anders. Hier gestattet man den erblühten Mädchen den ungezwungenen geselligen Verkehr mit den Besten der Män- ner. Jüngling und Jungfrau lernen sich bei zahlreichen Festen kennen und lieben. Die Frau wird statt der Scla- vin, die Freundin des Mannes. Eins ergänzt das An- dere. Jn Schicksalsfragen entscheidet der Stärkere; die geringeren Sorgen des Lebens werden dem im Kleinen grö- ßeren Weibe überlassen. Die Töchter erwachsen unter gu- ter Leitung, denn die Mutter ist nicht ohne Wissen und Erfahrungen. Dem Weibe wird es leicht gemacht tugend- haft und häuslich zu bleiben, denn es erhöht mit Tu- gend und Häuslichkeit das Glück dessen, welcher ihr allein gehört, dessen liebstes Eigenthum sie sich zu sein berühmt. Wir Frauen thun einmal nur, was uns gefällt! Die Aegypter verstehen die Kunst, uns dahin zu bringen, daß uns eben nur das gefallen kann, was gut ist. -- Hier am Nil hätten Phokylides von Milet und Hipponax von Ephesus niemals ihre Schmählieder auf uns zu singen ge- wagt, -- hier hätte niemals die Sage von der Pandora 150) erfunden werden können."
"Wie schön Du sprichst!" rief Bartja. "Das Grie- chische zu erlernen ist mir schwer geworden; jetzt aber freue ich mich, daß ich mich's nicht verdrießen ließ und bei dem Unterrichte des Krösus aufgemerkt habe."
"Wer sind aber jene schlechten Männer, welche sich Schlimmes von den Frauen zu sagen unterfangen?" fragte Darius.
"Ein paar griechische Dichter," antwortete Amasis, "die kühnsten aller Menschen; denn lieber möcht ich eine Löwin, als eine Frau zu reizen wagen. Diese Griechen scheuen sich eben vor nichts in der Welt. Hört nur ein Pröbchen von der Poesie des Hipponax:
anders. Hier geſtattet man den erblühten Mädchen den ungezwungenen geſelligen Verkehr mit den Beſten der Män- ner. Jüngling und Jungfrau lernen ſich bei zahlreichen Feſten kennen und lieben. Die Frau wird ſtatt der Scla- vin, die Freundin des Mannes. Eins ergänzt das An- dere. Jn Schickſalsfragen entſcheidet der Stärkere; die geringeren Sorgen des Lebens werden dem im Kleinen grö- ßeren Weibe überlaſſen. Die Töchter erwachſen unter gu- ter Leitung, denn die Mutter iſt nicht ohne Wiſſen und Erfahrungen. Dem Weibe wird es leicht gemacht tugend- haft und häuslich zu bleiben, denn es erhöht mit Tu- gend und Häuslichkeit das Glück deſſen, welcher ihr allein gehört, deſſen liebſtes Eigenthum ſie ſich zu ſein berühmt. Wir Frauen thun einmal nur, was uns gefällt! Die Aegypter verſtehen die Kunſt, uns dahin zu bringen, daß uns eben nur das gefallen kann, was gut iſt. — Hier am Nil hätten Phokylides von Milet und Hipponax von Epheſus niemals ihre Schmählieder auf uns zu ſingen ge- wagt, — hier hätte niemals die Sage von der Pandora 150) erfunden werden können.“
„Wie ſchön Du ſprichſt!“ rief Bartja. „Das Grie- chiſche zu erlernen iſt mir ſchwer geworden; jetzt aber freue ich mich, daß ich mich’s nicht verdrießen ließ und bei dem Unterrichte des Kröſus aufgemerkt habe.“
„Wer ſind aber jene ſchlechten Männer, welche ſich Schlimmes von den Frauen zu ſagen unterfangen?“ fragte Darius.
„Ein paar griechiſche Dichter,“ antwortete Amaſis, „die kühnſten aller Menſchen; denn lieber möcht ich eine Löwin, als eine Frau zu reizen wagen. Dieſe Griechen ſcheuen ſich eben vor nichts in der Welt. Hört nur ein Pröbchen von der Poeſie des Hipponax:
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anders. Hier geſtattet man den erblühten Mädchen den
ungezwungenen geſelligen Verkehr mit den Beſten der Män-
ner. Jüngling und Jungfrau lernen ſich bei zahlreichen
Feſten kennen und lieben. Die Frau wird ſtatt der Scla-
vin, die Freundin des Mannes. Eins ergänzt das An-
dere. Jn Schickſalsfragen entſcheidet der Stärkere; die
geringeren Sorgen des Lebens werden dem im Kleinen grö-
ßeren Weibe überlaſſen. Die Töchter erwachſen unter gu-
ter Leitung, denn die Mutter iſt nicht ohne Wiſſen und
Erfahrungen. Dem Weibe wird es leicht gemacht tugend-
haft und häuslich zu bleiben, denn es erhöht mit Tu-
gend und Häuslichkeit das Glück deſſen, welcher ihr allein
gehört, deſſen liebſtes Eigenthum ſie ſich zu ſein berühmt.
Wir Frauen thun einmal nur, was uns gefällt! Die
Aegypter verſtehen die Kunſt, uns dahin zu bringen, daß
uns eben nur das gefallen kann, was gut iſt. — Hier
am Nil hätten Phokylides von Milet und Hipponax von
Epheſus niemals ihre Schmählieder auf uns zu ſingen ge-
wagt, — hier hätte niemals die Sage von der Pandora 150)
erfunden werden können.“
„Wie ſchön Du ſprichſt!“ rief Bartja. „Das Grie-
chiſche zu erlernen iſt mir ſchwer geworden; jetzt aber freue
ich mich, daß ich mich’s nicht verdrießen ließ und bei dem
Unterrichte des Kröſus aufgemerkt habe.“
„Wer ſind aber jene ſchlechten Männer, welche ſich
Schlimmes von den Frauen zu ſagen unterfangen?“ fragte
Darius.
„Ein paar griechiſche Dichter,“ antwortete Amaſis,
„die kühnſten aller Menſchen; denn lieber möcht ich eine
Löwin, als eine Frau zu reizen wagen. Dieſe Griechen
ſcheuen ſich eben vor nichts in der Welt. Hört nur ein
Pröbchen von der Poeſie des Hipponax:
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/125>, abgerufen am 16.02.2025.
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