütternden Eindruck auf ihre Seelen. Jhnen war, als befänden ſie ſich im Reiche der Wunder; von allen Seltſamheiten Aegyptens meinten ſie jetzt die unerhörteſten geſehen zu haben. Schweigend waren ſie wieder zu den ſchöneren Stra- ßen zurückgelangt, ohne zu bemerken, wie viele der ſie umgebenden Aegypter ohne Hände und mit verſtümmelten Naſen und Ohren einhergingen. — Dieſe verunſtalteten Menſchen waren den Aſiaten kein ungewöhnlicher Anblick, denn auch bei ihnen wurden viele Vergehen durch Abſchnei- den von Gliedmaſſen beſtraft. Hätten ſie ſich danach er- kundigt, ſo würden ſie erfahren haben, daß in Aegypten der ſeiner Hand Beraubte ein überführter Fälſcher, die Frau ohne Naſe eine Ehebrecherin, der Zungenloſe ein Staatsverräther oder Verläumder, der Mann ſonder Oh- ren ein Spion, und jenes bleiche, blödſinnige Weib eine Kindsmörderin ſei, welche, als Strafe ihres Vergehens, die Leiche des erdroſſelten Säuglings drei Tage und drei Nächte lang auf ihren Armen halten mußte. — Welches Weib konnte, nach Ablauf dieſer Marterſtunden, bei Sin- nen bleiben 162)? Die meiſten Strafgeſetze der Aegypter hatten ebenſo- wohl den Zweck, das Verbrechen zu züchtigen, als dem Sünder unmöglich zu machen, ſein erſtes Vergehen zum andern Male zu wiederholen.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/132>, abgerufen am 25.11.2024.